Kommentar:Der Spuk in Lens

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Das Fernsehen zeigt nur noch Fußball? Das stimmt nicht ganz. Samstagabend trat Hollywood mit geballter Prominenz an, verlor den Quotenkampf gegen Ronaldo & Co. Das zeigt: Qualität ist ein nachrangiges Kriterium.

Von Klaus Hoeltzenbein

Wer sind eigentlich diese Sofasitzer, die immer behaupten, es käme zu viel Fußball im Fernsehen? Und sonst gar nix mehr. Sind es nur jene, die jung waren, als die legendäre Klementine noch für Waschmittel ("Ariel in den Hauptwaschgang") und Franz Beckenbauer für Tütensuppe warb ("Kraft auf den Teller, Knorr auf den Tisch"). Als im ZDF die Mainzelmännchen ("Gu'n Abend!") zur Werbepause und in der ARD Heribert Faßbender ("N'abend allerseits!") zur "Sportschau" baten? Als es nichts gab außer den Öffentlich-Rechtlichen, denen nur mit einem beherzten Drücken der Aus-Taste beizukommen war?

Oder sind es doch jene, alt wie jung, die sich heute in der neuen Vielfalt gar nicht mehr zurechtfinden wollen? Die einfach draufbleiben, egal ob Männer in kurzen Hosen nahezu nix tun, sich ein Wasserbüffel in der Serengeti labt oder das "Traumschiff" in See sticht.

Während Hollywood seine Stars ins Schaufenster rückte, zog sich Ronaldo daraus zurück

Das "Traumschiff" hatte am Samstagabend Sendepause zu jener Zeit, die für die Quote immer noch als die beste gilt. Und obwohl der einstige Straßenfeger "Wetten, dass . . . ?" in der medialen Mottenkiste ruht, war die TV-Konkurrenz dieses Mal gewaltig, spielte Hollywood doch fast in Bestbesetzung auf. Von wegen, das Fernsehen zeige nur noch Fußball und sonst nix. Wen ob der Achtelfinal-Gruselshow alsbald das große Gähnen überfiel, wer munter auf der Fernbedienung klimpern wollte, der hatte weit mehr als nur eine Alternative.

Während Ronaldo & Kroaten bis zur Verlängerung bei exakt 0 (in Worten: null) Torschüssen verharrten, feuerten nebendran, bei RTL, Brad Pitt und Angelina Jolie aus allen Rohren. Im Duell mit dem Killerpärchen "Mr. und Mrs. Smith" legten die RTL-Rivalen von Pro Sieben ebenfalls die Luft in Blei. Sie hielten mit "Departed - Unter Feinden" dagegen. Dennoch landeten Ronaldo & Co. auch gegen das Hollywood-Trio Leonardo DiCaprio, Matt Damon und Jack Nicholson einen leichten Sieg.

Können 12,59 Millionen Zuschauer (Marktanteil 43,9 Prozent) wirklich so sehr irren, die im Schnitt das große Nichts aus Lens verfolgten? Vermutlich sind die meisten, die nicht zu Angelina Jolie (Marktanteil 5,9) oder DiCaprio (3,4) überliefen, vor dem Fernseher eingepennt. Fürs Bügeln oder sonstige haushaltsnahe Tätigkeiten war es zu spät.

Zwar hat dieser Samstag den Fußball ein wenig befreit vom Vorwurf, dass sich alles nur noch um ihn dreht. Das macht das Phänomen aber kaum erklärbar, dass der Sofa-Mensch zwar die Macht hat - seine Fernbedienung -, sie aber nicht entschlossen nutzt. Warum läuft er nicht in Masse über? Nicht einmal zum Bayerischen Rundfunk, der für die Generation der Klementine (Jahrgang 1921) mit Liselotte Pulver (Jahrgang 1929) ins Samstagabend-Quoten-Rennen und ins "Spukschloss im Spessart" einzog?

Klar, was den Fußball am Leben hält, ist nicht nur die ewig junge Tatsache, dass niemand weiß, wie es ausgeht. Sondern auch, dass niemand weiß, wer der Mörder ist. Wer wäre schon darauf gekommen, dass Ronaldo sich in das Komplott einreiht? Dass dieser Beau sich Hände und Füße schmutzig macht, um das Spiel, das ihn weltberühmt werden ließ, berühmter als Pitt und DiCaprio zusammen, derart gnadenlos zu würgen. Während Hollywood seine Stars ins Schaufenster rückte, zog sich Ronaldo daraus zurück. Millionen sahen mit Schaudern zu, wie auch er rackerte, grätschte und so das Spiel im Spukschloss von Lens einem grausamen Tod entgegentrieb.

© SZ vom 27.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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