Kommentar:Ende einer Zeitreise

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Werder vs. Bayern, das war einmal ein echtes Duell. Diesmal war es ein Spiel, von dem man sich wenigstens einbilden konnte, es sei eng gewesen. Doch am Ende standen einige unbestechliche Fakten.

Von Christof Kneer

Am Ende war es fast wie früher. Der Wind frischte auf, das Flutlicht ging an, die Zuschauer tobten, Werder drückte, und dann kam auch noch Claudio Pizarro. Die Anwesenheit dieses ewigen Bundesligaspielers wirkte wie der letzte Beweis, dass man tatsächlich zurück war in der Vergangenheit. Bestimmt würde gleich noch Ailton durchs Bild rennen, auf die Reise geschickt von einem langen Pass von Johan Micoud, und später würde Thomas Schaaf in der Pressekonferenz wahrscheinlich noch einen trockenen Witz machen.

Fünfzehn Minuten, vielleicht auch 20 dauerte der kleine Trip in die Vergangenheit dieser Liga, aber spätestens in der Pressekonferenz flog die Täuschung auf. Der Bremer Trainer sah Thomas Schaaf nur ähnlich, und der Trainer der Bayern war weder Ottmar Hitzfeld noch Jupp Heynckes, sondern Pep Guardiola. Ende der Zeitreise. Willkommen im Jahr 2015.

20 Punkte hinter München - nach neun Spielen

Im Jahr 2015 sind die Bremer kein Gegner mehr für den FC Bayern, auch wenn sie in den letzten 20 Minuten nochmal alle Kräfte bündeln und fast ein Tor schießen. Am Ende eines Spiels, von dem man sich wenigstens einbilden konnte, es sei am Ende eng gewesen, standen folgende unbestechliche Fakten: Werder Bremen, fünf Niederlagen in Serie, sieben Punkte in der Tabelle. Bayern München, neun Siege in Serie, Startrekord. Und 20 Punkte mehr als Werder - nach neun Spieltagen.

Werder Bremen sei "eine der besten Mannschaften in der Geschichte", sagte Pep Guardiola später, er meinte natürlich nicht die aktuelle Elf mit Philipp Bargfrede und Fin Bartels. Er war seine Art der Würdigung eines deutschen Traditionsvereins, dem man selbst in dunkleren Phasen wie jetzt seine Tradition noch anmerkt. Das Bremer Publikum hat schon viel erlebt, es kann verzeihen und ist trotzdem leicht entflammbar. Es ist: ein Fußball-Bundesliga-Publikum.

Von Werks- und Nischenklubs überholt

So steht das Spiel des Startrekordlers aus Bayern beim Serienverlierer aus Bremen auch stellvertretend für jene aktuelle Liga-Architektur, an die sich das Land immer mehr gewöhnen muss. Ganz oben ziehen die Bayern weitgehend ungestört ihre Kreise, und dahinter sortiert sich ein Feld, in dem es viele der sogenannten Traditionsklubs ziemlich schwer haben. Werder Bremen, der Hamburger SV, der VfB Stuttgart: Sie alle haben sich in der jüngeren Vergangenheit zu lange auf ihre Tradition verlassen, sie haben Fehler gemacht und durch unglückliche Personalentscheidungen viel Geld verloren. Und jetzt müssen sie mit ihrer guten, alten Tradition irgendwo einen Platz finden zwischen Werksklubs wie Wolfsburg, schlauen Nischenklubs wie Mainz oder euphorisierten Aufsteigern aus Darmstadt und Ingolstadt. Es ist nicht mehr leicht, ein Traditionsklub zu sein.

Am nächsten Wochenende spielen die Bayern gegen Köln, einen Traditionsklub, der inzwischen einen Schritt weiter ist als Werder, weil er nach vielen Jahren aus seinen Fehlern gelernt hat. Die Bremer hingegen müssen nach Mainz, und es ist nicht ausgeschlossen, dass bei einem der schlauen Nischenklubs die sechste Niederlage folgt.

© SZ vom 18.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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