Kommentar:Die Zeichen der Zeit

Lesezeit: 2 min

Usain Bolt zwickt's im Rücken. Deshalb startet er bei der WM in London nur über 100 Meter. Aber Rücken hin oder her: Eine Niederlage ist undenkbar. Der Arzt seines Vertrauens wird's schon richten. Und dann rennt Bolt dem Ruhestand entgegen.

Von Joachim Mölter

Diese Erfahrung haben wohl die meisten schon gemacht: Mit jedem Jahr, das man älter wird, mehren sich die Schmerzen. Erst drückt ein Zeh, dann knarzt das Knie; erst blockiert die Hüfte, dann versteift sich der Rücken. Die Zipperlein krabbeln immer weiter nach oben, bis man kaum noch was sieht und gar nichts mehr hört.

So weit ist es bei Usain Bolt noch nicht gekommen, der Wundersprinter aus Jamaika ist erst 30. Aber auch ihn zwickt's schon im Rücken, ganz arg sogar. "Der Arzt hat gesagt, je älter ich werde, desto schlimmer wird es", berichtete Bolt nach dem Meeting in der tschechischen Stadt Ostrau, wo er die 100 Meter wieder nicht unter 10 Sekunden geflitzt ist. Natürlich war Bolt als Erster im Ziel, aber halt erst nach 10,06 - das war sogar drei Hundertstelsekunden langsamer als neulich in Kingston, bei seiner Abschiedsvorstellung in seiner Heimat Jamaika.

Usain Bolt hat angekündigt, in diesem Jahr seine Laufbahn zu beenden. Er wird schon seit langem nicht mehr schneller, seine Weltrekorde über 100 und 200 Meter liegen acht Jahre zurück. Seitdem hat er die großen Rennen zwar alle gewonnen, sieht man vom 100-Meter-Finale bei der WM 2011 in Daegu ab, als er wegen eines Fehlstarts disqualifiziert wurde. Aber er erkennt die Zeichen der Zeiten, die er inzwischen abliefert: Es wird nicht mehr lange dauern, bis ihn die Jüngeren überholen und verdrängen. Dann macht er lieber freiwillig die Bahn frei.

Bei der WM in London will Usain Bolt aber noch einmal triumphieren, bis dahin hat er fünf Wochen Zeit. "Ich muss jetzt hart trainieren und mich darauf fokussieren, in Form zu kommen", sagte er in Ostrau. Vorsichtshalber hat sich auch einen Termin beim Arzt geben lassen, bei Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt in München. "Ich weiß, dass er jedes Problem lösen wird", sagt Bolt. Sein WM-Programm hat er dennoch reduziert: Über 200 Meter wird er nicht antreten.

In London wird sich also alles auf die 100 Meter zuspitzen. Dass Bolt gerade schwächelt, gehört zum künstlichen Drama. Schon 2015 und 2016 kam er schwer in Gang, was die Spannung vor den WM- und Olympia-Finals schürte: Wird er es noch einmal schaffen? Das tat er noch jedes Mal, und immer bemerkenswert mühelos. Ähnlich dürfte die Sache auch in diesem Jahr gelagert sein, Rücken hin oder her: Der Arzt seines Vertrauens wird's schon richten. Und dann rennt Usain Bolt dem Ruhestand entgegen.

© SZ vom 30.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: