Kommentar:Im Zeichen der Mücke

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Die Angst vor dem Zika-Virus verändert das Leben in Brasilien. Um die Olympischen Spiele muss sich aber niemand ernsthaft Sorgen machen.

Von Boris Herrmann

Am Samstag geht in Rio das zweitgrößte Sportereignis des Jahres zu Ende. Es ist ja keineswegs so, dass die Cariocas ihren Karneval nur zum Spaß veranstalten. Das Defilee der Samba-Schulen ist ein knallharter Wettkampf mit allem, was im brasilianischen Spitzensport dazugehört: ein komplexes Ligasystem mit Meisterschaft und Abstiegskampf, Tränen, Fanklubs, Expertentalk auf vielen Radiosendern, Korruption. Mit der "Parade der Sieger" erlebt die Karnevalssaison ihren Höhepunkt. Danach beginnt die Olympiasaison.

Das größte Sportereignis des Jahres ist für August im Terminkalender eingetragen. Wenn man die gegenwärtige Weltnachrichtenlage heranzieht, stellt sich die Frage, ob es überhaupt so groß wird. Einige Regionen Brasiliens werden gerade von einer vorolympischen Mücken- plage heimgesucht. Der sogenannte Supermoskito Aedes aegypti verbreitet neben Fieberkrankheiten auch das Zika-Virus, das im Verdacht steht, Missbildungen bei ungeborenen Kindern auszulösen. Vor allem Athletinnen aus aller Welt denken laut darüber nach, auf die Spiele zu verzichten. Die Sorgen sind nachvollziehbar, zumal Zika bislang ein medizinisches Rätsel darstellt. Niemand weiß, wie gefährlich es wirklich ist.

Nicht ganz nachvollziehbar ist, dass sich die Weltöffentlichkeit deshalb in erster Linie um die Austragung der Spiele sorgt. Manch einer fordert wegen Zika sogar eine Absage, als ob das Problem damit gelöst wäre. Das Problem betrifft zunächst einmal ja nicht jene Sportler, die selbst entscheiden können, ob sie für die Aussicht auf Gold eine Reise in die Tropen in Kauf nehmen. Die Hauptleidtragenden von Zika sind jene schwangeren Brasilianerinnen, die niemals das Geld zusammenbrächten, um auszureisen. Denen ist es im Moment herzlich egal, wie groß das olympische Spektakel wird.

Die Olympia-Gäste sind nicht die Hauptleidtragenden des Virus'

Präsidentin Dilma Rousseff ist es natürlich nicht egal. Deshalb schickt sie am Wochenende zum nationalen Aktionstag 220 000 Soldaten in die Schlacht gegen Aedes aegypti. Jeder weiß, dass es dabei vor allem um fernsehtaugliche Bilder geht, um der Welt zu zeigen, dass Rio etwas tut. Das Geld wäre mit Investitionen in das marode staatliche Gesundheitswesen besser angelegt. Es ist auch bekannt, dass Rio im winterlichen August weitgehend mückenfrei ist. Aber Rousseff sorgt sich nun einmal um ihr Olympiaprojekt, da kommt es nicht auf solche Details an.

Eine Prognose: Am Ende werden die Medaillen in jedem Fall verteilt. Sportler, die vier Jahre lang auf die Speerwürfe ihres Lebens hintrainiert haben, bleiben in der Regel nicht wegen einer Mücke zu Hause. Viele sind es gewohnt, sich ganz anderen Gesundheitsrisiken auszusetzen. Bleibt die ebenfalls aufgeregt diskutierte Frage, ob sich nach der Notstandswarnung der Welt-Gesundheitsorganisation überhaupt jemand auf die Zuschauerränge setzen wird? In diesem Kontext lohnt ein Blick zum Karnevalssport. Mehr als eine Million Besucher aus aller Welt sind dieser Tage in Rio, um ausgelassen zu feiern; das sind etwas mehr als 2015. Falls Party-Touristen die olympische Mückenstadt meiden, dann haben sie noch nicht damit angefangen.

© SZ vom 13.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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