Kommentar:Der Knotenlöser

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Mancher hat daran gezweifelt, dass Jürgen Kramny den VfB wiederbeleben kann. Zumindest hat er all die Talente geweckt, die in der erfolgreichsten Rückrunden-Mannschaft geschlummert haben.

Von Klaus Hoeltzenbein

Warum fällt einem zum VfB Stuttgart zur Zeit nur immer wieder der Begriff "Katapult" ein? Natürlich, weil selten einer in der Tabelle derart beschleunigen konnte wie der VfB: von Rang 18 auf zehn in wenigen Wochen. Verbunden mit dem Sondereffekt, das erfolgreichste, das einzig verlustpunktfreie Team an den vier Spieltagen der Rückrunde zu sein. Woran sich auch nichts mehr ändert, wenn der FC Bayern an diesem Sonntag in Augsburg gewinnt.

Katapulte wurden in der Antike zum Abschießen von Steinen erfunden; im Verlauf der menschlichen Zerstörungsgeschichte wurde die Schleuderfunktion auf Pfeile, Brandsätze und sonstigen Unrat erweitert. Speziell beim rasant beschleunigenden VfB hatte man jüngst mal wieder den Eindruck, als gehe da ein Pfeil, ein Giftpfeil nach hinten los - ein Schuss auf die eigene Stellung, im Arsenal der Worte als "friendly fire" bekannt. Man kennt das beim VfB, diesen Hang ins Selbstzerstörerische, der oft verhindert hat, dass dieser Klub seine Potenziale ausreizt. Nun aber zielte Fredi Bobic aufs eigene Lager, mitten hinein in die Steigphase; ausgerechnet Bobic, dort mehr als VfB-Profi (1990 bis 1994) denn als VfB-Manager (2010 bis 2014) in positiver Erinnerung.

Die Skepsis des Fredi Bobic

"Da bin ich wirklich am Zweifeln", hatte Bobic vor zwei Wochen über Jürgen Kramny, den Initiator des Katapult-Effekts, ausgeführt: "Ich halte ihn für einen guten Trainer, aber ich habe ihn jetzt in der Bundesliga nicht für DEN Trainer gehalten." Was seine Persönlichkeit und die Weiterentwicklung des Fußballs angehe, müsse Kramny noch ein bisschen mehr bringen: "Da wird die Frage sein - wird er diesen nächsten Schritt machen können?"

Heute - einen 4:2-Sieg in Frankfurt und den 2:0-Sieg vom Samstag gegen Hertha BSC später - sagt Kramny, dessen Fähigkeiten so direkt angezweifelt wurden: "Wo das enden soll? Das muss ja nicht enden, das kann auch weitergehen."

Vorgänger Zorniger stellte der VfB-Elf eine Falle

Schaffe, schaffe, Punkte mache! Kramny erinnert in seiner Fixierung an André Schubert bei Borussia Mönchengladbach. An dessen Blitzstart nach dem ersten der bislang fünf Trainerwechsel dieser Saison. Auch Schubert hatte einen Tabellenletzten übernommen, auch Schubert sauste im Schleudersitz nach oben. Gladbach schien befreit zu sein aus der allzu engen taktischen Zwangsjacke, in die der Schweizer Lucien Favre, der dort so lange als Erfolgstrainer wirkte, die Borussia gepackt hatte.

Jede Trainer-Team-Beziehung geht einmal zu Ende, jene von Favre und Gladbach hielt länger als viereinhalb Jahre. Jene des Kramny-Vorgängers Alexander Zorniger zum VfB war nach nur 13 Spieltagen zu Ende. Mit einer sturen Offensivtaktik, die hochtrabend als Philosophie verkauft wurde, hatte Zorniger der eigenen Mannschaft eine Falle gestellt. In beiden Teams aber, bei der Borussia und beim VfB, schlummerten offenbar gewaltige Potenziale, die erst die Nachfolger wieder wecken konnten. Die Wege von Schubert und Kramny haben viele Parallelen, nicht nur, weil sie im Hoody oder in der Allwetterjacke vergleichsweise uneitel an der Seitenlinie stehen. Beide konnten zudem Psycho-Knoten lösen, die die Vorgänger allzu fest gezurrt hatten.

Dass die Welle irgendwann brechen wird, weiß eh jeder

Nichts ist für die Ewigkeit, schon gar nicht im Trainergewerbe. Das ist ein Abnutzungsbetrieb. In Gladbach ist Schubert über die heiße Flirtphase hinaus. Seine Defensive gestattete zuletzt manchen Tag der offenen Tür, den der Erstliga-Novize schon leicht gereizt zu erklären versuchte. In Stuttgart kannten sie Kramny schon länger, er betreute die zweite Mannschaft. Bereits zu jener Zeit, als Bobic dort Manager war und er ihm andere als Cheftrainer vorzog, zum Beispiel den heutigen Löw-Assistenten Thomas Schneider. Wenn Kramnys Katapult-Trend einmal endet, kann Bobic behaupten, er habe es immer schon gewusst. Da ist er in einer ähnlich komfortablen Situation wie jene Börsen-Propheten, die gebetsmühlengleich wiederholen: Der Crash wird kommen! Der Crash kommt!

Die wahre (Trainer-) Kunst hingegen liegt darin, das ist seit der Antike bekannt, überhaupt erst einmal eine solche Welle wie der VfB zu starten. Auf der eine Mannschaft dann den Spaß, die Leichtigkeit und ihr Talent wieder entdecken kann. Dass diese Welle irgendwann brechen wird, weiß nicht nur Fredi Bobic. Es sagt nur nicht jeder. Und schon gar nicht so laut.

© SZ vom 14.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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