Julius-Hirsch-Preis:Fossil der linken Szene

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Der Fanladen des FC St. Pauli wird für sein antirassistisches Engagement geehrt. Die Wahl dokumentiert den Sinnes- und Mentalitätswandel beim DFB.

Von Christoph Ruf, Hamburg/München

Am Donnerstag hat der FC St. Pauli ein Testspiel gegen Werder Bremen bestritten, das 1:1 endete. Das wäre bei anderen Vereinen schon die Meldung an sich - nicht so bei den Hamburgern. Schließlich war das Match dem ehemaligen Spieler Deniz Naki gewidmet, der inzwischen in der dritten türkischen Liga bei Amed Sportif Faaliyetler spielt. Ab dem 8. November steht er wegen eines Posts vor Gericht, in dem er von "Grausamkeiten, die auf unserem Boden stattfinden", spricht. Nach Ansicht des Erdogan-Regimes ist das Terrorpropaganda, schlimmer noch: pro-kurdische Terrorpropaganda. Am Millerntor sehen sie das anders. Die Fans riefen am Donnerstag anstelle von Spielernamen wie "Nehrig" oder "Sobiech" elfmal "Naki", die Spieler trugen Solidaritätstrikots. Und wie immer nach den Spielen schaute auch mancher Offizielle am Donnerstag nach dem Spiel noch im "Fanladen" unter der Gegengeraden vorbei, wo bei lauter Punk- und Ska-Musik auch darüber debattiert wurde, wie man dem ehemaligen Spieler helfen könne.

Am Montag werden die Leute vom Fanladen - das dort beheimatete sozialpädagogische Fanprojekt beschäftigt fünf Festangestellte und eine Honorarkraft - Grönemeyer statt Ska hören. Der Barde wird a capella auftreten, als Laudator bei der Verleihung des mit 5000 Euro dotierten Julius-Hirsch-Preises. "Es ist wichtig, dass wir gegen Rassismus, Homophobie und Antisemitismus angehen", sagt DFB-Präsident Reinhard Grindel, dessen Verband den Preis auslobt. In allen drei Punkten seien die Hamburger würdige Preisträger.

Entschiedenes Engagement gegen rechts

Tatsächlich hatte sich der Fanladen in diesem Frühjahr schon zum achten Mal am "Erinnerungstag" beteiligt, mit dem der deutsche Fußball des Holocausts gedenkt. Zum Abschluss einer mehrtägigen Vortragsreihe liefen die Spieler zum Heimspiel gegen Leipzig mit dem Slogan "Kein Fußball den Faschisten" auf. Grund genug für die Jury, dem Fanladen den Preis zu verleihen, der den Namen des von den Nazis ermordeten Karlsruher Nationalspielers Julius "Juller" Hirsch trägt. Mit ihm werden seit 2005 Initiativen und Vereine ausgezeichnet, die sich gegen rechts engagieren. So wie das Willibald-Gluck-Gymnasium im oberpfälzischen Neumarkt, an dem sich 1500 Schüler in einer Projektwoche mit der NS-Zeit befasst haben (Platz 3) oder der Verein "Fußballfans gegen Homophobie" (Platz 2), der an diesem Wochenende die "Football Pride Week" in Berlin veranstaltet, bei der Fangruppen aus über 20 Ländern auch darüber diskutieren, wie Vereine und Verbände Antidiskriminierungskampagnen aus der Kurve unterstützen können.

Oder eben wie der Fanladen, der ja das Fossil der politisch engagierten Fanszenen ist. Schließlich gehört "gegen rechts" genauso zur Gründungsgeschichte der im Februar 1990 eröffneten Räumlichkeiten wie die Punkrock-Mentalität, die weltweit auf der Intensivstation liegt, auf St. Pauli aber quietschfidel aus Kneipen und Clubs herausschallt. Schon 1990 pilgerten Fußballfans aus ganz Deutschland zum Hamburger Pferdemarkt, der damaligen Heimat des Fanladens, und kauften "St. Pauli-Fans-gegen-rechts"-Aufkleber, mit denen dann auch Kneipenklos in Göttingen und Pausenhöfe in Oberbayern verziert wurden. Entworfen wurden sie mit Schere und Pritt-Stift vom damaligen Fanladen-Leiter, Sven Brux, der inzwischen Sicherheitsbeauftragter des Vereins ist.

Alte Schwarz-Weiß-Fotos zeigen ihn mit Doc Martens und Strubbel-Frisur, neben ihm Torwart Volker Ippig, der als Hafenstraßen-Bewohner und Nicaragua-Aktivist eine Ikone der linken Fanszene war. "Volker, hör die Signale", stand deshalb auf einem Shirt. "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, nie wieder Zweite Liga", auf einem anderen. "Seither hat sich in der Hinsicht nichts geändert", berichtet Justus Peltzer vom Fanladen-Team. "So unterschiedlich die Leute hier sind - die Gegen-rechts-Haltung ist der Minimalkonsens für 25.000 Leute im Stadion."

Kuriose Intervention des DFB

Der studierte Soziologe findet es allerdings bemerkenswert, dass sie vom gleichen Verband nun für einen Slogan ausgezeichnet werden, den der noch vor eineinhalb Jahren verdeckt sehen wollte. Beim Training der deutschen Nationalmannschaft vor dem Länderspiel gegen Polen musste der FC St. Pauli im Mai 2014 auf Geheiß des DFB den über der Gegengerade angebrachten Slogan "Kein Fußball den Faschisten" so überkleben, dass keine politische Botschaft mehr herausdestilliert werden konnte. "Kein Fußball" prangte also kamerafreundlich auf der Tribüne, unter der Neuer & Co. trainierten. Später entschuldigte sich der DFB für die Intervention.

So peinlich solche Reflexe auch sein mögen, dass sich der DFB mittlerweile glaubwürdig gegen rechts artikuliert, gestehen ihm auch viele seiner zahlreichen Kritiker in den Fanszenen zu. Vor allem die Auswahl der Hirsch-Preisträger dokumentiert dabei den Mentalitätswandel. Schließlich war die Jury, in der außer den Spitzen von DFB und DFL auch der kluge Hirsch-Enkel Andreas Hirsch sitzt, in den vergangenen Jahren bereit, auch Initiativen auszuzeichnen, mit denen sich die Frankfurter Verbände ansonsten schwertun. Doch Vorbehalte, die es gegen die Ultra-Gruppe "Schickeria" (2014) vom FC Bayern, gegen den "Roten Stern Leipzig" (2010) oder gegen den Fanladen gegeben haben dürfte, scheinen vor der Tatsache in den Hintergrund getreten zu sein, dass die drei Initiativen sich seit Jahren gegen rechte Umtriebe zur Wehr setzen. Genau darum geht es Andreas Hirsch, der bei der Preisverleihung im vergangenen Jahr einen beachtenswerten Satz gesagt hat: "Als der DFB damals auf mich zukam, hatte ich große Bedenken. Doch die haben sich als unbegründet erwiesen."

© SZ vom 09.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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