Kommentar:Attacke auf die Glaubwürdigkeit

Lesezeit: 1 min

Der 1500-Meter-Rekord von Monte Carlo kommt für die von Manipulationsgerüchten zerfurchte Leichtathletik zur unrechten Zeit. Denn der Weltverband IAAF steht personell und strukturell vor einem Neuanfang.

Von MICHAEL GERNANDT

Es gibt Sachen in der Leichtathletik, die glaubt man nicht, wenn man sie nicht gesehen hat. Das Problem für diesen Sport ist aber: Selbst wenn man sie gesehen hat, kann man manchmal vom Glauben abfallen. Wie jetzt beim Weltrekordlauf der Äthiopierin Genzebe Dibaba. Unglaublich, was die junge Athletin zum Besten gab, fast schon gespenstisch, wie sie die Grenzen des bisher Machbaren auf der Schlussrunde niederriss und die Zeitmessung ihrem Willen unterwarf. Also fabelhaft das alles, unwirklich wie eine erdichtete Erzählung, wie eine Fabel eben?

Solche Fabeln können die Leichtathleten im Moment gar nicht gebrauchen. Ergo auch keinen außerirdischen Rekord wie den von Dibaba, mit dem die Äthiopierin die 22 Jahre alte Höchstleistung der Chinesin Yunxia Qu von der Spitze verdrängte. Qu und fünf andere sagenhafte Befehlsempfängerinnen aus der "Armee" von Radikalcoach Ma Junren verschwanden wegen massiver Dopingvorwürfe bald wieder von der Bildfläche. Hinterlassen haben sie Weltrekorde, die, neben anderen aus der Zeit vor 2000, bis heute wie architektonisch misslungene Mahnmale in der Landschaft stehen. Und jetzt soll Dibaba allen Ernstes auf einem Denkmal thronen, zu dem vertrauensvoll aufgeblickt werden kann?

Nein, die 1500-Meter-Show von Monte Carlo ist nur eine weitere Attacke auf die Glaubwürdigkeit des von Manipulationsgerüchten zerfurchten Sports und absolut kein Anlass, weltweit Hosianna zu rufen. Sie wird zwangsläufig dem Weltverband IAAF wieder lästige Diskussionen bescheren und kommt ihm, der personell und strukturell vor einem Neuanfang steht, deshalb zur Unzeit. Das neueste Fabelwesen passt indessen exakt ins System der im August auslaufenden Ära des Verbandschefs Diack. Dessen Credo galt der Überhöhung des Weltrekords - ein falscher Ansatz für die Antidopingpolitik der IAAF - und der götzenhaften Verehrung von Typen, die Rekorde in Monstren verwandeln und der Jugend Vorbild sein sollen. Siehe Usain Bolt. System hat zudem, wie widerstandslos Diacks IAAF der wirren Haltung der Meetingchefs in Dopingfragen begegnet: In London geben sie sich moralisch und lassen den ehemaligen Doper Gatlin nicht laufen, und in Monaco blasen sie generalstabsmäßig zum Angriff auf einen der anrüchigsten Weltrekorde. Merke: Nur Rekorde und ihre Vollstrecker steigern den Marktwert, Dopingdebatten schaden dem Geschäft.

Ob sich nach Diack das Klima ändert, unter einem Nachfolger, der entweder Coe heißt oder Bubka? Was die früher am besten konnten, ist allseits bekannt: Fabel-Weltrekorde aufstellen.

© SZ vom 20.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: