Interview mit Thomas Schaaf:"Wir wollen von jedem Spieler das Besondere"

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Werder-Trainer Thomas Schaaf über das Bremer Spiel, die Zusammenarbeit mit Manager Allofs und Fußballer aus Delmenhorst.

Interview: Jörg Marwedel und Ralf Wiegand

SZ: Herr Schaaf, kann es sein, dass der Fußballtrainer Thomas Schaaf empfindlicher geworden ist?

"Der erste Pass sollte wenn möglich immer nach vorne gehen." Bremens Trainer Thomas Schaaf. (Foto: Foto: ddp)

Schaaf: Wie kommen Sie darauf?

SZ: Es heißt, Sie seien nicht mehr so geduldig wie früher.

Schaaf: Ich bin sehr geduldig. Wenn aber zum Beispiel am Anfang der Saison unser neuer Stürmer Sanogo von Teilen der Presse abgeurteilt wird, ehe er gespielt hat, dann ist es unsere Pflicht, uns einzuschalten. Die Zuschauer sollen sich eigentlich ein eigenes Bild verschaffen, das fand aber nicht statt.

SZ: Haben Sie sich auch gegenüber den Spielern verändert?

Schaaf: Ich habe nicht das Gefühl. Ich muss mir auch keine Gedanken machen, ob ich mich abreibe. Von der Meistermannschaft 2004 sind nur noch Baumann, Borowski und Klasnic dabei. Es sind immer wieder Neue da. Zu erkennen, wie funktioniert ein Spieler, welche Faktoren können ihn beeinflussen - das ist wichtig. Da braucht man einerseits Nähe und anderseits Abstand.

SZ: Ungewöhnlich war, dass Sie Diego in der Winterpause die Reha in Brasilien haben machen lassen.

Schaaf: Er hatte im letzten Jahr eine unglaubliche Belastung, die sich in Verletzungen niedergeschlagen hat. Meine Erfahrung war, dass er sehr diszipliniert ist und eine klare Linie hat, was seine Person angeht. Das schafft Vertrauen.

SZ: Bei anderen Spielern hätten Sie das nicht gemacht?

Schaaf: Das kann man so nicht sagen. Man muss immer den Einzelnen sehen.

SZ: Eines hat sich nicht geändert, seit sie 1999 Cheftrainer bei Werder wurden. Sie wollen Tore schießen - Sie spielen lieber 4:3 als 1:0. Auch vor dem Bayern-Spiel bleiben Sie offenbar Ihrer Linie treu, obwohl das in Anbetracht der vielen Ausfälle auch schief gehen kann.

Schaaf: Diese Spiel-Philosophie ist wichtig. Sie heißt: agieren, das Heft selbst in die Hand nehmen. Kombinationssicheren, schnellen und trotzdem ergebnisorientierten Fußball bieten. Der erste Pass sollte wenn möglich immer nach vorne gehen.

SZ: Beim 3:2 gegen Real Madrid in der Champions League kamen Sie dem Ideal schon ziemlich nahe, obwohl mit Diego der Mann fehlte, von dem Werder eigentlich extrem abhängig ist. Ist diese Philosophie also durchgesickert bis zum letzten Spieler?

Schaaf: Das war schon die gesamten Vorrunde so, als wir auch auf viele Spieler verzichten mussten. Man muss dann auf viele Dinge zurückgreifen, die einem eine gewisse Sicherheit und Stärke geben. Andererseits ist es natürlich ebensowichtig, dass individuellen Fertigkeiten zum Tragen kommen.

SZ: Werder ist aber mal wieder sehr schwer aus der Winterpause gekommen.

Schaaf: Wir haben nach dem Winter auch schon mal alles niedergespielt. Grundsätzlich ist es doch so: Je größer der Kader ist, desto geringer werden die Schwankungen sein. Deswegen werden Vereine wie Real Madrid oder AC Mailand immer oben bleiben. Unser Weg ist der mit jungen Spielern: Wir ahnen, was sie können, aber wir wissen es noch nicht exakt.

SZ: Und wenn Sie es von einem wissen, dann geht er zu den Bayern - wie jetzt Tim Borowski. Verstehen Sie ihn?

Schaaf: Wenn ein Vertrag ausläuft, ist es legitim, den Verein zu wechseln. Was er wirklich denkt, weiß ich nicht. Muss ich auch nicht wissen. Er hat einen Weg genommen, den ich begleitet habe seit der Jugend bis zur Nationalelf. Nun hat er diese Entscheidung getroffen.

SZ: Und zwar ohne mit dem Trainer noch einmal gesprochen zu haben.

Schaaf: Ja.

SZ: Viele erwarten nun, dass er in München ein Mitläufer sein wird. Auch an Miroslav Klose hatten viele gezweifelt, als er zu den Bayern ging.

Schaaf: Ich habe nicht gezweifelt, dass Miro sich dort durchsetzen wird.

SZ: Hat er sich schon durchgesetzt?

Schaaf: Also, ich glaube, der spielt immer, oder? Miro hat hier in Bremen eine enorme Entwicklung genommen, ohne Wenn und Aber. Das kann ich beurteilen, denn da war ich dabei.

SZ: Ein anderer München-Kandidat ist Klaus Allofs. Er könnte 2009 Nachfolger von Uli Hoeneß als Bayern-Manager werden. Sie sagten neulich, Sie haben noch viel vor mit ihm.

Schaaf: Das ist auch so.

SZ: Bleibt er? Geht er?

Schaaf: Ich hoffe und ich glaube, dass er bleibt. Mein Interesse daran ist, dass es mir sehr viel Spaß macht, mit ihm zu arbeiten. Es ist eine klasse Zusammenarbeit, er ist ein absoluter Topmann. Ich weiß, dass das auch Begehrlichkeiten weckt bei anderen Vereinen, denn er hat ein Wissen und ein Niveau, das es sehr selten gibt. Trotzdem glaube ich, dass ihm die Arbeit hier unheimlich viel Spaß macht und dass er viele Ideen hat, was man in Bremen noch machen kann.

SZ: Funktionieren Sie auch jeder einzeln oder nur als Duo?

Schaaf: Wir sagen, dass es uns Spaß zusammen macht, aber unsere Arbeit ist nicht bedingt auf dem anderen.

SZ: Ist es Freundschaft?

Schaaf: Was ist das? Wenn Freundschaft ist, dass man tagtäglich zusammen sitzt, abends noch essen geht und Taufpate der Kinder des anderen ist, dann haben wir keine. Aber wenn man immer einen fairen, anständigen Umgang miteinander hat, sich immer wieder auseinandersetzen kann, dann haben wir eine. Ich weiß aber nicht, ob Freundschaft da das richtige Wort ist.

SZ: Ihr Vertrag läuft bis 2010, Sie wollen ja immer nur Zwei-Jahres-Verträge.

Schaaf: Nein, das stimmt nicht. Für mich gilt: So lange wie es gut geht, so lange man denkt, dass es richtig ist und funktioniert, ist es gut. Ich habe keine so lange Lebensplanung, als dass ich sagen würde, dann und dann muss dies oder das passieren.

SZ: Immerhin kann man auch bei Werder jetzt einen Mesut Özil kaufen, wenn er auf den Markt kommt.

Schaaf: Aber nur, weil wir Andreasen verkauft haben. Wir können nicht bedingungslos nachschieben. Wir können nicht wie die Bayern zwölf Millionen für einen Spieler wie Breno anlegen, nachdem sie im Sommer schon 70 Millionen angelegt haben. Das werden wir hier nie können.

SZ: Das heißt, der ständige Umbau der Mannschaft bleibt Programm, und Özil ist schon der Ersatz für Diego, der zwangsläufig gehen wird, weil andere mehr bezahlen?

Schaaf: Nicht unbedingt. Heute sind ja auch in unserer Mannschaft andere Dinge möglich als vor fünf oder sechs Jahren. Die Tatsache, dass wir einen Etat über die 100 Millionen Euro gebracht haben, der vor ein paar Jahren bei 40 Millionen Euro lag, das ist schon ein Hammer.

SZ: Da kann man sich sogar einen Carlos Alberto erlauben. War das Risiko, für 8,5 Millionen Euro einen Spieler aus Brasilien zu holen, ohne zu wissen, wie er tickt, zu groß?

Schaaf: Wenn ich einen Spieler aus Delmenhorst hole, dann habe ich schon mal etwas ausgeklammert - die Heimat wird ihm jedenfalls nicht fehlen. Je mehr dieser Faktoren, die zum Leben eines Menschen gehören, ich aber verändere, je individueller ein Spieler ist, umso größer wird das Risiko. Dass Carlos kein einfacher Typ ist, wussten wir vorher. Aber wir wollen das Spezielle, die Besonderheit. Wenn wir elf gleiche Typen hinstellen, funktioniert das nicht.

SZ: Sondern?

Schaaf: Wir wollen von jedem Spieler das Besondere: Von Mertesacker die Ruhe und Übersicht, von Naldo diesen Krafteinsatz, von Frings seinen unbändigen Willen. Und genauso ist das mit Carlos. Wir haben ihn gesehen, er hat phantastische Fähigkeiten. Ein großartiger Spieler! Wenn Sie ihn gesehen hätten, wüssten sie, für welchen Wert der steht.

SZ: Er nützt Werder trotzdem nichts.

Schaaf: Wir haben immer die Erwartung, dass man einen Spieler verpflanzt und das funktioniert sofort. Aber das ist nicht die Realität. Dass es läuft wie bei Naldo und Diego, die auf Anhieb da waren, das ist das unnormal.

SZ: Wie einst Kevin Keegan: Der galt schon als Fehleinkauf in Hamburg und wurde danach zweimal Fußballer des Jahres in Europa.

Schaaf: Oder Ailton bei uns. Ailton war doch hier schon gänzlich abgeschrieben. Und dann kam er doch. Das vergisst man später.

SZ: Neben Ailton glänzte schon Ivan Klasnic, der nun mit einer neuen Niere spielt. Was ist diese Geschichte seiner Heilung für Sie - medizinische Kunst, Willensstärke, Wunder?

Schaaf: Er hat etwas Unglaubliches vollbracht. Er hat etwas erreicht, an dem er selbst am intensivsten und entschlossensten gearbeitet hat. Das haben ihm nicht viele zugetraut, auch wir hatten eine natürliche Skepsis. Wir hatten den Gedanken, dass es prinzipiell darum geht, wieder am Leben teilnehmen zu können. Das war für uns immer im Mittelpunkt, nicht der Egoismus, dass Ivan als Hochleistungssportler sobald wie möglich wieder funktionieren sollte.

SZ: Aber woher kommt diese Distanz, die zwischen Klasnic und dem Klub oft zu spüren ist?

Schaaf: Es gab nie eine Distanz. Wir haben uns schon um ihn bemüht, da war er noch bei St. Pauli in der Jugend. Wenn wir kein gutes Verhältnis hätten, wäre er nicht so lange geblieben.

SZ: Nun will er mal wieder weg, scheint es.

Schaaf: Kennen Sie Ivan? Lernen Sie ihn besser kennen.

SZ: Was ist, wenn Sie Sonntagabend sechs Punkten hinter Bayern liegen?

Schaaf: Ich versichere Ihnen: Wir haben uns etwas anderes zum Ziel gesetzt.

© SZ vom 09.02.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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