Klare Worte in Hannover:Mutti und andere Schufte

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Bei der Aufarbeitung des Scheiterns der Hamburger Olympiabewerbung überrascht Sportbund-Präsident Alfons Hörmann mit einem Rundumschlag gegen Sportfunktionäre und Politiker.

Von Johannes Aumüller, Hannover

Die Rede von Alfons Hörmann war vorbei, der Saal begann zu klatschen - und manche Delegierten blickten sich fragend um, ob noch etwas geschehen würde. Angeblich war vorher die Idee besprochen worden, den Auftritt des Präsidenten in der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in jedem Fall mit Ovationen zu bedenken. Aber nach Hörmanns Rede fand sich zunächst niemand, der den Anfang machte - bis sich irgendwann Eishockey-Mann Franz Reindl erhob, wie Hörmann Bayer und Wintersportler. In der Reihe davor ruderte ein Delegierter aufmunternd mit beiden Armen, dann standen viele auf und klatschten noch eine Weile weiter.

Es war ein ungewöhnlicher Auftritt, den Alfons Hörmann in Hannover hatte. Der deutsche Sport war zusammengekommen, um das Nein Hamburgs zu einer Spiele-Bewerbung 2024 zu verarbeiten - und er wollte diskutieren, wie es weitergeht. Selbstkritik gab es von Hörmann nicht, der DOSB habe im Kern nichts falsch gemacht, lautete seine Botschaft. Stattdessen holte er zum Rundumschlag aus. Gegen Teile des nationalen und des internationalen Sports, aber auch gegen die deutsche Politik. Das sollte die eigenen Reihen schließen, ist aber auch ein riskantes Spiel.

Hörmann sah sich von den jüngsten Skandalen in Fußball und Leichtathletik um entscheidende Prozentpunkte beim Referendum gebracht. Also wetterte er gegen die Weltverbände Fifa und IAAF. Er kritisierte die deutschen Vertreter in deren Gremien, namentlich den früheren Fifa-Vorständler Theo Zwanziger sowie das langjährige IAAF-Council-Mitglied Helmut Digel. Diese seien gutgläubig gewesen und ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden. "So dürfen wir Deutschland international nicht präsentieren und repräsentieren", sagte Hörmann.

Sportbund-Präsident Alfons Hörmann. (Foto: Peter Steffen/dpa)

Er prangerte die nationalen Verbände von Fußball und Leichtathletik an: "Welche Initiativen haben der DLV und der DFB in welcher Form ergriffen?" Bei den Fußballern, die trotz Fifa- und Sommermärchen-Affäre noch auf eine Großveranstaltung im Jahr 2024 hoffen dürfen (die EM), monierte Hörmann auch die geplanten Vergütungsregeln für den designierten Präsidenten Reinhard Grindel. Dieser will ehrenamtlich tätig sein, soll aber auf Einkünfte von 170 000 Euro kommen. Das wirke wie eine "Mogelpackung", so Hörmann: "Wo Ehrenamt draufsteht, muss auch echtes Ehrenamt drin sein", sagte der DOSB-Boss, im Hauptberuf selbst Unternehmer.

Die Reaktionen erfolgten prompt - und heftig. "Das ist einfach oberflächlich und damit unanständig, weil es dem deutschen Sport nicht weiterhilft und die verunglimpft, die sich um Aufklärung bemühen", sagte Theo Zwanziger, früher DFB-Chef und von 2011 bis 2015 im Fifa-Vorstand, der SZ. Der 70-Jährige nimmt für sich in Anspruch, im Weltverband einige Reformen angestoßen zu haben. Digel sprach in der FAZ von Verleumdung. Und DLV-Präsident Clemens Prokop war "irritiert". Rund um den Dopingskandal hätte die deutsche Leichtathletik so viele Initiativen ergriffen, "dass ich nicht ins IAAF-Council gewählt wurde". An Hörmann gab er die Frage zurück: "Welche Initiativen hat der DOSB beim IOC gestartet, um aufzuklären, welche weiteren Sportarten von Russlands Dopingsumpf betroffen sind?"

Noch verblüffender als Hörmanns Schelte in Richtung mancher Sportfunktionäre war sein Angriff auf die Politik. Er ging Finanzminister Wolfgang Schäuble an, der am Abend des Hamburger Neins einen liebenswürdigeren Sport gefordert hatte. Auch die Parlamentarier aus Sport- und Haushaltsausschuss, in der Mehrheit treue Freunde des Sports, bekamen ihr Fett weg. Der Hintergrund: Kürzlich gab es die Entscheidung, ein wissenschaftliches Projekt der Sporthochschule Köln aus Bundesmitteln mit drei Millionen Euro zu fördern. "Wir empfinden den deutschen Sport nicht als Versorgungswerk für emeritierte Professoren", schimpfte Hörmann.

Immerhin unterließ er es, auf offener Bühne Bundeskanzlerin Angela Merkel anzugreifen. Nach der Sitzung der Spitzenverbände am Vortag hatte sich auf den Fluren rasch ein Zitat verbreitet, nach dem Hörmann über mangelnde Unterstützung der Bundespolitik und von "Mutti" bei der Hamburg-Bewerbung geklagt habe; auf Anfrage dementierte er die Formulierung nicht. Jedenfalls suchte zu später Stunde des freitäglichen Abendempfanges Innenminister Thomas de Maizière den DOSB-Chef noch zu einem Gespräch auf. In der Rede am Samstag sparte Hörmann das Thema aus, aber es gab einen Videogruß des Hamburger Unternehmers und Bewerbungs-Unterstützers Alexander Otto, in dem es hieß: "Von Angela Merkel hätten wir uns ein bisschen mehr erwünscht." Die Versammlung quittierte das mit vernehmbarem Applaus. Hörmann sagte auf Nachfrage, "die aktive Unterstützung der Kanzlerin in Form von Beteiligung vor Ort" habe leider nicht stattgefunden.

Der Angriff auf die Politik ist erstaunlich. Hörmann genoss bisher im Innenministerium (BMI) und bei den Parlamentariern tendenziell einen guten Ruf - nicht zuletzt im Kontrast zum eigenen Vorstandsvorsitzenden Michael Vesper, dessen Auftreten manche verstört. Zudem stehen diverse Projekte an, in denen der Sport auf die Unterstützung der Politik angewiesen ist. Wohl auch vor diesem Hintergrund mahnte de Maizière in seiner Replik, der Sport solle sich diejenigen, "die als Verbündete da sind", auch als Verbündete halten.

Das wichtigste Thema ist dabei die Strukturreform des Leistungssportes. Bisher gab das BMI jährlich zirka 160 bis 170 Millionen Euro, der Sport hätte gerne deutlich mehr. Aber de Maizière will noch keine Zusagen machen: Er fordert erst die Vorlage einer neuen Struktur, danach könne es um die Finanzen gehen.

Politik und Sport werden dabei darum balgen, wer das Sagen hat. Schon am Wochenende gab es viele Diskussionen rund um ein Papier des Bundesinstituts für Sportwissenschaft, das zum BMI gehört. Darin war von einer Einrichtung eines Bundesamtes für Sport als zentraler staatlicher Steuerungsstelle die Rede. Hörmann kritisierte das heftig als "Entwicklung zurück in die vergangenen Jahrhunderte". De Maizière wies die Idee als "dämlich" zurück und gab vor, nie von ihr gehört zu haben. Aber Debatten um solche Themen dürfte es bald noch öfter geben.

© SZ vom 07.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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