Italienischer Fußballskandal:Mildes Urteil mit harten Folgen

Lesezeit: 4 min

Juventus Turin, Lazio Rom und der AC Florenz müssen in die Serie B - der AC Mailand bleibt erstklassig, darf aber nicht in der Champions League spielen. Juve muss die letzten beiden Meisterschafts-Titel zudem abgeben.

Birgit Schönau

Das Urteil kam am Freitagabend zu später Stunde, als die paar Hundert Journalisten und Lazio-Fans vor dem eleganten römischen Hotel Parco dei Principi schon fast zerkocht waren vor lauter Hitze und Ungeduld.

Alessandro del Piero und Fabio Cannavaro bei der Juve-Meisterfeier Mitte Mai. Der Titel wurde den Turinern nun - genauso wie jener aus der Saison 2004/2005 - abgesprochen. Del Piero will weiter für Juve spielen, Cannavaro hingegen verläßt den Klub. (Foto: Foto: AFP)

Zwei Stunden hatte das Sportgericht des Fußballverbandes Federcalcio unter Vorsitz des 81-Jährigen Cesare Ruperto sie noch einmal warten lassen, nach siebentägiger Beratungszeit, die unter dem Eindruck des italienischen WM-Sieges von einem Tag zum anderen verlängert worden war.

Das Verdikt zum Manipulationsskandal überraschte dann alle, die voreilig das Gespenst der Amnestie an die Wand gemalt hatten - übrigens nicht nur in Italien, sondern auch im Ausland, wo die angebliche Unlust der Italiener, ihren Augiasstall im Fußball auszumisten, zum Gegenstand feuilletonistischer Betrachtungen und Leitartikel avancierte.

Juve startet mit -30 Punkten

Jetzt weiß man also: Juventus Turin, der in 109 Jahren Vereinsgeschichte noch nie zuvor abgestiegene Rekordmeister, wird ab August erstmals die Niederungen der Zweiten Liga kennenlernen - und zwar mit 30 Punkten Abzug.

Was die Juve von vornherein in bedrohliche Nähe der Dritten Liga rückt, die der Ankläger für den Klub der Fiat-Dynastie Agnelli gefordert hatte.

Die Serie C aber hätte den sicheren Bankrott der Aktiengesellschaft bedeutet, deren zweitgrößter Aktionär nach den Agnellis immer noch Libyens Staatschef Gaddafi ist.

Willen zum Neuanfang

Aus diesem Grund hatten die Anwälte der Juventus in ihrem Plädoyer um die Zwangsrelegation "nur" in die Zweite Liga gebeten und signalisiert, dass sie einen zusätzlichen, drastischen Punktabzug hinnehmen würden. Das Gericht wusste diese Bereitwilligkeit und das implizite Schuldeingeständnis zu würdigen.

Juve hatte zudem als einziger der vier angeklagten Klubs mittlerweile seine gesamte Führungsetage ausgetauscht und damit klar den Willen zum Neuanfang bekundet.

Allerdings erklärte der neue Präsident Giovanni Cobolli Gigli in einer erster Reaktion auf das Urteil, 30 Minuspunkte seien inakzeptabel, ebenso wie die vom Gericht verhängte Aberkennung der Meistertitel 2005 und 2006.

Der frühere Juventus-Generaldirektor Luciano Moggi war nach Erkenntnis des Gerichts der Hauptdrahtzieher der Schiedsrichtermanipulationen, die die Verzerrung der Saison 2004/2005 zur Folge hatten.

Komplizen gefunden

Doch Moggi hatte nach Ansicht des Gerichts im Management des AC Mailand, des AC Florenz und Lazio Roms Komplizen gefunden. Lediglich der AC Mailand im Besitz des Oppositionsführers Silvio Berlusconi entging der Zwangsrelegation.

Der Klub bleibt in der Serie A, startet allerdings mit 15 Minuspunkten. Außerdem wurden ihm rückwirkend 44 Punkte abgezogen, weshalb der Zweitplatzierte der vergangenen Saison an keinem internationalen Wettbewerb teilnehmen kann.

Der bisherige Vizepräsident und kürzlich zurückgetretene Chef der Profiliga, Adriano Galliani, wird für ein Jahr gesperrt.

Der AC Florenz steigt hingegen mit 12 Punkten Abzug in die Zweite Liga ab, ebenso wie Lazio Rom mit sieben Punkten Abzug. Fiorentina-Patron Diego Della Valle erklärte, er sei sich nach wie vor keiner Schuld bewusst.

