Interview mit Jörg Jaksche:"Vielen wäre es recht, wenn ich nicht existierte"

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Der Dopingsünder Jörg Jaksche spricht über seinen Antrieb, trotz großer Widerstände in den Radsport zurückkehren zu wollen, über eventuelle Sponsoren und eigene Niederlagen.

H.-J. Jakobs, T. Becker, T. Hummel

sueddeutsche.de: Herr Jaksche, seit Monaten ist der Radsport nach etlichen Doping-Skandalen im Gerede. Dennoch will die ARD weiterhin den Radsport übertragen. Jörg Jaksche: Es ist eine folgerichtige Entscheidung. Sonst muss man sich fragen, wo man hier anfängt und wo man aufhört. Doping ist ja kein exklusives Problem des Radsports. Insofern wäre es heuchlerisch zu sagen, wir gehen aus dem Radsport raus, übertragen aber noch den Nordischen Skisport oder die Leichtathletik. Dort ist die Problemlage ähnlich. Sollte der Radsport einmal richtig am Boden liegen, wäre das sicher gut, damit einige Leute Konsequenzen ziehen und das Dopingthema ehrlich aufarbeiten. Jetzt aber haben viele Fahrer einfach nur Existenzangst. Es gibt keinen sozialen Leistungssport. Wenn du als Radprofi arbeitslos bist, dann bekommst du kein Arbeitslosengeld, niemand fängt dich auf. Es ist eine Milchmädchenrechnung zu sagen: "Ich nehme denen das Geld weg, dann gibt es kein Doping mehr."

Geächtet unter den Radsportlern: Jörg Jaksche würde gerne wieder fahren, doch seit seinem Geständnis meldet sich niemand mehr bei ihm. (Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Wie geht's Ihnen momentan finanziell?

Jaksche: Ich habe keine Einnahmen, aber ich stehe nicht erheblich unter Druck. Ich muss nicht nächste Woche unter der Brücke schlafen. Für viele Menschen habe ich ein Luxusproblem, denn ich war zehn Jahre lang Radprofi und habe da einiges sparen können. Aber es gibt andere Radfahrer, einige Italiener zum Beispiel, die verdienen nicht sehr viel.

sueddeutsche.de: Patrik Sinkewitz hat wie Sie über Dopingpraktiken berichtet und ist ebenfalls ohne Engagement.

Jaksche: Ich kenne seine finanzielle Lage nicht. Aber klar ist: Er hat sein Leben nach dem Radsport ausgerichtet, die Schule abgebrochen, vom 16. Lebensjahr an nur auf eine Radkarriere hingearbeitet. Er steht vor der blöden Situation: Was mache ich, wenn ich nicht mehr zurückkehren kann?

sueddeutsche.de: Wie geht es Ihnen heute nach all den Enthüllungen über Blutdoping, nach all den offenen Interviews?

Jaksche: Ich mache einen großen Unterschied zwischen meinem Seelenleben und meiner beruflichen Situation. Für mein Seelenleben war es gut, ausgepackt zu haben - sonst müsste ich immer noch meine Eltern anlügen und die Leute um mich herum. Für meine berufliche Situation weiß ich nicht, ob es gut war. Ich war da wohl etwas blauäugig.

sueddeutsche.de: Inwiefern blauäugig?

Jaksche: Von vielen Leuten wurde Offenheit und Wahrheit gefordert - die habe ich ihnen gegeben. Doch jetzt driftet das Ganze ab: Derjenige, der Offenheit und Wahrheit gebracht hat, wird als Einzeltäter dargestellt. Die Leute wollen nichts mehr mit Dopingsündern zu tun haben - im Wissen allerdings, dass Doping noch flächendeckend ist. Das ist das Schizophrene an der Situation.

sueddeutsche.de: Hans-Michael Holczer, Chef vom Team Gerolsteiner, sagt, bei ihm würden Sie keinen Vertrag bekommen. Er hat den Umfang Ihrer Aussagen kritisiert.

Jaksche: Ich würde natürlich gerne in den Radsport zurückkehren. Aber du bekommst keine helfende Hand. Plötzlich heißt es, ich hätte zu wenig gesagt, oder Dopingsünder wie ich müssten aus dem Radsport eliminiert werden. Dabei wissen die Leute, die das sagen, wie groß das Problem im Radsport ist und war. Man muss wissen, dass ein Kronzeuge im Strafrecht eigentlich im Verborgenen aussagt. Das gilt hier nicht. Alles ist sehr öffentlich. Und für Vieles habe ich natürlich keine gerichtsfesten Beweise.

sueddeutsche.de: Sind Sie als Kronzeuge der Dopingpraktiken bedroht worden?

Jaksche: Direkt bedroht nicht. Aber ich bekam dezente Hinweise, wie von Bjarne Riis ( sein ehemaliger Teammanager bei CSC, Anm.d.Red.), der meinte, wenn ich was sage, ist für mich der Profiradsport beendet. Ich habe das nicht ernst genommen, muss aber heute sagen, dass er vielleicht recht hatte. Außerdem gab es Drohungen, mich zu verklagen. Damit gehst du abends ins Bett und stehst morgens mit auf.

sueddeutsche.de: Dem Bundeskriminalamt (BKA) haben Sie mehr gesagt als der Öffentlichkeit?

Als sie noch deutsche Radsporthelden waren: Jan Ullrich (l.) und Jörg Jaksche bei der Tour de Swiss 2006. (Foto: Foto: AP)

Jaksche: Ja. Im nächsten Sommer könnte es noch die ein oder andere Überraschung geben. Ob meine Aussagen allerdings extrem hilfreich sind, das weiß ich nicht - denn wir haben in Deutschland kein Anti-Doping-Gesetz. Das BKA ermittelt auf einer diffusen rechtlichen Basis.

sueddeutsche.de: Sie plädieren für ein Anti-Doping-Gesetz mit dem Delikt Sportbetrug?

Jaksche: Wenn wir wirklich abschrecken wollen, brauchen wir das. Es ist ein großer Unterschied, ob du nicht mehr Radfahren darfst oder ob du in den Knast wanderst.

sueddeutsche.de: Ist das der Grund, warum man oft das Gefühl hat, Doping werde von vielen als Kavaliersdelikt gesehen?

Jaksche: Für den Sportler wird Doping zum Kavaliersdelikt, wenn es die Leute um einen herum als Leichtigkeit erscheinen lassen. Du hast das Gefühl, das macht jeder - also hast du kein schlechtes Gewissen. Dann bekommt es eine Legitimation. In einer anderen Sportart, einer Akademikersportart wie vielleicht Fechten, da kann es sein, dass Doper geächtet werden. Aber im Radsport haben alle gesagt, Dopen ist super. Du fährst schneller, die Sponsoren sind zufrieden, der Teammanager ist happy. Das wird zu einem positiven Teufelskreis.

sueddeutsche.de: Zumal diejenigen, die so denken, die Gewinner sind?

Jaksche: Im Moment scheint es, dass die Leute, die dieses System betreiben, am längeren Hebel sitzen. Sonst wäre es für mich ein Leichtes, wieder zurückzukommen. Denn was wollen die Leute mehr, als einen Fahrer, der sich geoutet hat? Der seine Strafe kassiert hat, obwohl er nicht positiv getestet war? Der bei der Aufklärung mitarbeitet und eine gewisse Demut erlebt - und der einfach nur hofft, wieder in den Radsport zurückzukommen? Aber scheinbar kann sich nicht jeder diese Transparenz leisten. Oder sie haben Angst, dass während einer Mannschaftsfeier nach dem dritten Glas Rotwein alte Geschichten erzählt werden, die ich dann der Presse petze.

sueddeutsche.de: Gibt es überhaupt diese Teammanager, die mit der Vergangenheit abschließen und einen neuen Weg gehen wollen? Was ist mit dem neuen Team von Bob Stapleton, der Nachfolgemannschaft des T-Mobile-Teams?

Jaksche: Nach dem, was Patrik Sinkewitz mir erzählt hat, wollte Stapleton eine saubere Mannschaft bei T-Mobile.

sueddeutsche.de: Wie passt dann der ehemalige Armstrong-Helfer George Hincapie in das Team?

Jaksche: Man muss irgendwann aufhören zu fragen, woher die Leute kommen, sondern sehen, wohin sie gehen. Hincapie hätte auch in einem Team unterschreiben können, das es nicht so ernst mit dem Anti-Doping-Kampf meint. Er unterwirft sich diesem System und das ist erst mal gut.

sueddeutsche.de: Welches Team könnten Sie sich als Arbeitgeber vorstellen?

Jaksche: Ich hatte gedacht, dass ich zu T-Mobile passen würde. Da wäre ich vielleicht nicht als der "In-die-Suppe-Spucker" aufgenommen worden. Ich brauche ein Team, das mich unterstützt. Es bringt ja nichts, wenn ich als der Pseudo-Anti-Doping-Kasper die Idiotenfigur abgebe, um für ein Team das Anti-Doping-Image zu kreieren.

sueddeutsche.de: Für ein sauberes Team wären Sie und Sinkewitz Vorzeigefiguren. Warum werden Sie so ignoriert?

Jaksche: Für ein paar Mannschaften ist es schwierig zu sagen, wir holen den Jaksche. Da braucht man viel Transparenz - und die kann man sich vielleicht nicht leisten.

sueddeutsche.de: Das würde ja zeigen, dass kein einziges Team wirklich transparent arbeiten will.

Jaksche: Viele der 19 Profiteams werden von ehemaligen Radprofis geführt, die wohl auch mit Doping zu tun gehabt haben. Die sehen mich vielleicht als Nestbeschmutzer. Auf der anderen Seite sind derzeit viele Radprofis ohne Job. Die Auswahl ist groß.

sueddeutsche.de: Sinkewitz hat die Idee, mit Ihnen zusammen ein neues Team zu bilden, das für Sauberkeit stehen soll. Nur eine Utopie?

Jaksche: Ich glaube, es ist realistisch. Aber den Neuanfang kann man nur mit Leuten machen, die mit der Öffentlichkeit im Reinen sind. Man bräuchte einen Gönner dafür - weil anfangs der Werbewert zwar riesig ist, es aber kaum gute Ergebnisse bei Radrennen geben dürfte. Doch der Radsport ist derzeit eine Art No-go-Gebiet. Jeder versucht, dem anderen ein Bein zu stellen. Andererseits wird der Einstieg immer günstiger und man könnte am Ende als Investor als Gewinner rausgehen.

sueddeutsche.de: Nach fast 17 Jahren zieht sich der Telekom-Konzern aus dem Profiradsport zurück. Wie werten Sie den Ausstieg von T-Mobile?

Jaksche: Das war sicherlich erwartbar. Es gab einfach zu viele negative Meldungen im Zusammenhang mit T-Mobile. Das ist für den Radsport schade, da T-Mobile viele Aktivitäten gefördert hat, zum Beispiel im Jugendbereich.

sueddeutsche.de: Auf der anderen Seite entstehen Mannschaften wie Astana aus Kasachstan mit Geldgebern, die vielleicht nicht so genau hinschauen.

Jaksche: Ich denke, es wird künftig zwei Typen von Sponsoren geben. Die einen werden eine klare Vereinbarung haben - bei Doping im Team sind sie draußen. Die anderen sind weit weg und wollen irgendwie mit relativ wenig Geld auf den europäischen Markt kommen - denen ist das Schnuppe. Dass man Alexander Winokurow bei der Tour wegen Doping ausgeschlossen hat, hat sicherlich Astana gekratzt, weil er ein kasachischer Nationalheld ist. Aber ich glaube nicht, dass das Image der kasachischen Geldgeber deshalb gelitten hat.

sueddeutsche.de: Alle Teams fahren dasselbe Rennen - die vermeintlich sauberen und diejenigen, die es nicht so ernst nehmen.

Jaksche: Ich denke, die Leute können erzogen werden. Wenn es Teams gibt, die sich klar gegen Doping bekennen, dann gehen die Fahrer vielleicht lieber dorthin, weil sie sich nicht ständig vor Kontrolleuren verstecken müssen, weil sie nicht wie Kleinkriminelle Arzneien über Grenzen schmuggeln müssen.

sueddeutsche.de: Ob dort am Ende die großen Sieger fahren? Einer wie Ivan Basso, der auch auf der Fuentes-Liste stand und wohl nur die halbe Wahrheit gesagt hat, kehrt sicher irgendwann zurück.

Jaksche: Basso kann das, weil die Italiener sagen: Wer noch nie Blödsinn gemacht hat, der soll den ersten Stein werfen. Selbst die Österreicher sehen es lockerer als die Deutschen. Vielleicht ist das eine gewisse Erbschuld, dass wir Deutschen sagen, wir müssen das jetzt 110-prozentig aufarbeiten, was schon seit 30 Jahren im Argen liegt.

sueddeutsche.de: Die Deutschen machen zu viel Aufhebens um das Thema Doping?

Jaksche: Nein. Aber wir versuchen Abläufe, die seit 30, 40 Jahren akzeptiert waren, innerhalb eines halben Jahres aufzuarbeiten, ohne über die Vergangenheit wirklich offen zu reden. Da werden dann einzelne Leute kriminalisiert, Jan Ullrich wird öffentlich hingerichtet. Aber dass es etwa im Kalten Krieg politisch akzeptiert war, wenn man unter medizinischer Aufsicht Testosteron an die Sportler gab, das wird lapidar weggewischt.

sueddeutsche.de: Was bereuen Sie mehr: Gedopt oder ausgepackt zu haben?

