Interview mit Schäuble:"Hoffen wir, dass nichts passiert"

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Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble über die Sicherheit bei der WM und seine Erinnerungen an das Attentat von 1972

Annette Ramelsberger

SZ: Die Erinnerung an die von Terroristen zerstörten Olympischen Spiele von 1972 scheint auf den Verantwortlichen für die WM 2006 zu lasten. Mit aller Macht wollen sie verhindern, dass so etwas wieder passiert. Schon wird den Deutschen vorgeworfen, sie bereiteten keine Fußball-WM vor, sondern eine Sicherheits-WM.

Innenminister Schäuble (Foto: Foto: dpa)

Schäuble: Ich habe nicht den Eindruck, dass wir bei dieser WM einen Overkill in Sachen Sicherheit haben. So sehr lastet das Attentat von München nun auch wieder nicht auf der WM. Wenn ich an 1972 denke, berühren mich am meisten die Erinnerungen von Georg Leber, damals Verteidigungsminister. Er musste während der Schlussfeier entscheiden, ob er eine nicht identifizierte Maschine abschießen lässt, die auf das Stadion zuflog. Es gab die Meldung, Terroristen hätten in Stuttgart ein Flugzeug entführt und wollten Bomben über der Schlussfeier abwerfen. Das Flugzeug flog unbeirrt auf München zu. Es ging um Minuten - hätte Leber den Befehl gegeben, es wäre eine Katastrophe geschehen.

SZ: Im letzten Moment stellte sich dann heraus, dass es sich um ein finnisches Passagierflugzeug handelte, das sich verflogen hatte. Plagen solche Albträume Sie in schlechten Stunden?

Schäuble: Na klar! Wissen Sie, wenn Sie Regierungsmitglied sind, hört der Spaß irgendwo auf. Sie tragen einfach eine Verantwortung, an die man nicht jeden Morgen denkt, aber von der man weiß, dass sie ziemlich schnell ziemlich konkret werden kann.

SZ: Die Fußball-WM soll wie die Spiele 1972 ein fröhliches Sportfest werden. Wie haben Sie die damals erlebt?

Schäuble: Die ersten Tage waren so, dass viele in der Welt sich gar nicht vorstellen konnten, dass Deutschland zu so etwas in der Lage ist: unbeschwert, heiter, nicht primitiv, nicht überkandidelt. Auch dieses wunderbare Olympiastadion mit seiner ganzen gelassenen, heiteren Entspanntheit hat dazu beigetragen.

SZ: In dem werden Sie ja nicht mehr sitzen bei der WM.

Schäuble: Um dieses Stadion tut es mir furchtbar Leid. Ich sehe noch Ulrike Meyfarth vor mir, die Springerin. Ein junges Mädchen damals, 16 oder so. Und ich vergesse nie, wie sie unter der Latte stand und hochschaute. Man hat ihr das richtig angesehen wie sie dachte, oh Gott, ist das hoch. 1,92 Meter waren das. Und sie hat es gepackt. Das sind so Momente, die man nicht vergisst.

SZ: Momente, die von Terroristen brutal zerstört wurden.

Schäuble: Mit einer Brutalität, die man sich überhaupt nicht vorstellen konnte. Und dann sind diese Dinge so furchtbar schief gelaufen, wie sie nur laufen konnten.

SZ: Alle israelischen Geiseln kamen beim Befreiungsversuch in Fürstenfeldbruck um, fünf palästinensische Geiselnehmer wurden erschossen. Die deutschen Scharfschützen steckten im Stau, die Koordination klappte nicht. Würde es heute anders laufen?

Schäuble: Man hat ja als Konsequenz die GSG 9 geschaffen. Wir haben aus 1972 gelernt. Vielleicht waren wir damals ein Stück weit naiv. Wir hatten ja nicht die volle Souveränität, fühlten uns geschützt durch andere. Aber dieser grauenvolle Einbruch war eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik. Wir sind heute auf Anschläge vorbereitet, seit dem 11. September 2001 sowieso.

SZ: Rechnen Sie denn mit Anschlägen bei der WM?

Schäuble: Ich glaube nicht, dass irgendjemand versuchen wird, wie 1972 eine Mannschaft anzugreifen und zu entführen. Wir schützen die Mannschaften umfassend. Die Terrorgefahr ist, wie sie immer ist, aber sie ist nicht wirklich größer als beim Weltjugendtag der Katholiken vergangenes Jahr. Allerdings umfasst die WM diesmal das ganze Land, weil wir überall Großleinwände haben, vor denen sich Menschen versammeln. Wenn Anschläge passieren, dann werden sich die nicht gegen Mannschaften oder Spieler richten, sondern vermutlich gegen solche Menschenmassen.

SZ: Sie sagen immer wieder, dass es nicht darum geht, ob ein Anschlag kommt, sondern nur, wann er kommt. Wollen Sie die Leute erschrecken?

Schäuble: Es geht nicht um Alarmismus. Aber man muss der Gefahr ins Auge sehen, weil die Chance dann größer ist, dass wir nicht hysterisch reagieren. Ich finde noch immer phänomenal, wie die New Yorker auf den 11. September reagiert haben. Ich wünsche mir nicht, dass etwas Vergleichbares passiert, aber ich würde mir wünschen, dass wir dann genauso diszipliniert, gelassen, engagiert reagieren. Wie diese Feuerwehrleute in den Einsatz gegangen sind, mein lieber Mann, das sind schon wahre Helden.

SZ: Es muss ja kein Anschlag sein. Es reicht ja schon, wenn jemand ausrastet wie gerade in Berlin und wahllos mehr als 30 Menschen niedersticht.

Schäuble: Eine Tat wie bei der Bahnhof-Eröffnung können Sie nicht wirklich verhindern - solche Täter handeln wahrscheinlich ungesteuert, spontan, die warten nicht auf ein besonderes Ereignis.

SZ: Auch nicht, wenn Sie den Leuten kein Bier mehr ausschenken?

Schäuble: Fußball ohne Bier, na ja. Im Stadion oder in eingefriedeten so genannten Public-Viewing-Bereichen ist das durchaus denkbar, wenn es die besondere Lage erfordert.

SZ: Wenn man sich das vorstellt: ein heißer Sommertag, 500000 Leute auf der Fanmeile in Berlin, man trinkt, vermutlich zuviel. Da reicht doch ein Böller, dass die Leute in Panik geraten.

Schäuble: Hoffen wir, dass nichts passiert. Die Berliner sind gut vorbereitet für das Fest am Brandenburger Tor. Wo viele Menschen auf engem Raum sind, gibt es Risiken. Es passieren manchmal die unglaublichsten Unfälle. Aber dann werden wir reagieren. Der Katastrophenschutz hat geübt, die Feuerwehren, das Rote Kreuz, das Technische Hilfswerk.

SZ: Sie hören sich entspannt an.

Schäuble: Ich habe das ruhige Bewusstsein, dass wir das, was wir tun konnten, getan haben. Und nun wollen wir hoffen, dass es gut geht.

SZ: Und wenn es nicht gut geht, sind Sie schuld. Wann ist es so schlimm, dass ein Innenminister gehen muss?

Schäuble: Ha! Das darf man aber jetzt nicht abstrakt diskutieren. Ob jemand oder wer die politische Verantwortung in dem Fall übernehmen muss, das entscheiden wir, wenn es soweit ist. Das ist inbegriffen im Amt. Wichtig ist, dass wir das Menschenmögliche tun, um zu verhindern, dass etwas passiert. Wenn es dann doch passiert, muss man damit zurande kommen. Irgendwas wird immer passieren, irgendjemand wird einen Hitzschlag kriegen oder einer wird zuviel Bier trinken. Und wenn was Größeres passiert, wird die Hilfe auch funktionieren.

SZ: Wann sind Sie zum letzten Mal nachts geweckt worden, weil etwas Schlimmes geschehen ist?

Schäuble: Ich erinnere mich an meine frühere Zeit als Innenminister, da war ich noch relativ frisch im Rollstuhl. Da kam so gegen drei Uhr früh der Anruf, dass Rohwedder ermordet worden ist. Da bin ich aufgeschreckt, da kommen Sie auch nicht mehr zur Ruhe. Machen konnte ich natürlich auch nichts.

SZ: Detlev Karsten Rohwedder, damals der Chef der Treuhand, wurde am 1. April 1991 von einem RAF-Kommando ermordet. Ist man als Innenminister auf so einen Anruf vorbereitet?

Schäuble: Sie müssen halt wissen, auf was Sie sich einlassen. Und dann müssen Sie kühlen Kopf bewahren. Ich hatte so eine Situation 1987, als ich Chef im Kanzleramt war. Da waren die deutschen Manager Schmidt und Cordes im Libanon entführt worden und ich drängte gegen den Rat aller anderen Minister darauf, den Bruder der Entführer festzunehmen, als der in Frankfurt landete. (Er wurde wegen eines Sprengstoffanschlags gesucht, die Red.) Und wir haben den auch nicht ausgetauscht gegen die Geiseln. Aber da schlafen Sie dann unruhig.

SZ: Schmidt und Cordes kamen später trotzdem frei. Aber als Rohwedder ermordet wurde, das muss Ihnen doch persönlich nahe gegangen sein - immerhin hatten Sie selbst doch erst fünf Monate vorher den Anschlag auf Sie überlebt.

Schäuble: Wenn es Menschen sind, die Sie gut kennen, geht Ihnen so was schon nahe. Tut schon weh, nicht. Damals häufte sich das ja. Am 30. November 1989 starb Alfred Herrhausen bei einem Attentat, im Juli 1990 kam mein Staatssekretär Hans Neusel vor meinem Ministerium um ein Haar zu Tode.

SZ: Wobei Neusel nach dem Anschlag pflichtbewusst ins Ministerium gefahren ist und gleich weiter arbeiten wollte.

Schäuble: Also gefahren ist er nicht mehr, er ist gleich zu Fuß rüber, er musste nur über die Kreuzung gehen und war in seinem Büro. Ich habe dann zu ihm gesagt, gucken Sie mal, wie Sie aussehen, es rannte ihm ja überall das Blut runter. Sie gehen jetzt erst einmal heim. Denn er war unter Schock. Ein paar Stunden später hat er eine grandiose Pressekonferenz gegeben. Der fragte die Attentäter über die Medien: "Was wäre, wenn ich jetzt tot wäre? Was hätten Sie erreicht? Dann wäre da ein anderer an meiner Stelle, der würde es genauso machen, hören Sie auf!" Das war unglaublich eindrucksvoll. Das ist so das Holz, aus dem gute Beamte geschnitzt sind.

SZ: Heute ist es nicht mehr die RAF, die die Sicherheit bedroht. Viel mehr Angst haben alle, dass sich Rechtsradikale bei der WM in Szene setzen und ausländische Gäste attackieren. Sorgt Sie das?

Schäuble: Jeder Übergriff gegen einen Ausländer ist einer zuviel. Aber die große Mehrheit unserer Gesellschaft hat doch ein hinreichendes Maß an Freundlichkeit, um die Welt entspannt zu empfangen. Wir werden gute Gastgeber sein. Wir Deutschen sind nicht so übel.

SZ: Aber die Neonazis wollen demonstrieren und sich sogar mit den antisemitischen Ideen von Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad solidarisieren.

Schäuble: Die Neonazis sind eine kleine Minderheit, eine erbärmliche noch dazu. Die werden nicht die Chance haben, das Gesicht dieser Weltmeisterschaft zu prägen. Ich weiß, wenn irgendwo zehn solcher Leute ihre Fahnen hochhalten, und sei es noch so abseitig, dann werden die Bilder um die Welt gehen. Deswegen appelliere ich an die Medien, diesen Leuten nicht unverhältnismäßig viel Bedeutung zu geben. Denn sie werden keine Bedeutung haben, weil die ganz große Mehrheit der Deutschen allenfalls Verachtung für sie empfindet.

SZ: Was machen Sie am 9. Juli abends?

Schäuble: Na, ich denke, wir werden ein großes Fest feiern, wenn die deutsche Mannschaft dann Weltmeister ist.

SZ: Und am nächsten Morgen atmen Sie dann richtig durch, oder?

Schäuble: Oh, ich atme jeden Tag durch, ich habe das Stadium einer gewissen Gelassenheit schon altershalber erreicht. Aber natürlich werde ich froh sein, wenn bei der Weltmeisterschaft alles gut gegangen ist. Das ist eine Riesenherausforderung für unser Land, auch eine Riesenchance. Aber ich bin zuversichtlich, dass es gut geht. Ich glaube, die Deutschen können das.

© SZ vom 3.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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