Della Valle wurde für vier Jahre gesperrt und wird den erst vor drei Jahren übernommenen Florentiner Traditionsklub vermutlich verkaufen. Alle betroffenen Klubs kündigten an, in Berufung gehen zu wollen. Dies ist innerhalb der nächsten drei Tage möglich.

Das Berufungsgericht hat bis zum 24. Juli Zeit, ein Urteil zu sprechen. Ist dies nicht möglich, so gilt für die Uefa die 1. Instanz.

Die Mailänder Sportzeitung Gazzetta dello Sport hatte in ihrer Freitagausgabe das Urteil bereits in groben Zügen vorausgesagt. Die offensichtliche Indiskretion von Gerichtsmitgliedern löste sofort nach dem Urteilsspruch allgemeine Kritik aus.

Das Sportgericht war zuvor auch von Politikern verschiedener Couleur kritisiert worden, weil es angeblich keinen fairen Prozess zugelassen hatte. Justizminister Clemente Mastella, ein Christdemokrat, forderte die Richter auf, Milde walten zu lassen.

Der frühere Staatspräsident Francesco Cossiga machte sich ebenfalls für ein nachsichtiges Urteil stark und attackierte den kommissarischen Leiter des Fußballverbandes, Guido Rossi, er kassiere für seine Arbeit ein fürstliches Gehalt.

Rossi kündigte daraufhin am Freitag an, Cossiga zu verklagen. Den Vorhaltungen von Silvio Berlusconi, das Sportgericht folge politischen Vorgaben zu Ungunsten seiner Politbewegung Forza Italia, entgegnete Rossi in einem Zeitungsinterview: "Berlusconi hat sich einige seiner alten und schlechten Gewohnheiten bewahrt, zum Beispiel die, seine eigene Rolle nicht zu kennen. Er kann nicht den Richter geben, und neuerdings kann er auch keine Gesetze mehr machen."

Der von Rossi mit den Ermittlungen beauftragte Ex-Staatsanwalt Francesco Saverio Borrelli sagte zu den Vorwürfen Berlusconis: "Der würde mir auch unterstellen, gegen Forza Italia zu konspirieren, wenn ich mir nur eine Zigarette anzünde."

Unklare Beweislage gegen Milan

Dem AC Mailand konnten von Borrelli keine Manipulationen in großem Stil nachgewiesen werden. Berlusconis Klub hatte eine jahrelange, enge Geschäftspartnerschaft mit dem früheren Management von Juventus betrieben.

Regierungschef Romano Prodi hatte kurz vor dem Urteil angemahnt, es dürfe keine Amnestie im Zeichen des WM-Titels geben. "Wer Fehler begangen hat und schuldig geworden ist, soll dafür bezahlen", sagte Prodi.

Ausverkauf der Topspieler

Nun beginnt die große Wechselbörse. Fiorentina-Torjäger Luca Toni wandert offenbar zu Inter Mailand ab. Die Zukunft der fünf noch bei Juventus angestellten Weltmeister Gigi Buffon, Alessandro Del Piero, Mauro Camoranesi, Fabio Cannavaro und Gianluca Zambrotta ist noch unklar.

Im WM-Finale waren auch die französischen Juve-Spieler Trézéguet, Thuram und Vieira - sie werden den Turiner Klub verlassen. Das Juventus-Management kündigte nach dem Urteil an, den Ausverkauf der Spieler verhindern zu wollen.

"Wir behalten sie in der Zweiten Liga und verkaufen erst, wenn wir wieder in die Serie A aufgestiegen sind." Dennoch könnte es infolge der Zwangsrelegation mit dem drastischen Punktabzug zum Ausverkauf der Top-Spieler kommen.

Trainer Fabio Capello hatte vergangene Woche bereits bei Real Madrid angeheuert. Sein Nachfolger Didier Deschamps, Weltmeister von 1998, traf am Freitag in Turin ein. Und Lazio Rom riskiert den Bankrott. Der Klub des Reinigungsunternehmers Claudio Lotito steht beim Fiskus bereits mit über 120 Millionen Euro Steuerschulden in der Kreide. Die Lazio-Akte verzeichnete am Freitag die größten Verluste an der Mailänder Börse.

© SZ vom 15.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: