Julius-Hirsch-Preis:Ehrung für FC St. Pauli

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Der Fanladen des Zweitligisten erhält den Julius-Hirsch-Preis 2016 - für einen Slogan, den der DFB vor zwei Jahren noch untersagt hatte.

Von Christoph Ruf, Hamburg

Am Donnerstag hat der FC St. Pauli ein Testspiel gegen Werder Bremen bestritten, das 1:1 endete. Das wäre bei anderen Klubs eine Meldung für sich, nicht so beim Fußball-Zweitligisten aus Hamburg. Das Match war dem ehemaligen Spieler Deniz Naki gewidmet, der inzwischen in der dritten türkischen Liga bei Amed Sportif Faaliyetler kickt. Vom 8. November an steht Naki wegen eines Posts vor Gericht, in dem spricht er von "Grausamkeiten, die auf unserem Boden stattfinden". Nach Ansicht des Erdoğan-Regimes ist das pro-kurdische Terrorpropaganda. Am Millerntor sehen sie das anders. Die Fans riefen am Donnerstag anstelle von Spielernamen wie "Nehrig" oder "Sobiech" elfmal "Naki", die Spieler trugen aus Solidarität Trikots mit seinem Namen. Und wie immer nach Spielen schaute auch mancher Offizielle am Donnerstag noch im "Fanladen" unter der Gegengeraden vorbei, wo bei lauter Punk- und Ska-Musik auch darüber debattiert wurde, wie man dem ehemaligen Spieler helfen könne.

Der Laden ist quasi das Fossil der politisch engagierten Fanszenen

Am Montag werden die Leute vom Fanladen - einem sozialpädagogischen Fanprojekt mit fünf Festangestellten und einer Honorarkraft - Herbert Grönemeyer statt Ska hören. Der Barde wird als Laudator bei der Verleihung des mit 5000 Euro dotierten Julius-Hirsch-Preises auftreten. "Es ist wichtig, dass wir gegen Rassismus, Homophobie und Antisemitismus angehen", sagt DFB-Präsident Reinhard Grindel, dessen Verband den Preis auslobt.

Tatsächlich hatte sich der Fanladen in diesem Frühjahr schon zum achten Mal am "Erinnerungstag" beteiligt, mit dem der deutsche Fußball des Holocausts gedenkt. Zum Abschluss einer mehrtägigen Vortragsreihe liefen die Profis zum Heimspiel gegen Leipzig mit dem Slogan "Kein Fußball den Faschisten" auf. Grund genug für die Jury, dem Fanladen den Preis zu verleihen, der den Namen des von den Nazis ermordeten Karlsruher Nationalspielers Julius Hirsch trägt. Mit dem Preis werden seit 2005 Initiativen und Vereine ausgezeichnet, die sich gegen rechts engagieren. So wie das Willibald-Gluck-Gymnasium im oberpfälzischen Ort Neumarkt, an dem sich 1500 Schüler in einer Projektwoche mit der NS-Zeit befasst haben (Platz 3) oder die "Fußballfans gegen Homophobie" (Platz 2), die am Wochenende die "Football Pride Week" in Berlin veranstalteten, bei der Fangruppen aus mehr als 20 Ländern diskutierten, wie Vereine und Verbände Antidiskriminierungskampagnen aus der Kurve unterstützen können.

So wie der Fanladen, das Fossil der politisch engagierten Fanszenen. Der Slogan "Gegen rechts" gehört genauso zur Gründungsgeschichte der im Februar 1990 eröffneten Räumlichkeiten wie die Punkrock-Mentalität, die auf St. Pauli munter aus Kneipen und Clubs schallt. Schon 1990 pilgerten Fußballfans aus ganz Deutschland zum Pferdemarkt, der damaligen Heimat des Fanladens, und kauften "St.-Pauli-Fans gegen rechts"-Aufkleber, mit denen dann auch Kneipenklos in Göttingen und Pausenhöfe in Oberbayern verziert wurden. Entworfen wurden sie vom damaligen Fanladen-Chef Sven Brux, inzwischen Sicherheitsbeauftragter des Klubs.

Alte Schwarz-Weiß-Fotos zeigen ihn neben Torwart Volker Ippig, als Hafenstraßen-Bewohner und Nicaragua-Aktivist eine Ikone der linken Fanszene. "Volker, hör die Signale" stand deshalb auf einem Shirt, "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, nie wieder Zweite Liga", auf einem anderen. "Seitdem hat sich nichts geändert", sagt Justus Peltzer vom Fanladen-Team: "So unterschiedlich die Leute sind - die Gegen-rechts-Haltung ist der Minimalkonsens für 25 000 Leute im Stadion."

Vor zweieinhalb Jahren wollte der DFB den Slogan noch nicht sehen

Der studierte Soziologe findet es allerdings bemerkenswert, dass sie nun für einen Slogan ausgezeichnet werden, den der DFB noch vor zweieinhalb Jahren nicht sehen wollte. Beim Training der Nationalmannschaft vor dem Länderspiel gegen Polen im Mai 2014 musste der FC St. Pauli auf Geheiß des DFB den über der Gegengerade angebrachten Slogan "Kein Fußball den Faschisten" so überkleben, dass keine politische Botschaft mehr erkennbar war. Also prangte kamerafreundlich "Kein Fußball" auf der Tribüne, unter der Neuer & Co. trainierten. Später entschuldigte sich der DFB für die Intervention.

So peinlich solche Reflexe auch sein mögen: Dass sich der DFB mittlerweile glaubwürdig gegen rechts artikuliert, gestehen ihm auch viele Kritiker in der Fanszene zu. Vor allem die Auswahl der Hirsch-Preisträger dokumentiert dabei den Mentalitätswandel. Schließlich war die Jury, in der außer DFB- und DFL-Spitzen auch der Hirsch-Enkel Andreas Hirsch sitzt, zuletzt durchaus bereit, Initiativen zu ehren, mit denen sich die Verbände ansonsten schwertun. Doch Vorbehalte, die es gegen die Ultra-Gruppe "Schickeria" (2014) vom FC Bayern, gegen den "Roten Stern Leipzig" (2010) oder gegen den Fanladen gegeben haben dürfte, scheinen vor der Tatsache in den Hintergrund getreten zu sein, dass diese Initiativen sich seit Jahren gegen rechte Umtriebe wehren. Genau darum geht es Andreas Hirsch, der bei der Preisverleihung im vorigen Jahr gesagt hat: "Als der DFB auf mich zukam, hatte ich große Bedenken. Doch die haben sich als unbegründet erwiesen."

© SZ vom 10.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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