Kommentar:Betteln um den Schuldenschnitt

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Aus Brasilien wurden zuletzt 167 Profis ins Ausland transferiert. Die 91 Millionen Euro, die die Klubs dadurch einnahmen, decken den Finanzbedarf aber bei Weitem nicht.

Von Thomas Kistner

Der Ausverkauf brasilianischer Fußball-Talente hält an. Die Zwischenbilanz im laufenden Geschäftsjahr zeigt die Veräußerung von 167 Profis ins Ausland; beschwichtigend teilt der Landesverband CBF mit, der Exodus spüle den Klubs immerhin rund 91 Millionen Euro in die traditionell bodenlosen Klubkassen. Was indes nicht viel ist in dieser Branche. Doch Brasiliens Fußball ist am Ende, überschuldet und von Korruption zerfressen. Da nimmt man, was man kriegen kann.

Was auch für Profis mit Perspektive gilt: Ein Job im Ausland ist besser, als neben der Kickerei eine Intensivschulung in Sachen öffentlicher Proteste zu absolvieren. Die Bilder, die Brasiliens Fußball nach der WM kreiert, zeigen Mannschaften in Reih und Glied, die auf riesigen Spruchbändern nach ihren seit Monaten ausstehenden Salären fragen. Sie zeigen Spieler, die in ihren Trikots auf dem Rasen liegen und den Einsatz verweigern.

Der Niedergang des Fußballs just im Land des Rekordweltmeisters offenbart in der Nussschale, was einer Branche blüht, die weitgehend unkontrolliert (zumal auf internationaler Ebene) Geschäfte unter Kameraden pflegt. Dem kläglichen Scheitern der Seleção bei der WM 2014 und der Copa América 2015 steht eine vom FBI beglaubigte Tabellenführung in Sachen Korruption gegenüber: Ermittelt wird gegen die drei CBF-Topfunktionäre des letzten Vierteljahrhunderts. Diese Offiziellen haben den heimischen Kollegen und Untertanen dreist vorgelebt, wie man im Ehrenamt Millionen scheffeln bzw. verbrennen kann.

Kurz nach der WM daheim, die dem Schwellenland Brasilien eigentlich den großen Schub auf dem Weg in die erste Welt verschaffen sollte, traten Dutzende Sünder kleinlaut zum Rapport bei Staatschefin Dilma Rousseff in Brasilias Palácio do Planalto an: das Gros der 40 Klubchefs aus den beiden Profiligen. Diese Vereine allein sind beim Staat mit fünf Milliarden Reais (1,5 Milliarden Euro) verschuldet, viele führen weder Steuern noch Sozialleistungen ab; die anschwellenden Außenstände bei staatseigenen Banken werden ignoriert. Der populärste Klub im Land, Flamengo Rio de Janeiro (dessen Trikotfarbe die deutsche Elf beim 7:1-WM-Triumph über die Seleção listig abgekupfert hatte) schuldet dem Fiskus allein 150 Millionen Euro. Der Betrag muss verfünffacht werden, will man ihn mit der Einkommenssituation in Mitteleuropa vergleichen.

Die Klubchefs betteln nun um einen Schuldenschnitt, der Steuerzahler soll ebenso ran wie er das absurde Erbe der WM schultern muss: Viele der zwölf heute zumeist überflüssigen Stadien alimentiert die öffentliche Hand mit Einnahmegarantien über bis zu 30 Jahre.

Kein Wunder, dass Profis mit Perspektive und gewieften Beratern scharenweise ihr Heil im Ausland suchen. Kein Wunder aber auch, dass die Fans jene historische Schmach, das 1:7 im WM-Halbfinale im eigenen Land, längst nur noch auf der Scherzebene behandeln. Es gibt doch Wichtigeres als das schöne Spiel - bemerkenswert, dass gerade Brasilien dieses Signal an den Fußball schickt.

© SZ vom 23.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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