Kommentar:Gold aus dem Computer

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Die Zukunft des nationalen Sports bündelt sich seit den Nullerjahren in einem schlichten Plan: Wir holen die Spiele nach Deutschland, dann lassen Staat und Wirtschaft Milch und Honig fließen. Das ging schief. Jetzt braucht es einen neuen Plan.

Von Thomas Kistner

Die Strukturreform des Deutschen Olympischen Sportbundes hat es auf die große Fernsehbühne geschafft. Fast ein ganzes ZDF-Sportstudio zum Thema - nicht selbstverständlich in einer Zeit, in der nur dem Fußball Bedeutung zuwächst (wiewohl quasi-religiöse). Aber der hat ja gerade Pause, mal abgesehen davon, dass Jogis Jungs die Hobbykicker-Auslese San Marinos niederrangen.

Die Strukturreform: Sie wurde nötig, weil im DOSB seit Jahren mäßig gewirtschaftet wird, nicht nur strukturell. Sondern auch personell und organisatorisch - das hat eine Beratungsfirma jüngst eruiert. Daran wird sich auch wenig ändern, tiefer Wandel kann ja kaum entstehen im Old-Boys-Netzwerk des Sports, in dem der Stab 2013 von Thomas Bach an Alfons Hörmann weitergereicht wurde. Bach, seit 2006 DOSB-Chef, war der Kopf hinter allen zentralen sportpolitischen Prozessen im Land. Da fällt es auch auf den hiesigen Sport zurück, wenn nun allerorts seine Qualität als Gestalter in Frage gestellt wird, wenn sein Ruf in Doping- und Athletenfragen leidet, seit er das Internationale Olympische Komitees regiert.

Hörmann und sein DOSB-Vorstandschef Michael Vesper sind politisch loyal, visionär sind sie nicht. Die Zukunft des nationalen Sports bündelt sich seit den Nullerjahren in einem schlichten Plan: Wir holen die Spiele nach Deutschland, dann lassen Staat und Wirtschaft Milch und Honig fließen. Wie es die Briten machten: Vom Mitläufer (einmal Gold in Atlanta 1996) zum Frontrunner (29 Mal Gold in London 2012). Leider hat der Sport selbst diesen famosen Plan zerschossen. Er buhlte mit München um die Winterspiele 2018, wissend, dass es aussichtslos war. Die Sommerspiele 2020 hingegen waren leichter denn je zu ergattern; aber bei der entscheidenden Session 2013 sollte das IOC ja lieber einen anderen deutschen Kandidaten küren: Präsident Bach. Nach dem München-Bluff durchschauten die Bürger das Spiel. Für 2022 winkten sie ab, Hamburg folgte, als es um eine Bewerbung für 2024 ging. Seitdem steht der Sport ohne Orientierung da, ohne Plan B. Es brauchte was. Eine Strukturreform.

Dieser Prozess hätte durchaus nachdenklich stimmen können. In Zeiten, in denen die Giga-Show des Sports zunehmend kritisch gesehen und das Ausmaß des Dopings immer deutlicher wird, drängt sich ja eine Grundsatzfrage auf: Welchen Sport, welche Athleten will die Gesellschaft in Zukunft; was erscheint ihr als förderungswürdig? Doch solche Fragen kümmerten nicht. Installiert wird ein Computerprogramm. Und im Kern der Reform steht nicht der Athlet, sondern Metall; 30 Prozent mehr Medaillen sollen es künftig sein. Um diesen Fetisch herum wird eine Effizienz-Maschine gebaut.

Das ignoriert das Kernproblem sehr vieler Sportarten. Dass mehr Geld mehr Medaillen brächte, ist ja nachweislich Unfug. Funktionäre, die heute behaupten, mehr Medaillen und sauberer Sport seien eine reine Frage der Trainingslehre, haben aus dem russischen Staatsdoping so wenig gelernt wie aus dem der DDR. Und nichts aus dem Betrug im Westen, dessen Aufarbeitung versandet ist, bevor sie die Zeit der Wiedervereinigung erreichte.

Wer, wie der Bundesinnenminister, 30 Prozent mehr Medaillen will, ohne klare Formeln, wie solche Leistungssprünge seriös zu erzielen sind, der redet Doping das Wort. Ob er will oder nicht.

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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