Jaksche: Würde ich aus beruflicher Sicht noch einmal in die Öffentlichkeit gehen? Ich würde aus heutiger Sicht auf jeden Fall lange zögern. Ich habe jetzt das Image, schon mal bestraft worden zu sein. Wenn du im Radsport gegen eine solche Art von Omertà verstößt, dann hilft dir auch die geringste Strafe nichts. In anderen Sportarten wie in der Leichtathletik fängt man wieder unten an und kämpft sich über gute Leistungen hoch. Aber ich brauche einen Teamleiter, der mich einstellt und bin letztlich ein Bittsteller.

sueddeutsche.de: Es meldet sich niemand?

Jaksche: Nein, niemand. An meiner Person sieht man dann auch, ob sich etwas geändert hat. Im Moment zweifle ich, ob ich noch mal zurückkommen kann.

sueddeutsche.de: Sie sind bis Anfang Juli 2008 gesperrt. Sollten Sie keinen Vertrag für die kommende Saison bekommen, hören Sie dann auf?

Jaksche: Momentan bin ich noch im Gespräch, aber nach noch einem Jahr Pause bin ich wohl abgeschrieben. Ich wäre schon froh, wenn ich überhaupt den ersten Schritt in Richtung Radsport schaffe. Aber derzeit würde ich keine 100 Euro darauf wetten, dass ich 2008 Rad fahre.

sueddeutsche.de: Warum will man eigentlich in diese Szene zurück? Jetzt wurde bekannt, dass Teamchef Stapleton mit Detektiven beweisen wollte, dass der Telekom-Konzern früher vom Doping wusste.

Jaksche: Ich liebe den Radsport, auch wenn mir die Vorgänge nicht gefallen, die damit einhergehen. Deshalb ist es eine wichtige persönliche Sache, denen zu beweisen, dass sie mich nicht raushalten können, dass ich zurückkommen kann. Sonst sagen die Leute: "Schau dir den Jaksche an, den Deppen, hätte er lieber mal die Klappe gehalten!" Dann wird es anderen schwerfallen, sich zu outen.

sueddeutsche.de: Können Sie sich vorstellen, wieder im Feld mit Radprofis zu fahren, die nicht gut auf Sie zu sprechen sind?

Jaksche: Kein Problem. Die Fahrer, mit denen ich gesprochen habe, die sagen, ich habe ihnen aus der Seele gesprochen. Die haben halt Angst. Und sie haben Verträge, die sie sich nicht kaputtmachen wollen.

sueddeutsche.de: Wie ist Ihr Verhältnis zum Bund Deutscher Radfahrer? Jaksche: Man darf jetzt nicht erwarten, dass im Verband übertriebener Aktionismus ausbricht. Die Leute dort wissen meist selbst gar nicht, was da vorgeht. Vor zehn Jahren wurde das Dopen strafrechtlich nicht verfolgt, heute wird es verteufelt. Damals wurde all ihre staatliche Förderung nie in Frage gestellt, jetzt stehen sie dumm da. Aber das betrifft nicht nur den Radsport.

sueddeutsche.de: Hilfe kommt vom BDR nicht?

Jaksche: Präsident Scharping hat mir schon mal Hilfe angeboten. Auch Peter Danckert ( Vorsitzender des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Anm.d.Red.). Aber sonst kommt nicht viel. Ich glaube, im Radsportzirkus wäre es vielen Leuten ganz recht, wenn ich nicht existent wäre. Vor allem den Teamleitern.

sueddeutsche.de: Gibt es einen Termin, an dem Sie aufgeben?

Jaksche: Derzeit liegt der Zeitpunkt am Ende diesen Jahres. Das Datum ist aber variabel. Das Ende der Einschreibung an der Uni in Innsbruck ist Ende Mai. Das wäre aber ein harter Schritt für mich, weil ich dann genau weiß: Ich habe verloren. Was hätte dann alles gebracht? Ich habe sehr viel eingebüßt: meinen Vertrag, meine Karriere, meinen Ruf. Ich wollte etwas verändern mit Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit - wenn ich nun ausscheide und es läuft alles genauso weiter wie vorher, dann wäre alles sinnlos gewesen.

sueddeutsche.de: Wie hat Ihr persönliches Umfeld reagiert?

Jaksche: Die meisten haben das mit der Zeit locker gesehen. In meiner Heimatstadt Ansbach vielleicht weniger, das ist eine Beamtenstadt, da ist es etwas schwierig. Aber in meinem Wohnort in Österreich, da bin ich deshalb auch kein anderer Mensch. Es hat sich Gott sei Dank herausgestellt, dass ich einen guten Freundeskreis habe. Im Radsport hatte ich ohnehin Kollegen und Bekannte, aber keine Freundschaften.

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