Kommentar:Alternder Popstar

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(Foto: sz)

Usain Bolts Verletzungen häufen sich. Sein Fehlen macht der auf Weltrekorde und Stars ausgerichteten Leichtathletik zu schaffen.

Von Johannes Knuth

Usain Bolt ist immer präsent, auch wenn er gar nicht da ist. In Paris zum Beispiel. Der Jamaikaner hatte sich für das Diamond-League-Meeting am Samstag für die 100 Meter eingeschrieben, er ist aber leider unpässlich, sein Iliosakralgelenk sei blockiert, richtete er zu Wochenbeginn aus. Was wenig daran änderte, dass Bolt allgegenwärtig war, auf den Plakaten in der Stadt, in den Gesprächsrunden. "Ich wüsste nicht, warum er nicht zurückkommen und schnell laufen sollte", sagte Asafa Powell, Bolts Landsmann, den die Organisatoren als Ersatz für die Pressekonferenz einberufen hatten. Powell hatte noch einiges zu berichten, über sich zum Beispiel, die Journalisten interessierte das nur am Rande.

Seine Nachbarn klagen über laute Musik, Partys und Geschrei

Bolt ist alles im Sprint, noch immer, auch wenn er eben nicht da ist. Die Verknappung gehört seit einer Weile zum Geschäftsmodell des Weltrekordlers über 100 (9,58 Sekunden) und 200 Meter (19,19); das trieb jahrelang die Gagen in die Höhe, die Aufregung, die Spannung. Aber jetzt?

Seit zwei Jahren häufen sich die Verletzungsdiagnosen in Bolts Krankenakte. In der aktuellen Saison hat er sich bloß fünf Mal an der Startlinie blicken lassen. Seine jüngste Tat - 20,13 Sekunden über 200 Meter in New York - ließ selbst ihn, den Clown vom Dienst, ratlos zurück. Bolt zeigte vor dem Rennen brav seine Sternendeutergeste, dieses Denkmal des PR-Sports, doch seine Darbietungen passen gerade nicht zum Drumherum, wie bei einem alternden Popstar, der nur noch jede zweite Note trifft. Die Zeiten, die Bolt einst routiniert abspulte, bietet mittlerweile nur Justin Gatlin an. Ob Bolt sich traut, den Amerikaner in sieben Wochen bei der WM in Peking herauszufordern, erscheint immer unwahrscheinlicher. Die größte Aufmerksamkeit erregte Bolt zuletzt, als seine Nachbarn in Kingston über dessen ausschweifenden Lebensstil klagten, über "laute, fürchterliche Musik, Motorräder, Partys und Geschrei".

Es hat den Anschein, als würde seine Karriere austrudeln

Lamine Diack, der scheidende Präsident der Welt-Leichtathletikverbandes IAAF, hat Bolt einmal als "Retter der Leichtathletik" bezeichnet. Weltrekorde und Stars, das war stets Diacks Verkaufsmodell für diesen Sport, und niemand förderte den Absatz besser als Bolt. Dass er an dopinggetränkten Rekorden der Kollegen vorbeispazierte, einmal sogar mit offenem Schnürsenkel? Geschenkt. Derzeit lassen sich die Gefahren dieser Monokultur bezeugen. Die Ernte, die Bolt einfährt, ist seit ein, zwei Jahren dürftig. Andere Einkommensquellen wurden kaum kultiviert. Die Leichtathletik ist reich an interessanten Charakteren und Geschichten, das ist auch in Paris wieder sichtbar: Valerie Adams, der Kugelstoßerin aus Neuseeland; Kirani James, der über 400 Meter einst die erste Olympiamedaille überhaupt für Grenada gewann; Shelly-Ann Fraser-Pryce, die in einem rauen Viertel in Kingston aufwuchs und heute Botschafterin eines Kinderhilfswerks ist.

Aber was können die Athleten schon ausrichten, wenn der Weltrekord die einzig akzeptierte Währung ist?

Diack wird Ende August abtreten, und derzeit hat es den Anschein, als würde mit seiner Ära auch jene des Usain Bolt austrudeln; spätestens in Rio 2016 will der Jamaikaner aufhören. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Vielleicht rücken dann wieder jene Darsteller auf die Bühne, die etwas mehr aufsagen können als Phrasen und mehr bieten als Dopingverdacht. Andererseits: Der aktuell schnellste Mann der Welt, Justin Gatlin, 32, hat auch schon seine Sperre abgesessen, vier Jahre lang. Derzeit läuft er schneller als je zuvor.

© SZ vom 04.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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