Kommentar:Beruf: Kopf unter Wasser

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2500 Kilometer im Jahr, allein mit sich, kaum Geld: Zur Meisterschaft in Berlin wird wieder deutlich, wie hart Schwimmen ist.

Von Claudio Catuogno

Die Großeltern von Paul Biedermann hatten früher ein Segelboot, sie haben ihren Enkel oft mit hinaus genommen auf den See. Wenn sie wieder aufs Ufer zusteuerten, ist Biedermann über die Reling gesprungen und das letzte Stück geschwommen. Der Faszination des Wassers kann man sich schwer entziehen. Wie weit trägt es mich? Komme ich rüber ans andere Ufer? Würde ich es bis zu dieser Insel dort hinten schaffen, jetzt mal nur so theoretisch? Bei den deutschen Schwimm-Meisterschaften in Berlin wirbt gerade eine Ferienregion mit einem Video, in dem eine junge Frau von einem Steg in einen Alpensee springt. Schwimmen: herrlich!

Aber würde man das beruflich machen wollen? Immer den Kopf unter Wasser, Stunde um Stunde, zwölf Kilometer am Tag, 2500 Kilometer im Jahr, einmal um den Äquator in einem Schwimmerleben? Paul Biedermann, Doppelweltmeister, Doppelweltrekordler, sagt, er genieße das bis heute: diese Abgeschiedenheit von der Welt während des Trainings, dieses Ganz-bei-sich-Sein. Allerdings hat Biedermann, 28, im Vergleich zu anderen Schwimmern zwei Vorteile. Erstens deutet viel darauf hin, dass seine geliebte, krachlaute Heavy-Metal-Musik in seinem Kopf einfach weiterläuft, wenn er vor dem Startsprung die Ohrstöpsel rausnimmt. Und zweitens hat er 2009 bei der WM in Rom Michael Phelps geschlagen, was ihm bis heute ein ordentliches Auskommen als Berufsschwimmer beschert. Kaum zu glauben, dass Paul Biedermann früher mal durch die Seepferdchen- Prüfung gefallen ist.

Im Schwimmen ist der Wettstreit um Medaillen global - und rau

Denn mit dem Seepferdchen (Sprung vom Beckenrand, 25 Meter Schwimmen, Heraufholen eines Gegenstands aus schultertiefem Wasser) fängt es meistens an. Kinder sollen schwimmen lernen, das ist eine Frage des Überlebens, und wenn sie das Glück haben, es besonders gut zu können, dürfen sie vielleicht mit zehn Jahren auf ein Sportinternat wechseln, wo sie dann mit 14 Jahren erfahren, dass sie den Trainingsrückstand auf die Chinesen und Amerikaner ihres Alters nicht mehr werden aufholen können. "Fehlende Belastungsverträglichkeit, zu geringes Ausdauerniveau", mit diesen Schadensmeldungen des Deutschen Verbands sind auch sie gemeint, die sie doch schon von sechs bis acht Uhr morgens trainieren, dann Schule, Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung, Physiotherapie, noch mal Training. Auch eine Frage des Überlebens. Wenn es gut läuft, gibt es irgendwann ein paar hundert Euro im Monat von der Sporthilfe, und wenn es richtig, richtig gut läuft, einen kurzen Moment des Glücks bei Olympia. Aber richtig, richtig gut läuft es seit Jahren eigentlich nur noch sehr punktuell.

Kaum eine Sportart ist so ursprünglich wie das Schwimmen, das macht sie so faszinierend und den globalen Wettbewerb um Medaillen so rau. Der Körper, das Wasser - sonst nichts. Sonst nichts? Dass ursprüngliche Kraft- und Ausdauersportarten besonders anfällig sind für die geheimen Schnellmacher des Sportwettrüstens, dieser Aspekt kommt dann auch noch dazu, wenn man sich am Küchentisch irgendwann die Frage stellt: Soll man das wirklich wollen, dass die eigenen Kinder gegen Chinesen, Amerikaner, Australier in die Medaillenschlacht ziehen? Die Frage stellen sich Eltern wohl in allen Sportarten, aber in kaum einer stehen Aufwand und Ertrag hierzulande in so einem Missverhältnis wie im Schwimmen, jedenfalls dann, wenn man den Ertrag in Eurobeträgen bemisst.

Man kann nur seine Badekappe ziehen vor jedem dieser erwartungsfrohen Sommersprossen- und Zahnspangengesichter, die es im Berliner Meisterschaftsbecken derzeit trotzdem versuchen.

© SZ vom 11.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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