Kommentar:Hilfe aus Fernost

Lesezeit: 2 min

Wissenschaftler wollen jetzt im Rahmen einer TV-Sendung untersuchen, ob Prothesenspringer Markus Rehm bei den Olympischen Spielen in Rio starten darf. Das Projekt erzählt einiges über das Versagen des Leichtathletik-Weltverbands.

Von Johannes Knuth

Die Idee wirkt recht charmant, auf den ersten Blick. Sportwissenschaftler haben gerade eine japanisch-deutsch-amerikanische Experten-Allianz geschmiedet, die sich von Tokio über Köln bis nach Colorado spannt. Ihr Untersuchungsobjekt: Markus Rehm, Prothesen-Weitspringer, Weltrekordhalter, 8,40 Meter. Ihr Auftrag: für eine japanische TV-Sendung erforschen, warum Rehm mit seinem Kunstfuß aus Karbon so weit springt, weiter als manch zweibeiniger Athlet. Es ist auch ein bisschen Sportpolitik-TV, das sie da betreiben, bis zum Juni wollen sie mit den Daten ihrer Sendung eine noch viel drängendere Frage erforschen: Sind Weitsprung mit Prothese und Weitsprung ohne Prothese vergleichbar? Darf Rehm also im August, bei den Sommerspielen in Rio, bei den Nichtbehinderten starten?

Es ist ein verdienstvolles Projekt, das versucht, ein kompliziertes Thema zu entwirren. Aber im Grunde dürfte es das Projekt in dieser Form gar nicht geben.

Denn derartige Beweisführungen fallen in den Hoheitsbereich eines Weltverbandes. Die IAAF mag das Thema aber nicht anfassen, sie baute im vergangenen August lieber Regel 144.3 (d) in ihr Reglement ein. Seit dem 1. November ist Sportlern demnach "jede mechanische Hilfe" untersagt - sofern sie nicht nachweisen können, dass ihnen diese Hilfe keinen Vorteil verschafft. Das ist eine ziemlich unverschämte Auslegung. Der Verband unterstellt ja erst einmal allen Prothesenträgern, dass sie ihre Prothese tragen, um sich einen Vorteil zu verschaffen, er verdächtigt sie pauschal als Techno-Doper. Außerdem ist jetzt nicht mehr die IAAF dafür zuständig, die Startberechtigung eines Paralympiers zu prüfen, sondern der Prothesenträger selbst. Als müsste Usain Bolt ein Gutachten einholen, um zu beweisen, dass er seine Leistungen dopingfrei erbringt.

Inklusion im Sport? In der selbsternannten Kernsportart der olympischen Familie bedeutet das in diesen Tagen, dass sich Athleten mit Fernsehsendern zusammentun, um ein Problem auszuleuchten, das dem Weltverband zu heikel ist. An den Kosten beteiligt sich die IAAF nämlich auch nicht. Eigentlich ein praktisches Geschäftsmodell, dieses Verbands-Outsourcing. Den Kandidaten im nächsten "Dschungelcamp" von RTL könnte man statt Kamelhoden auch Meldonium zu essen geben; aus den Befunden ermittelt man dann, ob das umstrittene Herzpräparat von der Dopingliste gestrichen werden kann. Andere heikle Fragen, Menschenrechte in Ausrichterländern zum Beispiel, könnte man in Talkrunden erörtern lassen, bei Anne Will oder Frank Plasberg.

Egal, welche Daten die Sportwissenschaftler im Fall Rehm heben werden - ihre Mühen stehen schon jetzt dafür, wie unfähig der Sport bisweilen ist, unbequeme Debatten selbst zu moderieren.

© SZ vom 20.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: