Katja Poensgen:Süchtig nach Freiheit und Abenteuer

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Nach der Geburt ihres Kindes dachte man, Katja Poensgen würde keine Rennen mehr fahren. Nun ist sie unterwegs von Moskau in die Mongolei.

Jürgen Schmieder

Holli Poensgen spielt mit einem Stein. Dann dreht sie sich um, läuft zu ihrer Mutter und hüpft in ihre Arme. ,,Mama geht jetzt arbeiten'', sagt sie. Diese Szene wäre nicht ungewöhnlich, hätte sie sich nicht auf dem Roten Platz in Moskau abgespielt - und wenn die Mutter der zwei Jahre alten Holli nicht Katja Poensgen wäre. Arbeiten gehen bedeutet für sie, in ein Rallyeauto zu steigen und zwei Wochen lang durch die russische und mongolische Steppe zu fahren.

Katja Poensgen und ihre Tochter Holli. (Foto: Foto: Schmieder)

Katja Poensgen ist eine der Teilnehmerinnen an der Transsyberia 2007, einer Rallye von Moskau nach Ulaanbatar in der Mongolei. Mehr als 7000 Kilometer innerhalb von 14 Tagen müssen die Fahrer zurücklegen, über die Sanddünen der Wüste Gobi, durch zwei Meter tiefe Flüsse und durch die endlosen Wälder Russlands. Am vergangenen Freitag war der Start in Moskau, am 17. August werden die ersten Autos am Ziel in Ulaanbatar erwartet.

An jedem Hindernis könnte das Auto steckenbleiben, einen Defekt haben oder in einem Fluss versinken. Vor allem: Kaum jemand weiß ohne GPS-Sender, wo sich die Teilnehmer genau befinden. Kein Problem für Holli: ,,Mama fährt eine gaaaaanz lange Rallye'', sagt sie, als Katja Poensgen zum Start rollt. Holli winkt, als Moskaus stellvertretender Bürgermeister Juri Rossljak das Startsignal gibt, sie ruft: ,,Go, Mami, Go!'' Ihre Mutter fährt langsam an der Basilius-Kathedrale los, gibt dann Vollgas und rast am Kaufhaus Gum vorbei. Holli steht mit offenem Mund da, dann zupft sie an der Hose ihrer Tante, die während der zwei Wochen auf sie aufpassen wird. Mami muss ja arbeiten.

,,Diese Rallye ist ein richtiges Abenteuer'', sagt Katja Poensgen in Allgäuer Akzent. Die grünen Augen strahlen. Die Haare wehen wild umher, weil sie ständig von einem Bein auf das andere hüpft. Man sieht der 30 Jahre alten Mindelheimerin an, wie sie sich darauf freut, mit ihrer Partnerin Petra Rutzka Russland und die Mongolei zu erkunden.

Dabei dachten vor zwei Jahren viele Menschen, Katja Poensgen würde nie mehr Rennen fahren. ,,Ich wollte mich auf die Geburt meines Kindes konzentrieren und mich um meine Tochter kümmern'', sagt die Allgäuerin. Am 17. Mai 2005 kam ihre Tochter auf die Welt, in der Rennsportszene prophezeiten viele das Ende der erfolgreichen Karriere. Eine rennfahrende Mutter? Nein, das geht nun wirklich nicht. Gegen Vorurteile wie dieses muss Katja Poensgen seit jeher kämpfen. Mit 16 Jahren fuhr sie ihr erstes Rennen am Nürburgring. Da hieß es: Ein Mädchen hat doch nichts auf dem Motorrad verloren! Poensgen waren die Sprüche egal: ,,Ich war schon immer ein bisschen extrem und anders als die anderen'', sagt sie. 1995 gewann sie den Junior Cup und wurde vom ADAC als Sportlerin des Jahres ausgezeichnet.

Ein Jahr später genügten ihr die Straßenmaschinen des Junior-Cup nicht mehr. Also klebte sie ihre Startnummer 98 auf größere Motorräder und fuhr um die Weltmeisterschaft in der 250-Kubikzentimeter-Klasse. Wieder gab es Vorurteile: ,,Das Blondchen gehört ins Fahrerlager'', schrieb eine Zeitung damals, ,,fahrendes Boxenluder'' eine andere. Dass sie nicht wegen ihres Aussehens um die Weltmeisterschaft fahren durfte, bewies sie gleich in der ersten Saison: Sie belegte beim Grand Prix in Mugello den 14. Platz und ist damit die einzige Frau, die jemals in der Königsklasse des Motorsports WM-Punkte holen konnte.

Halbseitig gelähmt

Eine eindrucksvolle Karriere, die allerdings mit Schmerzen verbunden war. ,,Ich habe mir schon alles Mögliche gebrochen, das gehört leider dazu'', sagt sie. 1997 erlitt sie nach einem Sturz in Spanien ein Schädel-Hirntrauma, lag im Koma und war halbseitig gelähmt. ,,Ich musste dann fünf Monate trainieren, um wieder aufs Motorrad steigen zu können. Aber ich wollte wieder zurück aufs Motorrad'', sagt sie. Der Ehrgeiz wurde mit dem Aufstieg in die Königsklasse und den WM-Punkten belohnt.

2004 dann die freudige Meldung: Katja Poensgen ist schwanger. Sie zog sich aus der Weltmeisterschaft zurück und kündigte an, keine Motorrad-Rennen mehr zu fahren. Gelegentlich trat sie als Expertin im Fernsehen auf, nach der Geburt von Holli setzte sie sich hin und wieder aufs Motorrad und drehte einige Runden. Ansonsten widmete sie sich ihrem Kind. ,,Ich habe dann aber gespürt: Ich muss wieder was machen'', sagt sie. ,,Das ist nichts für mich, dieses immer daheim sein und einkaufen und kochen. Also habe ich angefangen, Rallyes zu fahren.''

Bedenkenträger gab es wieder genug. Sie behaupteten, dass die Mutter einer zweijährigen Tochter keine Rennen durch unwegsames Terrain fahren sollte. ,,Es klappt aber sehr gut'', sagt Poensgen. ,,Wenn ich mal übers Wochenende weg muss, dann sagt sie: 'Mami muss Rennen fahren' und lacht.'' Ihre Schwester würde dann aufpassen - oder eben mit ihr nach Moskau fliegen, um Katja Poensgen am Start alles Gute zu wünschen.

Aufs Glück will sich Katja Poensgen nicht verlassen, lieber auf ihr Talent als Rennfahrerin. ,,Ich hoffe, dass wir die favorisierten Porsche Cayennes ein wenig ärgern können'', sagt sie. Am 17.August wird Holli Poensgen am Ziel auf ihre Mutter warten - und vielleicht rufen: ,,Mami gewinnt!''

© SZ vom 14.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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