Jan Ullrich:"Ich darf dazu nichts sagen!"

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Der Auftritt des zurückgetretenen Radfahrers bei Reinhold Beckmann verkommt zu einer ähnlichen Posse wie die Pressekonferenz am Morgen. Der neutrale Beobachter gewinnt immer mehr den Eindruck, Jan Ullrich hat eine eigene Sicht auf die Dinge - nur kann er die niemandem vermitteln.

Jürgen Schmieder

Er blieb bis zum Ende beim höflichen "Sie". Selbst als Jan Ullrich nicht aufhörte, ihn zu duzen, wahrte Reinhold Beckmann die distanzierte Form der Anrede. Er wollte sich unter keinen Umständen als Freund des unter Dopingverdacht stehenden Ex-Radfahrers outen.

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Jan Ullrich ist einer der populärsten Sportler des Landes, mit seinem Sieg bei der Tour de France 1997 steigt er zur Radsport-Ikone auf und löst eine Begeisterungs-Hysterie aus. Dann fährt allerdings Lance Armstrong stets schneller und bald schon beginnt seine lange, zähe Doping-Geschichte.

Die Karriere in Bildern

Jan Ullrich war zu Gast bei Reinhold Beckmann - und die Zuschauer warteten gespannt, ob die Fragen gestellt würden, die am Morgen auf der burlesken Rücktritts-Pressekonferenz unbeantwortet geblieben waren: Hat Jan Ullrich gedopt? Hatte er je Kontakt zum spanischen Arzt Fuentes? Und warum hat er so lange gewartet, bis er eine Speichelprobe abgab?

Reinhold Beckmann wollte nicht so lange warten. Nach einer kurzen Einführung verwandelte sich Beckmann vom gewohnten Fernsehonkel in einen knallharten Interviewpartner. Auf verschiedene Arten versuchte er, Jan Ullrich Statements zu entlocken. Zuerst direkt: "Warum haben Sie so lange gewartet, bis Sie eine Speichelprobe abgegeben haben?"

Bei dieser Frage setzte Ullrich einen entschlossenen Blick auf, den er während seiner aktiven Karriere nur selten präsentierte. Er kniff die Augen zusammen, schob den Unterkiefer weit nach vorne - und sagte nichts. Wie er damals auf dem Rad gestürzten Kollegen auswich, wand sich Ullrich nun um die Fragen Beckmanns: "Wem hätte ich damals die Probe denn abgeben sollen? Dir etwa?" Der grandiose Konter Beckmanns: "Ich hätte sie schon weitergeleitet."

Wie eine Maske behielt Ullrich den trotzig-entschlossenen Blick bis zum Ende der Sendung, nur selten änderte sich seine Mimik. Bei einem Einspieler etwa, der eine Chronik der Dopingvorwürfe seit dem 30. Juni 2006 zeigte. Der Unterkiefer blieb vorne, die Augen jedoch wurden wütend. Spöttisch kommentierte er den Kurzfilm: "Herrlich, wie man Leute manipulieren kann!" Es sei traurig, so einen Film zu sehen, alles werde verdreht, niemand mache sich die Mühe, seine Sicht der Dinge zu verstehen.

Als Zuschauer möchte man Ullrich in diesem Moment schütteln und anbrüllen: Dann erkläre uns doch Deine Sicht! Wir wollen es ja verstehen, aber wir können es nicht! So ging es wohl auch Reinhold Beckmann. Er forderte Ullrich direkt auf, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Die Antwort Ullrichs: "Ich muss auf meine Anwälte hören. Ich darf dazu nichts sagen."

Doch Beckmann bleibt am Ball, versucht es durch die Hintertür: "Was ist für Sie Doping?" Ullrich: "Wenn man sich einen Vorteil verschaffen will mit Medikamenten gegenüber seinem Gegner." Das könnte man nun auch so auslegen: Da beim Radsport eh alle dopen, verschafft sich der Dopende keinen Vorteil. Also ist Doping nicht wirklich Doping.

Ebenso kryptisch bleiben die anderen Antworten Ullrichs. Er behauptet, das System zur Bekämpfung von Doping würde funktionieren - und wiederholt alle fünf Minuten die Sätze: "Ich muss auf meine Anwälte hören. Ich darf dazu nichts sagen. Aber ich habe ein reines Gewissen."

Beckmann probiert es noch einmal auf die sanfte Tor. Er lobt Ullrich, pinselt ihm den Bauch - und siezt ihn weiter. Aber Ullrich bleibt hart, verweist wieder auf die Anwälte und dass er doch nichts sagen darf. Warum er dann in eine Talk-Show ging, bleibt sein Geheimnis.

Ähnlich wie am Montag Morgen hat Jan Ullrich bei Reinhold Beckmann viel geredet - und nichts gesagt. Er hat die Generalabrechnung mit denen, die er für seine Feinde hält, noch einmal wiederholt - und ansonsten nichts sagen dürfen. Jaja, die Anwälte.

Nach der Pressekonferenz-Posse am Morgen und dem Auftritt bei Reinhold Beckmann am Abend gewinnt der Zuschauer den Eindruck, Jan Ullrich lebt immer mehr in einer Welt, zu der nur wenige andere Menschen Zugang haben. Selbst als der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt - per Videokonferenz zugeschaltet - Ullrich angreift und ihn indirekt der Lüge bezichtigt, bleibt Ullrich ausweichend und sarkastisch: "Ist doch prima, wenn jeder alles so genau weiß."

Bevor Beckmann dann auf Kuscheltour geht, Ullrichs Ehefrau Sarah dazuholt und über Erfolge aus der Vergangenheit plaudert, spricht Ullrich sein Schlusswort: "Ich glaube, dass der Zuschauer da draußen verstanden hat, was ich sagen wollte."

Ja, Herr Ullrich, das hat er: Nichts.

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