100 Jahre Fußball-Länderspiele:"Stimmung usw. einfach fabelhaft und fidel"

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Ein 19-jähriger Oberprimaner schoss das erste Tor: Wie die Geschichte der deutschen Fußball-Länderspiele vor hundert Jahren in der Schweiz begann.

Die Einladung erhielten die meisten wenige Tage vorher per Post, die Fahrkarte gab's für einige sogar erst auf dem Bahnsteig - und im Gepäck sollte sich neben den Fußballschuhen auch ein Smoking befinden. Die Reise nach Basel zum ersten offiziellen Länderspiel einer deutschen Nationalmannschaft am 5. April 1908 wurde für die elf eingeladenen Spieler zur Fahrt ins Ungewisse. Vor allem Abenteuerlust und Pioniergeist waren beim Trip in die Schweiz gefragt, denn für die Reisekosten mussten die Kicker selbst aufkommen, und auch sonst war wenig organisiert.

Im April 1908 trat in Basel erstmals eine deutsche Fußball-Nationalmannschaft zu einem Länderspiel an. (Foto: Foto: dpa)

An diesem Samstag jährt sich der Tag zum 100. Mal, an dem sich ein Team mit dem Adler auf der Brust erstmals mit einem Gegner aus dem Ausland maß. Das erste von bisher 800 Länderspielen verlor die DFB-Elf auf dem Basler Landhof 3:5.

Das offizielle Programm der "Schweizerischen Fussball-Association" verhieß ein "internationales Match der elf besten Spieler von Deutschland gegen die elf besten Spieler der Schweiz". Die Auswahl der Kicker durch den acht Jahre zuvor gegründeten Deutschen Fußball- Bund erfolgte jedoch nicht nach Leistung - schließlich gab es in den Medien praktisch keine Berichterstattung -, sondern nur nach regionalen Kriterien.

Trikots und Benimmratschläge

So kam es, dass sich die Spieler aus allen Teilen Deutschlands am Tag vor dem Match im Basler Hotel Metropol erstmals begegneten und zunächst per "Sie" waren. Da es keinen Trainer gab, fungierte der Vorsitzende des Spielausschusses, Horst Kubaseck, als eine Art Delegationsleiter. Für die "Taktik" auf dem Rasen war der Spieler Arthur Hiller vom 1. FC Pforzheim zuständig.

Am Sonntagmorgen wurden die Trikots verteilt, dann erhielten die Spieler gute Ratschläge für ihr Benehmen - beim Bankett. Im amtlichen Bericht über den Tag des Spiels heißt es: "Um neun Uhr war Kleiderappell. Gegen zehn stellten sich die Schweizer Herren ein, um uns zu froher Fahrt durch die Stadt abzuholen. Im Anschluss daran (...) wurden beim Gläschen Bier auch noch die Chancen für den Wettkampf besprochen."

Freundlicher Applaus von etwa 3.500 Zuschauern, die vorher zur Unterlassung lauter Rufe aufgefordert worden waren, empfing beide Teams kurz nach 15 Uhr beim Betreten des Rasens im Landhof. Weibliche Besucher hatten eine Tafel Schokolade gratis erhalten. Die teuerste Eintrittskarte kostete drei Franken.

Auf der nächsten Seite: Wie ein deutscher Oberprimaner das erste Tor schoss - und die Schweiz das Spiel am Ende doch noch drehte.

Die deutsche Elf erwischte den besseren Start; und schon in der sechsten Minute erzielte Fritz Becker von den Frankfurter Kickers das erste von bisher 1782 deutschen Länderspiel-Toren. Der damals 19- jährige Oberprimaner schilderte die Szene später so: "Die Flanke, die Hensel nach schönem Lauf zur Mitte gab, fälschte unser Halbrechter Förderer zu einem Schuss ab, der knapp vorbeigegangen wäre. Der Schweizer Torwächter glaubte, nicht eingreifen zu müssen, unterschätzte dabei aber meine Schnelligkeit, und ich konnte den Ball gerade noch ins Tor lenken."

Becker, für den der erste schon der letzte Auftritt im Adler-Trikot sein sollte, war nicht der einzige sehr junge deutsche Spieler in Basel. Willy Baumgärtner vom SV 04 Düsseldorf war erst 17 Jahre und vier Monate alt und ist damit bis heute der Jüngste, der je ein Länderspiel für den DFB bestritten hat.

Nach dem Spiel, das die Schweizer während eines Regenschauers in der ersten Halbzeit zu ihren Gunsten drehten, kamen die mitgebrachten Anzüge zum Einsatz. Für den Spielausschuss-Vorsitzenden Kubaseck war die Festlichkeit ohnehin das Schönste am gesamten Wochenende.

Deutsche Elf muss ein Jahr warten

"Das Bankett war in allen Teilen ausgezeichnet. Stimmung usw. einfach fabelhaft und fidel", schrieb er später nieder. Zum Spiel hielt er kritisch fest, dass es dem Verteidiger Hempel am "befreienden Stoß" gefehlt habe und "in der Sturmreihe keiner dem anderen vertraute".

Auf das erste Erfolgserlebnis auf dem Rasen musste die deutsche Elf noch fast genau ein Jahr warten: Am 4. April 1909 gelang ihr im sechsten Länderspiel in Karlsruhe ein 1:0-Sieg gegen die Schweiz.

Die Aufstellung der Deutschen am 5.April 1908: Fritz Baumgarten (Germania Berlin) - Walter Hempel (Sportfreunde Leipzig), Ernst Jordan (Cricket-Victoria Magdeburg) - Karl Ludwig (Kölner Fußball-Club), Arthur Hiller (1. FC Pforzheim), Hans Weymar (FC Viktoria Hamburg) - Gustav Hensel (Casseler FV 95), Fritz Förderer (Karlsruher FV), Eugen Kipp (Sportfreunde Stuttgart), Fritz Becker (Kickers Frankfurt), Willy Baumgärtner (SV 04 Düsseldorf)

© SZ vom 05.04.2008/dpa/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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