Kampf um Anerkennung:Das Bildnis der Bahnradfahrer

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Die Qualitäten der Fahrer im Windschatten des Bahn-Vierers werden gern übersehen. Mit ihren hervorragenden Leistungen haben die Sprinter jedoch endlich Anerkennung erworben.

Von Ronald Reng

René Wolff hat in Athen eine Gold- und eine Bronzemedaille gewonnen sowie die Erkenntnis, dass manche Dinge bei Olympischen Spielen einfach nicht zu schaffen sind: Oscar Wilde aufmerksam zu lesen zum Beispiel. "Das Buch ist wunderbar, wie Wilde eben ist: Er stellt keine moralischen Ansprüche, er schreibt einfach nur sehr schön", sagt René Wolff, und man merkt schon, es geht um ein einmaliges Olympiaerlebnis.

Sieht die Aberkennung seiner Medaille nicht so tragisch: René Wolff (Foto: Foto: dpa)

Der Erfurter Bahnradfahrer Wolff, 26, hat sich in Athen in all seinen Disziplinen engagiert - und zu denen gehört neben den Sprints im Velodrom eben auch die Literatur. Wildes Meisterwerk "Das Bildnis des Dorian Gray" hat er dabei. Er studiert in Erfurt Literatur und Philosophie, es sind fünf, sechs Kilometer zwischen Universität und Trainingshalle, zwischen zwei Welten. In Athen waren sie nicht so leicht zu verbinden, musste er merken. "Für Olympia war Wilde zu schöngeistig", sagt er. "Man hat gar nicht die Ruhe, allen Metaphern nachzugehen."

Allgemeine Verblüffung

Andere Unternehmungen gelangen Wolff besser. Er war neben Stefan Nimke aus Schwerin der herausragende deutsche Starter im Velodrom. Gemeinsam mit Jens Fiedler gewannen sie Gold im Olympischen Sprint, jeder von ihnen Bronze in ihrer Einzeldisziplin, Nimke im 1000-Meter-Einzelfahren, Wolff im Sprint, hinzu kam für die Deutschen noch eine weitere Bronzemedaille im Punktefahren durch den Berliner Guido Fulst, was in allgemeiner Verblüffung aufging: Die Bahnfahrer seien ja gar nicht so schlecht.

Das hätte man natürlich auch vorher wissen können, doch im Land von Johann Wolfgang von Goethe und Dietrich Thurau werden Radsprinter, und haben sie auch solche Qualitäten wie Wolff und Nimke, meist der Vergessenheit anvertraut.

Die im Windschatten des Bahn-Vierers übersieht man leicht in Deutschland, wo Bahnradfahren traditionell mit der Mannschaftsverfolgung gleichgesetzt wird. Zuletzt hatte der Bahn-Vierer zwar nur noch provinziellen Streit statt Erfolge geliefert - er war trotzdem immer noch wichtiger als Weltmeistertitel der Sprinter. "Selbst im NOK", erinnert sich René Wolff, "wurden wir Sprinter total negiert. Da hieß es nur: Wie, Bahnradsportler, wir nominieren doch Bahnradsportler? Ist denn der Vierer nicht kaputt?"

Ein klein bisschen Anerkennung, mehr wollten sie nicht, zum Abschluss der Bahnwettbewerbe in Athen haben die Sprinter sie endlich gekriegt. Sie durften die Bahn-Bilanz des Bund Deutscher Radfahrer präsentierten. Jens Fiedler und Stefan Nimke knobelten noch schnell, wer als Erster reden sollte, Fiedler gewann und sagte: "Wir waren sehr erfolgreich, die zwei hier haben zwei Medaillen, ich eine im Sprintteam und sonst nix mehr."

René Wolff saß daneben, mit seinem beeindruckenden Kinnbart und einem skeptischen Blick, der allein ihn für einen seiner Wunschberufe qualifizierte: Literaturkritiker. Vielleicht war er einfach nur müde.

Später, in kleiner Runde, erzählte er unbeschwert, dass er seine Zurücksetzung durch die Kampfrichter auf Platz fünf im Keirin-Rennen wegen einer Rangelei nicht so tragisch nehme: "Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es ein Fest." Er hat diese Weisheit, in japanischen Schriftzeichen, auf seine Arme tätowiert. Es ist der Anfang eines Gedichts von Rainer Maria Rilke.

© Süddeutsche Zeitung vom 27.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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