Kommentar:Der Ball rollt davon

Lesezeit: 2 min

Viel haben die Olympischen Spiele dem Fußball heutzutage nicht mehr entgegenzusetzen. Der ist so spektakulär, global verbreitet und so begehrt bei Zuschauern und Medien, dass er noch das größte Führungsdesaster überleben kann.

Von Thomas Kistner

Am Samstagabend gab es Feuerwerke in Rio. Keine großen, geplanten Raketen-Partys, wie sie bei den offiziellen Olympia-Zeremonien gezündet werden. Aus Freude über Neymars goldenen Schuss im Elfmeter-Vergleich mit den seit dem 1:7 bei der WM 2014 mäßig beliebten deutschen Kickern, jagten Fans vielerorts Böller in die Luft, eine krachende Bestätigung dessen, was das Organisationskomitee bereits am Vortag kundgetan hatte: Es hoffe sehr, dass die Schlussfeier der Olympia-Sause nicht erst am Sonntag um 20 Uhr Ortszeit beginnt, sondern 24 Stunden früher mit dem Triumph der Fußball-Auswahl. Der wichtigsten Mannschaft in dem einzigen Sport, der den Brasilianern wirklich etwas bedeutet.

Das ganze Olympia-Programm war auf diesen Moment ausgerichtet. Der Schlussakkord, das war allen klar, würde entscheiden, wie diese Spiele in der Gastgebernation nachhallen. Es wurde eine finale Erleichterung; die Freude darüber war so groß, dass sie dem Internationalen Olympischen Komitee vor Augen führte: Olympia verblasst, wenn der Ball rollt - selbst dann, wenn er im Zeichen der Ringe rollt.

Im Sport ist es am Ende halt wie im Leben: The winner takes it all

Auf diesen Trend müssten die Spiele-Bosse nun eigentlich reagieren. Das Publikumsinteresse driftet seit gut einem Jahrzehnt rasant weg von all den schwer überschaubaren Schneller-Höher-Weiter-Sportarten, hin zum Fußball. Und im Sport ist es am Ende halt wie im richtigen Leben: The winner takes it all. Es gibt also eine Entwicklung, der das IOC begegnen müsste. Es müsste dem Fußball etwas entgegenstellen. Für diese Herausforderung braucht es kompetente Manager, zeitgemäße Konzepte und überzeugendes Führungspersonal. Aber hier weisen die Spiele in eine andere Richtung. Was zu Thomas Bach noch zu sagen ist, der vor drei Jahren als IOC-Chef mit einer Reform-Agenda 2020 antrat, hat Thomas Bach am Samstag in seiner Spiele-Bilanz selbst gesagt. Zur Whistleblowerin Julia Stepanowa, die das Staatsdoping in Russland enthüllen half, in Rio aber nicht starten durfte und nun um ihr Leben fürchtet, nachdem ihre E-Mails gehackt wurden, erklärte Bach: "Wir sind nicht verantwortlich für die Gefahren, denen Frau Stepanowa ausgesetzt sein mag." Sogar im Vatikan hat es ein Reformer an die Spitze geschafft. Im IOC ist das unvorstellbar. Der besondere Reiz der großen olympischen Sportarten lag einst darin, dass sie so simpel sind; es braucht nicht viel zum Laufen oder Schwimmen. Dort werden sich immer viele Nationen messen können - und weitaus weniger im Stande sein, schlagkräftige Teams aufzubauen, die bei einer Fußball-WM bestehen könnten. Olympia wirkte lange nahbarer als der große Fußball und seine Millionäre; und erstaunlich lange wirkte Olympia auf viele auch als wesentlich sauberer. Dabei blättert der werbeträchtige Reinheitsappeal seit einiger Zeit wie ein Anstrich aus Leuchtfarbe ab. Das Bild, das sich dahinter zeigt, ließ sich in Rio erkennen: Es schimmelt an immer mehr Stellen. Jetzt treten auch noch die letzten Helden mit Charisma ab: Sprinter Bolt und Schwimmer Phelps.

Viel hat Olympia dem Fußball nicht mehr entgegenzusetzen. Der ist so spektakulär, global verbreitet und so begehrt, dass er noch das größte Führungsdesaster überleben kann. Aber Olympia?

© SZ vom 22.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: