Kommentar:Alarmstufe Rot

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Das Vorgehen der Fifa zeigt an, dass auch Sepp Blatter sich auf Klagen von der Institution einrichten darf, als deren Übervater er sich weiterhin sieht.

Von Thomas Kistner

Es ist gut, dass die Fifa ihre langjährigen Kostgänger verklagt. Aber natürlich tut sie das mit gemischten Gefühlen: Bei derlei Prozessen sind oftmals Schlammschlachten zu erwarten. Ziel der Beschuldigten wird es sein, ihr Treiben nicht als klandestin, sondern als branchenüblich darzustellen - mit jeder Menge Mitwisser, auch im Fußball-Weltverband. Deshalb klagt die Fifa auch, weil ihr gar nichts anderes übrig bleibt, wenn sie unter den misstrauischen Augen der US-Justiz ihren Opferstatus im globalen Fußballsumpf beibehalten will. Wird sie als Täter angesehen, kann sie den Laden dichtmachen.

Aus diesem schlichten Grund, das ist die Ironie der Geschichte, wendet sich das gewaltige Korruptionswerk nun gegen seine Konstrukteure. Für frühere Fifa-Spitzenleute herrscht Alarmstufe Rot. Auch für solche, die noch nicht in den Anklageschriften publiziert sind, aber im Fokus der Ermittlungen stehen.

Der schillerndste Kandidat ist Sepp Blatter. Das Vorgehen der Fifa zeigt an, dass auch er sich auf Klagen von der Institution einrichten darf, als deren Übervater er sich weiterhin sieht. Die Schweizer Bundesanwaltschaft ermittelt bereits in zwei Fällen gegen Blatter, der die Fifa über Jahre in seinen Spitzenämtern an den Vulkanrand geführt hat. Beide Fälle, eine Millionenzahlung an den Franzosen Michel Platini und ein Rechtedeal mit Jack Warner aus der Karibik, sind substanziell; sie könnten sich, nach Lesart der Weltverbands-Anwälte, auf bis zu 20 Millionen Dollar summieren. Ein Prozess Fifa versus Blatter hätte auch tragikomische Züge.

Weniger amüsant sind die Schlüsse, die die Betreiber der deutschen WM 2006 und der südafrikanischen WM 2010 aus dem neuen Verfahren ziehen dürfen. Die Fifa-Anwälte haben in Bezug auf eine monströse Zahlung der WM-Organisatoren von 2010 an Warner und Co. ihr Urteil sogar schon vor der US-Justiz gefällt: Sie glauben nicht daran, dass die Veranstalter am Kap eine karitative Notwendigkeit darin gesehen haben, aus ihren knappen Budgets zehn Millionen Dollar Entwicklungshilfe für eine "afrikanische Diaspora in der Karibik" abzuzweigen. Wer an so eine Afrika-Diaspora glaubt, glaubt auch an den Osterhasen - und in dieser Logik auch an den Kern der deutschen Sommermärchen-Story.

Es gibt ja eine ähnlich gelagerte Zehn-Millionen-Zahlung der deutschen WM-Betreiber. Die ging an einen Baukonzern in einem der reichsten Länder der Welt, in Katar. Also an die deutsche Diaspora in Doha? Nicht ganz. Sehr originell wird aber auch dieser Geldfluss begründet: Das WM-OK will zehn Millionen Franken Vorschuss an jemanden gezahlt haben, der im Fifa-Finanzkomitee sitzt, um dafür 100 Millionen von der Fifa zurückzukriegen, als Organisationszuschuss. Die Fifa und Blatter selbst haben dies bereits ins Reich der Fabel verwiesen: Solche Deals habe es nie gegeben.

In der Logik des Fifa-Vorgehens müsste nun auch dieser Vorgang in eine Klageschrift fließen. Die deutschen Märchen-Betreiber sollten sich also überlegen, welche Erklärung die bessere ist. Bleibt es bei der Vorschuss-Story für die Fifa, müsste diese das Geld als Schaden einfordern, weil nicht sie, sondern eine Privatfirma in Doha der Empfänger war. Oder war es eine andere Zahlung - für Korruption im Kontext der WM 2006? Der Schluss liegt ohnehin viel näher.

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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