Kommentar:Darauf einen Steroid-Mix

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Der kleine Riss in der Tür, die der Leichtathletik-Weltverband für Russlands Sportler zugeschlagen hat, ist jetzt ein Scheunentor.

Von Thomas Kistner

Unterm Strich durfte nichts anderes erwartet werden vom Internationalen Olympischen Komitee, dem Dachgremium des modernen Pharmasports. Verblüfft hat nur das Tempo und die Ungeniertheit, in der IOC-Chef Thomas Bach Wochen vor Veröffentlichung eines brisanten Untersuchungsreports des Kanadiers Richard McLaren zu staatlich orchestriertem Doping in Russland die Causa auf Hausmacherart regelte: Schluss! Unter den Teppich damit!

Dass im McLaren-Report sogar eine Verstrickung des Sportministeriums thematisiert wird, ist irrelevant für das IOC. So, wie das Ballyhoo des organisierten Sports über die vergangenen Monate. Am Dienstag hat der Boss des Olymps den Instrumentenkoffer geöffnet, ein sehr erhellender Sportmoment: Bach legte in seltener Deutlichkeit dar, wie glatt seine Hinterzimmerpolitik funktioniert.

Bach ersinnt einen besonderen sportpolitischen Trick

So hat sich der kleine Riss in der Tür, die der Leichtathletik-Weltverband am Freitag für Russlands Sportler zugeschlagen hatte, als Sollbruchstelle erwiesen. Der Riss ist jetzt ein Scheunentor: "Nachweislich saubere" Leichtathleten dürfen doch in Rio starten. Nachweislich sauber? Das ist ein Witz, nur zwei Gründe dafür seien kurz genannt: Intensiv gedopt wird ja Monate vor den Spielen, in der heißen Wettkampfvorbereitung. Wer es jetzt noch nicht getan hat, braucht nicht mehr damit anzufangen. Darauf weisen (vermutlich wirklich saubere) Athleten in Protestbriefen immer wieder hin. Zweitens weiß jeder Betroffene, dass ihm Tests in den Wochen bis Rio blühen. Das Ganze heißt übrigens Null-Toleranz. Bachs Lieblingsbegriff zum Thema.

Russische Topathleten werden dabei sein, und das ist nur das eine. Denn was taugte Putins Sportlern selbst eine olympische Generalamnestie plus Dopingfreigabe, wenn ihnen doch das Schlimmste drohte: dass sie unter neutraler, olympischer Flagge starten müssten? Was brächte da das tollste Staatsdoping?

Ruhig Blut. Bachs sportpolitischer Besteckkoffer hat auch hier das Passende: Da ist ja noch Russlands Nationales Olympisches Komitee. Das hat niemals was mitgekriegt und sich all die Zeit so vehement an der Aufklärung beteiligt, dass es nicht gesperrt wurde! Na gut, die Unterbringung russischer Olympiaanwärter in militärischen Sperrgebieten, wo externe Kontrolleure nicht hinein durften, hat es nicht verhindern können. Und stattdessen jetzt den Gang zum Sportgerichtshof Cas angekündigt, um seine Leute freipauken zu lassen. Aber klar: Auf den Dreh mit dem russischen NOK war niemand gefasst. Nun lässt sich die Regellage so darstellen, dass ein intaktes NOK seine Sportler unter der Landesflagge starten lassen darf. Bachs armes IOC ist da übrigens machtlos.

Das Imperium des Sports schlägt zurück, zugleich erzählt es ernsthaft: "Der Schutz sauberer Athleten bleibt Priorität des IOC." Darauf einen Steroid-Mix aus dem Hause Grigorij Rodtschenkow. Russlands in die USA geflohener Chef-Dopingfahnder hat jüngst erklärt, wie er Sportler mit flott wirksamen Cocktails versorgte: ein Milligramm Steroidmix pro Milliliter Alkohol. Whisky für die Herren, Martini für die Damen. Also auf Rio!

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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