Kommentar:Erstaunliche Nachsicht

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Der neue DFB-Präsident Grindel hat viel richtig gemacht. Aber auch irritiert - etwa damit, wie er mit denen umgeht, die für den WM-Skandal verantwortlich sind.

Von Johannes Aumüller

Es ist nun schon mal klar, wie gut Reinhard Grindel als Torwandschütze ist - nämlich exakt so gut wie Pelé oder Eusebio, die im ZDF-Sportstudio auch mal alle sechs Versuche vergaben. Noch nicht so klar ist, wie gut der neue DFB-Chef in den Rollen ist, die ihn im nächsten Halbjahr vor allem beschäftigen: als Machtpolitiker, der die Skepsis des Profilagers an seiner Person reduzieren will, um lange im Amt bleiben zu können. Und als Chef-Reformer, der nach der WM-Affäre im Verband vieles anders und transparenter gestalten muss.

Gemeinhin gilt das Recht auf eine 100-Tage-Frist für die erste Bewertung, aber wer Grindels Aussagen aus seiner Rede und diversen Interviews auswertet, kommt vorläufig zu zwei Schlüssen. Der Machtpolitiker hat viel richtig gemacht: nette Botschaften an alle, kein Wort, das den Profis missfallen könnte. Aber der Reformer hat eher irritiert.

Es erstaunt, wie zurückhaltend Grindel mit denen umgeht, die für den WM-Skandal verantwortlich sind. Vorgänger Wolfgang Niersbach, der im Sommer alles vertuschte, erhält ein Dankeschön für 28 Jahre Verbandsarbeit. Und zu Franz Beckenbauer, der Kernfigur der Affäre, fällt Grindel ein, dass dessen Verdienste "immer bestehen" blieben. Niemand verlangt, dass jemand an Tag eins die Keule rausholt, aber müssen andersrum solche Sätze sein? Es passt auch nicht zu Grindels Verhalten der vergangenen Monate, in denen ihm - mit der Interims-Doppelspitze Koch/Rauball - durchaus eine Abgrenzung zwischen altem und neuen DFB gelang. Jetzt klingt alles wieder nach Fußballfamilie, zu der halt auch der Kaiser gehört.

Daneben verblüfft der Umgang mit einem eigenen Posten. Grindel sitzt seit 2002 für die CDU im Bundestag. Er hatte angekündigt, das Mandat nach der Wahl zum DFB-Chef niederzulegen, um sein mit monatlich 14 400 Euro dotiertes Ehrenamt auszuüben. Jetzt bleibt Grindel doch noch für drei Monate Parlamentarier. Er will im Wahlkreis die Nachfolge ordnen und noch ein Gesetz mitverabschieden - und es seien noch drei Reisegruppen eingeladen, die er nicht wieder ausladen wolle, wie er der Bild sagte.

Die Gründe mag man plausibel finden oder nicht, in jedem Fall hätte er sie auch vor der Kür nennen können. So bleibt die theoretische Möglichkeit für einen Rückzug in die Politik, falls Grindel den Fußball nicht von sich zu überzeugen vermag - er beteuert jedoch, ein solcher Schritt sei ausgeschlossen. Zudem entsteht eine zweifelhafte Konstellation: Wenn sich das politische Berlin bald mit Fragen wie der staatlichen Unterstützung für die Bewerbung der Fußball-EM 2024 beschäftigt, kann der neue DFB-Chef als amtierendes Mitglied des Bundestages in der Hauptstadt lobbyieren.

© SZ vom 18.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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