Interview mit Heiner Brand:"Zerstören widerspricht meiner Philosophie"

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Handball-Bundestrainer Heiner Brand über seine aktuelle Mannschaft, das Team nach Olympia, Abwehrsysteme und Biertrinken.

SZ: Herr Brand, Sie haben die deutsche Nationalmannschaft zum dritten Mal in Serie bei einem großen Turnier ins Finale geführt und es jetzt auch gewonnen. Steht das Team in seinem Zenit?

Brand: Ganz unten sind wir sicherlich nicht. Es gibt wenige Mannschaften, die das geschafft haben. Ich hoffe, dass der Zenit bei Olympia erreicht wird, aber daran wollen wir jetzt noch nicht denken. Ich glaube, es ist eine herausragende Leistung der Mannschaft, dreimal bei den Besten der Welt im Finale zu sein.

SZ: Im letzten Spiel der Hauptrunde dieser EM hat Christian Zeitz acht Tore geworfen, im Halbfinale Jan-Olaf Immel sieben. Beide sind jüngere Spieler, und sie sind noch Ersatzspieler. Sind diese beiden ein Zeichen dafür, dass in dieser Mannschaft, in der einige Spieler nach Olympia aufhören, bereits die Grundlage für die Zukunft gelegt ist?

Brand: Es ist sehr schön, dass solche Situationen entstehen, aber man darf da nicht in den Fehler verfallen, zu glauben, wenn die und die aufhören, kämen eben andere, und dann ist alles wieder so, wie es war. Man muss Leistung auch bestätigen, nicht nur über drei, vier Spiele. Innerhalb dieser Gemeinschaft trägt jeder seinen Teil bei, so wie wir das eigentlich wollen. Ich freue mich für die Jungs und auch für die Mannschaft, aber deshalb ist das noch nicht die Zukunft.

SZ: Haben Sie von dieser Mannschaft der Gegenwart je gedacht, dass sie es diesmal nicht schafft?

Brand: Gedacht nicht, aber befürchtet. Der schlechte Auftakt hat im Prinzip die Leistung aus der Vorbereitung bestätigt. Da ist man sich nicht sicher, ob es einen solchen Umschwung wie hier bei der EM wirklich geben wird. Eine Unsicherheit kann man da nicht verleugnen.

SZ: Die Mannschaft hat bei der Auftaktniederlage gegen Serbien und Montenegro so schlecht gespielt wie seit längerem nicht mehr.

Brand: Wie seit längerem in einem großen Turnier nicht mehr. In der Vorbereitung war das ähnlich. Auf der einen Seite hatte ich das vorhergesehen, auf der anderen Seite dachte ich, das muss einfach besser werden. Die Sicherheit kommt dann erst, wenn man sie auf dem Spielfeld sieht. Wobei die Serben nicht so schlecht waren.

SZ: Die Serben, und später auch die Franzosen, wirkten vor allen Dingen viel aggressiver. Sie wirkten bereit, härter zu spielen als die Deutschen.

Brand: Die Franzosen sind ja dafür bekannt, dass sie hart spielen. Dass sie also Leute dabei haben, die bereit sind, das eine oder andere Foul mehr zu machen. Das liegt aber auch am Deckungssystem. Sie versuchen, Angriffsspiel zu zerstören, während wir den Gegner spielen lassen, um ihn zwingen, ein Anspiel zu machen, das nicht ankommt, oder einen Torwurf zu versuchen, bei dem ein guter Block da ist oder der Torwart eine Chance hat. Das sind zwei Handball-Philosophien, die da aufeinander treffen.

SZ: Sie haben während EM kritisiert, dass die Schiedsrichter der offensiven Deckung mehr Freiheiten einräumen als der traditionellen 6-0-Abwehr, wie die Deutschen oder die Schweden sie spielen. Könnte das ein grundsätzliches Problem im Handball werden?

Brand: Insofern ja, als dass offensiv häufig mit aggressiv gleichgesetzt wird und also das Zerstören angestrebt wird. Ich habe das auch schon in der Bundesliga gesehen, dass Mannschaften durch solche Aggressivität ein Spiel bestimmt haben, durch unsaubere Abwehrarbeit. Da habe ich mich mit den Schiedsrichtern auseinander gesetzt und das bemängelt, weil ich glaube, als Bundestrainer für eine Spielweise in der Bundesliga mitverantwortlich zu sein.

SZ: Zeigt es Wirkung, wenn der Bundestrainer sagt, dass er diese Art des Handballs nicht will?

Brand: Ich werde zumindest angehört. Es ist auch häufig eine Frage des Spielverständnisses, ob man eine Situation beurteilen kann. Die Schiedsrichter lernen Regeln: Schritte-Regeln, was ein Stürmerfoul ist und was ein anderes Foul ist; aber was das Spielverständnis angeht, ob einer nur zerstört oder spielt, dafür muss man ein Gefühl entwickeln, und das ist für Schiedsrichter oft schwierig.

SZ: Könnte die Konsequenz sein, dass Mannschaften wie Schweden oder Deutschland ihr Abwehrsystem deshalb umstellen müssen?

Brand: In den letzten Jahren hatten wir Erfolg mit dieser Spielweise, die Schweden waren vor zwei Jahren Europameister. Ich glaube, dass man damit weiter leben kann, aber ich will nicht ausschließen, dass wir in absehbarer Zukunft eine offensivere Abwehrformation spielen. Wobei das bei mir aus dem Gedanken heraus resultiert, dass ich dann auch andere Spielertypen habe. Wenn Zerbe, Schwarzer und Petersen nach Athen nicht mehr da sind, bin ich wahrscheinlich sogar gezwungen, die Abwehrformation zu ändern. Nur kann ich mir nicht vorstellen, dass ich einer Mannschaft vorgeben werde, ein Spiel zu zerstören. Wenn ich offensiver decke, dann will ich den Gegner durch Beinarbeit unter Druck setzen. Ob das gelingt, kann ich noch nicht sagen. Aber das zerstörende Spiel widerspricht meiner Auffassung vom Handball.

SZ: Wenn man auf die Typen schaut, mit denen Sie jetzt spielen: Bilden die eine eher brave Mannschaft?

Brand: Wir sind sicherlich, im Vergleich zum Beispiel zu den Franzosen, eine brave Mannschaft. Zudem sieht man von unserer Mannschaft nie ein absichtliches Foul, wie beim Spiel der Franzosen gegen uns. Es lässt sich beim Handball nicht ausschließen, dass man auch mal einen im Gesicht trifft, aber Sie werden keinen bei uns sehen, der absichtlich so ein Foul begeht. Das wollen wir nicht. Handball lebt vom körperlichen Zweikampf, doch ich sage immer: Wir wollen hart spielen, aber nicht schlagen.

SZ: Dann ist der Franzose Dinart, der als härtester Abwehrspieler der Welt gilt, nicht direkt Ihr Lieblingsspieler?

Brand: Ich habe mich ein bisschen an dem festgebissen. Im Prinzip habe ich nicht so viel dagegen, was er spielt, ich habe nur etwas dagegen, wenn die Schiedsrichter nicht reagieren. Wenn der ein ganzes Spiel nur klammert und hat immer noch keine Zwei-Minuten-Strafe bekommen, dann kann das nicht sein. In der 6-0-Deckung kriegt man wegen Trikotzupfens zwei Minuten. Dinart klammert ja nicht nur, der macht im Prinzip alles, was man nicht darf. Das ist sein Recht, solange die Schiedsrichter nicht pfeifen, und das sehe ich als Problem.

SZ: Sie galten auch mal als härtester Abwehrspieler der Welt.

Brand: Och, härtester - weiß ich gar nicht. Eine gewisse Härte ist dabei. Wenn ein Angreifer mit Anlauf kommt, muss ich dem ja mit Körperkontakt begegnen. Wir haben damals auch eine 6-0-Deckung gespielt, und ich habe auch mal geklammert, aber ich habe auch versucht, Bälle zu blocken, oder den Schützen zu provozieren, dass er schießen sollte. Das war für mich eher Erfüllung, als das Spiel kaputt zu machen. Es ist klar, dass man das auch mal macht, aber das Spiel hat sich ja weiter entwickelt, und deshalb habe ich über Dinart mal gesagt: Der spielt so hinten drin, wie wir früher gespielt haben. Da sich das Handballspiel weiter entwickelt hat, meine ich, das darf nicht mehr sein.

SZ: Fehlt der deutschen Mannschaft einer, der auch mal ein Zeichen setzt, der, grob gesagt, ein richtiges Effenberg ist?

Brand: Das kann schon mal so sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich so einen haben will. Da bin ich etwas gespalten. Manchmal denke ich, wenn wir jetzt einen hätten, vor dem die anderen richtig Respekt haben, das wäre gut. Aber wir haben es ja auch so hingekriegt.

SZ: Ist Stefan Kretzschmar, der verletzt fehlte, so einer?

Brand: Er genießt eher wegen seiner sportlichen Fähigkeiten Respekt. Er ist keiner, der für den Gegner etwas Böses darstellt.

SZ: Es sieht witzig aus, wenn man die Lebensläufe Ihrer Spieler anschaut und sieht, dass fast alle Bankkaufmänner und Reisekaufleute sind. Kreisläufer Christian Schwarzer zum Beispiel, der Furcht erregend aussehen kann, und der am Kreis die Schläge abbekommt und sich klaglos wieder dahinstellt.

Brand: Der Christian spielt so, wie er sich von den anderen wünscht, dass sie spielen. Wir sind uns da von der Einstellung her einig. So wollen wir uns präsentieren.

SZ: Die Spieler, die jetzt das Bild der Mannschaft prägen, treten ja bald ab. Wie können Sie den Umbruch einleiten?

Brand: Ich habe in den vergangenen Jahren immer versucht, auch junge Leute ranzuführen. Teilweise ist uns das schon gelungen, wie mit Pascal Hens oder Christian Zeitz, oder davor mit Florian Kehrmann oder Jan-Olaf Immel. Aber es wird eine sehr schwierige Zeit. Es sind sich viele Handballkenner noch gar nicht im Klaren darüber, was da auf uns zukommen wird. Vom Angriff her werden wir es mit Sicherheit schaffen. Es wird in der Abwehr ein Problem werden, und deshalb gehen meine Gedanken schon hin zu einer offensiveren Formation. Ich könnte natürlich wieder mit einem Spezialisten in der Abwehr arbeiten, wobei ich das in Zukunft eigentlich nicht mehr machen will, weil es der Attraktivität des Handballs abträglich ist. Es wird ein Problem werden, das in der Abwehr einigermaßen hinzukriegen.

SZ: Heißt das, dass die Mannschaft künftig eine Weile nicht mehr oben mitspielt?

Brand: Unser Ziel muss sein, da oben zu bleiben. Es wird schwer werden, doch das muss das Ziel bleiben. Ich habe immer an die Zukunft gedacht, aber zu intensiv habe ich mich natürlich auch noch nicht damit auseinander gesetzt.

SZ: Bereitet Ihnen das Sorge?

Brand: Ich mache mir natürlich meine Gedanken. Im Moment freue ich mich mehr über das Aktuelle. Aber es steckt ein gewisser Reiz darin, eine neue Mannschaft aufzubauen, deshalb habe ich ja meinen Vertrag bis 2008 verlängert. Es kommt etwas Neues. Jetzt, bei dieser Mannschaft, ist vieles ein Selbstläufer. Es hat zwar eine Zeit lang gedauert, bis wir so weit waren, aber ich muss jetzt die Mannschaft nicht mehr führen. Ich muss ja keine Kontrolle machen, ob die Spieler die Bettruhe einhalten. Die sind von der Einstellung her absolut top. Wenn man denen nach einem gewonnenen Spiel sagt, ihr könnt ein Bier trinken, dann trinken die kein Bier. Das wäre zu meiner Zeit unvorstellbar gewesen.

SZ: Inwieweit macht Sie der Erfolg der Mannschaft persönlich stolz?

Brand: Naja, ich gehöre ja auch dazu.

Interview: Christian Zaschke

© SZ vom 2.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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