Karriereende:So viel Verve

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Das Werk ist vollendet: Der Handballer Stefan Kretzschmar nimmt seinen Abschied. Keiner hat in diesem Sport mit so viel Verve verloren wie er.

Christian Zaschke

Es ist ja nicht so, als hätte Stefan Kretzschmar nichts gewonnen. 2001 wurde er mit dem SC Magdeburg deutscher Handballmeister, 2002 gewann er die Champions League. Dreimal gewann er den EHF-Pokal und sowohl 1994 als auch 1995 wurde er Deutschlands Handballer des Jahres.

Stefan Kretzschmar schaut nach dem Finale bei den Olympischen Spielen 2004 auf das feiernde kroatische Team. (Foto: Foto: AP)

Und doch werden, wenn Kretzschmar an diesem Samstag seine große Karriere mit einem Abschiedsspiel in der Magdeburger Bördelandhalle beendet, besonders seine Niederlagen im Gedächtnis bleiben. Das liegt daran, dass niemand in diesem Sport mit soviel Inbrunst, mit so viel tief empfundener Trauer, man kann fast sagen: mit so viel Verve verloren hat.

Zum Beispiel das Olympia-Finale 2004 in Athen. 24:26 hatte die deutsche Mannschaft gegen Kroatien verloren, und als die Partie vorbei war, stand Kretzschmar reglos in der Hälfte der Kroaten. Sein Gesicht war eine Maske geworden, seine Miene war mit dem Schlusspfiff erstarrt, ein Mann wie gemeißelt.

So nah am Traum und doch gescheitert

Es lag kein Ausdruck mehr in diesem Gesicht, als wäre alles gelöscht, alle Freude, alle Trauer. Kretzschmars Augen in diesem Moment: als könne man hindurchsehen in eine Leere.

Plötzlich bewegte sich Kretzschmar, er schritt in die andere Hälfte des Spielfeldes, mechanisch, einen Fuß vor den anderen setzend, dann blieb er wieder stehen. Er drehte sich um, und dann starrte er auf die Kroaten, er sah diese unbändige Freude, es musste ihm so weh tun, so nah am Traum und doch gescheitert.

Oder bei der WM 2003. Die Deutschen marschierten durch das Turnier und erreichten das Halbfinale. Die Stimmung im Team war unglaublich gut, und Kretzschmar, der bei aller Individualität immer zuerst Mannschaftssportler war, fühlte sich bei dieser Mannschaft aufgehoben. Er freute sich auf das Finale. Es sollte sein Spiel werden, er sagte damals: "Im Finale würde ich mein 200. Länderspiel machen."

Und dann schickt er via MDR Grüße nach Hause: "Also, die Botschaft nach Hause: Mutter, ich komme, das sind dann nur noch 18." Kretzschmars Mutter Waltraud war Handball-Nationalspielerin in der Mannschaft der DDR. Kretzschmar sagte: "Die Erfahrung, die sie mir voraus hat, die 18 Spiele, die gibt sie mir hier jeden Tag am Telefon mit der groben Kelle."

Alle sprachen in diesen Tagen von Portugal von der Geschichte, die das deutsche Team schreiben könnte, weil ja 1978, genau 25 Jahre zuvor, eine deutsche Männer-Mannschaft Weltmeister geworden war. Fragte man Kretzschmar danach, dann sagte er: "Meine Erinnerung daran im Nachhinein ist, dass damals meine Mutter und mein Vater Weltmeister waren."

Stefan Kretzschmar jubelt im Halbfinale bei den Olympischen Spielen 2004 über den Sieg gegen Russland. (Foto: Foto: ddp)

Mutter Waltraud stand auf dem Parkett, Vater Peter war Trainer, als die DDR-Frauen 1978 den WM-Titel gewannen. Kretzschmar wollte in diesem Finale von Lissabon seine persönliche Geschichte schreiben. Im Halbfinale gegen Frankreich prallte er mit seinem Magdeburger Teamkollegen zusammen, dem Franzosen Joel Abati. Als er am Boden aufschlug, brach der kleine Finger der rechten Hand, der Wurfhand. Weiterspielen unmöglich.

Deutschland gewann und stand im Finale - ohne Kretzschmar. Kretzschmar im Finale dieser WM 2003, das hätte ein freundliches Pathos ausgestrahlt, ein Stück Geschichte der Bundesrepublik, ein Stück Geschichte der DDR und ein Stück Familiengeschichte, alles vereint in einem Handball-Spiel. Er saß auf der Bank, während die anderen gegen Kroatien verloren.

2007 ist das Team aus seinem Schatten getreten

Als die Mannschaft 2004 Europameister wurde, fehlte Kretzschmar verletzt. Als die Mannschaft 2007 Weltmeister wurde und im Land eine Handball-Euphorie auslöste, fehlte Kretzschmar, weil er bereits nach den Olympischen Spielen 2004 aus der Nationalmannschaft zurückgetreten war. Und doch war er dabei: 2004 fuhr er gemeinsam mit dem ebenfalls verletzten Markus Baur im Auto nach Slowenien, um das Finale mitzuerleben.

2007 arbeitete er als Co-Kommentator für die ARD. Als er nach dem gewonnenen Finale etwas sagen sollte, konnte er kaum sprechen, er war zu gerührt, und Bundestrainer Heiner Brand, der einen Kommentar zum WM-Sieg abgeben sollte, strich Kretzschmar übers Haar. Er gehörte eben doch noch dazu.

8000 Zuschauer feiern Kretzschmar an diesem Samstag. Er wird dem Sport danach erhalten bleiben, zunächst als Sportdirektor beim SC Magdeburg. Über so viele Jahre war er das Gesicht des deutschen Handballs, alle Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf ihn.

Mit dem WM-Sieg 2007 ist das Team aus seinem Schatten getreten, und damit hat sich, wenn man so will, das Werk des individualistischen Mannschaftssportlers Stefan Kretzschmar vollendet.

© SZ vom 14.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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