Jaksches Weg zum Geständnis:Sicherheit für den Kronzeugen

Lesezeit: 2 min

Gegen den Widerstand der Radszene: Auf dem Weg zu seiner Doping-Beichte wurde Jörg Jaksche mehrfach bedroht. Der Fall zeigt die ganze Brutalität der Sportbranche.

Thomas Kistner

All die Marathonsitzungen. Fortwährend war Jörg Jaksche bearbeitet worden, der Profi begann zu erzählen, aber die Angst bremste ihn immer wieder. Angst vor der Rache der Radsportszene, und vor den Kollegen, die ihn, den Judas Jaksche, verstoßen würden. Noch am Wochenende zuvor war er wieder ganz unten, meinte, es lohne nicht, mit der Wahrheit rauszurücken.

Bekenntnis trotz existentieller Ängste: Jörg Jaksche. (Foto: Foto: AP)

"Irgendwann landet man dafür im Straßengraben. Und wissen Sie was? So ein Sturz kann einem das Kreuz brechen" Im Radsport, klagte Jaksche, sei zwar oft von Mafia die Rede, doch das treffe nur auf die Omertà zu, auf das vom Dopingsystem erzwungene Schweigen der Profis, Ärzte, Rennstallchefs, Funktionäre. Ansonsten sei es schlimmer als bei der Mafia: "Die Mafia schützt ihre Leute. Aber im Radsport wird skrupellos niedergemacht, wer einmal rausfällt." Und rausgefallen war er ja längst - ein Aussätziger, seit er als Fuentes-Kunde bekannt war.

Die existentiellen Ängste wurden verschärft durch Drohanrufe, als erste Gerüchte über Jaksches Beichtbereitschaft in der Szene kursierten. Ängste, die auch andere Insider beschleichen, die sich bekennen wollen. So brachte den Profi erst eine Mailkorrespondenz auf den rechten Pfad, die am 14. Juni stattfand. Teilnehmer: Der Heidelberger Zellforscher Werner Franke und der Kanadier Dick Pound, Chef der Welt-Antidopingagentur Wada.

Dopingaufklärer Franke kennt die Brutalität der Sportbranche, die vorherrschende "Bruderschaft des Schweigens aus Ärzten, Funktionären und Sportlern". Franke war es, der in den neunziger Jahren die Minderjährigen-Dopingprozesse gegen die Köpfe des DDR-Systems initiiert und durchgefochten hatte. "All diese Fälle damals", sagt Franke, "wären nie verfolgt worden, hätte es keine Kronzeugen gegeben."

Hilfe von Franke und Pound

Nun soll, was einst explizit für die Sünder Ost taugte, auf Betrüger jeder Provenienz angewendet werden. Dazu formt Franke ein Bündnis der Willigen. Er will das Übel mit Hilfe der Staatsgewalt an der Wurzel packen und die rhetorische Symptombehandlung der Sportfunktionäre entlarven, die in jede Richtung ermitteln, nur nicht in die eigene - weshalb ihre Autonomie jetzt auch langsam bröckelt.

Franke also holte die beteiligten Parteien ins Boot: die Bonner Staatsanwaltschaft und das ermittelnde Bundeskriminalamt. Dann holte er bei Wada-Chef Pound dessen Zusicherung ein, dass der geständige Athlet in den Genuss der unter Punkt 10.5.3 des Wada-Codes vorgesehenen Kronzeugenregelung kommt, sofern er Aussagen macht, die "zeitgemäße Dopingpraktiken, Vertriebswege und Namen involvierter Personen" beinhalten.

Aussagen, die den Zugriff auch auf andere Beteiligte ermöglichen - die Jaksche aber keineswegs gegenüber der Öffentlichkeit zu machen braucht, wie nun mittels Spiegel-Interview, sondern bei den Ermittlern. Dort hat er in Kürze Sitzungstermin, dort muss er seinen Kronzeugen-status erst erringen mit Namen und Details, die über das jetzt öffentlich Gesagte hinaus gehen.

Pound hatte Franke noch am sleben Tag, an jenem 14. Juni, geantwortet. Er sah zwei Möglichkeiten: Entweder halbierten die für die Bestrafung des Athleten zuständigen Verbände, Bund Deutscher Radfahrer oder Weltradverband UCI, gleich selbst die Zweijahres-Sperre auf ein Jahr - oder sie ignorierten Jaksches Kooperationsbereitschaft. Im Fall eins, so Pound, bedürfe es keiner Intervention. Im Fall zwei werde "die Wada ihr einseitiges Recht wahrnehmen, vor dem (Weltsportgerichtshof) Cas die Entscheidung anzufechten und die Sanktion durchzusetzen, die in der Kronzeugenregel vorgesehen ist". Da sprang die Ampel für Jaksche auf Grün.

Zugleich ist der Vorgang höchst bemerkenswert, offenbar ist auch die Wada skeptisch gegenüber dem organisierten Sport. Pound traut den Verbänden zu, dass sie die Kronzeugenregel nicht nutzen - was sich nur damit erklären ließe, dass sie Beichtwillige mit dem vollen Strafkatalog abschrecken wollen, um so das Massengeständnis zu vermeiden. Denn eine derartige Lawine müsste markante Teile der Funktionärswelt hinwegraffen. Jene, die den Massenbetrug all die Jahre zugelassen und vermarktet haben, und die Jaksche meint, wenn er sagt, praktisch jeder habe Bescheid gewusst.

© SZ vom 2.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: