Interview mit Britta Steffen:"Ich hatte wahnsinnig Angst"

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Olympiasiegerin Britta Steffen spricht über ihre Goldrennen in Peking, die Querelen mit Adidas, ihre Australien-Pläne und warum sie beim Schwimm-Weltcup in Berlin fehlt.

Interview: Thomas Hummel

sueddeutsche.de: Frau Steffen, Sie haben bei den Olympischen Spielen in Peking die einzigen Goldmedaillen für das deutsche Team in der Kernsportart Schwimmen geholt. Sie wurden als Retterin des deutschen Schwimmens gefeiert. Seitdem haben wir nicht viel von Ihnen gesehen.

Der größte Moment: Schwimm-Olympiasiegerin Britta Steffen bei der Siegerehrung in Peking. (Foto: Foto: dpa)

Britta Steffen: Nach den Spielen war ich zwei Wochen in Berlin, habe einige Empfänge erlebt und anschließend vier Wochen Urlaub gemacht in Mexiko und auf Usedom. Ich studiere Wirtschaftsingenieurwesen und habe vor Peking ein Urlaubssemester genommen. Was ich da verpasst habe, versuche ich im nächsten halben Jahr wieder gutzumachen. Das richtige Training mit zwei Einheiten am Tag geht erst jetzt wieder los.

sueddeutsche.de: Bei den Mannschaftsmeisterschaften in Hannover und in Tuttlingen sind Sie schon geschwommen.

Steffen: Aber noch nicht wirklich gut. Deshalb habe ich mich gegen einen Start beim Weltcup in Berlin entschieden. Ich bin Olympiasiegerin und habe einen gewissen Anspruch an meine Leistung. Da will ich mich nicht mit den Besten der Welt messen, ohne ordentlich trainiert zu haben. Mein Ziel ist die WM-Qualifikation im Juni.

sueddeutsche.de: Es war mit dem DSV verabredet, dass sich die Schwimmer nach Olympia dem Studium widmen können?

Steffen: Ich für meinen Teil hatte das mit meinem Trainer und dem Sportdirektor so besprochen. Und ich wollte meinem Körper mal ein bisschen Ruhe geben. Aber spätestens ab Februar möchte ich mich wieder voll auf den Sport konzentrieren.

sueddeutsche.de: Bis auf Paul Biedermann und Helge Meeuws starten keine deutschen Eliteschwimmer in Berlin.

Steffen: In diesem Jahr liegt der Fokus für mich nicht auf dem Weltcup, in den vergangenen Jahren gab es deshalb auch keine Nachfragen.

sueddeutsche.de: Werden Sie in Berlin wenigstens in der Halle sein?

Steffen: Am Samstag habe ich Uni von zehn bis 18 Uhr und am Sonntag habe ich Geburtstag. In den letzten Jahren hatte ich nie Gelegenheit, meinen Geburtstag zu feiern. Jetzt werde ich ein Vierteljahrhundert alt und will das endlich im Kreis meiner Lieben nachholen.

sueddeutsche.de: Der DSV scheint ziemlich unter Druck zu stehen, dem Fernsehen und den Sponsoren etwas zu bieten.

Steffen: Der Verband will zeigen, dass es noch Leistungsträger gibt. Aber es war auch klar, dass viele Schwimmer nach Olympia pausieren werden.

sueddeutsche.de: Gab es vom DSV Versuche, Sie zu einem Start zu überreden?

Steffen: Ich wurde gefragt, ja. Da habe ich meine Position kundgetan. Das wurde akzeptiert.

sueddeutsche.de: Dem DSV droht der Absprung des Ausrüsters Adidas, mit dem es einen lukrativen Vertrag gibt. Während Olympia hagelte es Kritik am Adidas-Schwimmanzug, der im Vergleich zu den Modellen des Konkurrenten Speedo viele Nachteile gehabt haben soll.

Steffen: Ich war mit dem Anzug hundertprozentig zufrieden. Aber ich kann nicht beurteilen, wie sich andere Schwimmer darin fühlen. Sollte sich Adidas zurückziehen, könnte ich das verstehen. Denn diese negativen Aussagen über einen Sponsor gehören sich einfach nicht. Als Sponsor erwartet man Loyalität.

sueddeutsche.de: Man hört, Adidas überlegt, sich auf die Unterstützung einzelner Sportler zu konzentrieren. Wäre Britta Steffen eine Gewinnerin dieser Debatte?

Steffen: Ich habe sowieso seit 2006 einen persönlichen, sehr gut dotierten Vertrag mit Adidas. Mir wurde signalisiert, dass Adidas auf jeden Fall weiter mit mir zusammenarbeiten will.

sueddeutsche.de: Sendet der DSV Signale, mit Ihnen an der Spitze den Schwimmsport in Deutschland wieder auf die Beine zu bringen?

Steffen: Ich denke, dass kann nicht an einem Sportler festgemacht werden. Örjan Madsen ( ehemaliger DSV-Cheftrainer, Anm. d. Red) hat es richtig gesagt: Man muss die gesamten Leistungen beurteilen und nicht nur das Trostpflaster, das meine zwei Medaillen letztlich in Peking bedeuteten. Eine Person kann weder die deutsche Leichtathletik noch das deutsche Schwimmen retten. Deshalb wäre es ein Fehler, mich nun vor den Karren zu spannen und zu sagen: Na ja, eigentlich waren wir ja nicht so schlecht. Man muss wohl im Leistungssport-System etwas ändern. Aber ich kann nur mein Training beurteilen, ich kann nicht sagen, wo es in den nächsten Jahren langgehen soll.

sueddeutsche.de: In Peking gab es harsche Kritik an den deutschen Schwimmern, sie hätten nicht richtig und zu wenig trainiert, hätten sich vor Olympia vor internationalen Wettkämpfen gedrückt?

Steffen: Da muss jeder seinen eigenen Weg finden. Wenn ich nicht erfolgreich gewesen wäre, hätte man meinen Weg auch kritisiert. Manche Wege gehen auf, manche nicht. Die Leistungen sind individuell und nicht über einen Kamm zu scheren. Ich habe auch nicht alles richtig gemacht.

sueddeutsche.de: Wie in anderen Nationen soll nun der DSV-Cheftrainer weisungsbefugt gegenüber den Heimtrainern und den Athleten sein.

Steffen: Jede Veränderung ist nach Peking gut. Die Zentralisierung finde ich nicht schlecht, aber es muss auch genug Raum bleiben für Individualität. Ich bin gespannt, ob der neue Cheftrainer genug Macht bekommt, um seine Ideen durchzusetzen. Gleichzeitig frage ich mich, ob es gut ist, die Sportler zu zwingen. Lutz Buschkow ( neuer DSV-Sportdirektor, Anm. d. Red.) hat keine leichte Aufgabe.

sueddeutsche.de: In Peking waren sie nach dem Staffelrennen über 4x200 Meter und dem fünften Platz sehr geknickt. Was ist in den paar Tagen danach passiert, sie wirkten vor den Einzelrennen so selbstbewusst?

Steffen: Ich bin nicht selbstbewusst in die Einzelrennen gegangen. Ich hatte wahnsinnig Angst. Auf der anderen Seite war ich auch entspannt, weil alle Deutschen so enttäuscht hatten und ich nur die Nächste gewesen wäre. Doch ich wollte mich nicht kampflos geschlagen geben wie bei den beiden Olympischen Spielen zuvor. Da war die Stimmung ähnlich schlecht gewesen und ich hatte mich davon beeinflussen lassen. Ich hatte Glück, dass meine Psychologin ( Friederike Janofske, Anm. d. Red.) dabei war und mir geholfen hat, mich wieder besser zu fühlen und an mich zu glauben. Ihr habe ich einen Großteil meines Erfolgs zu verdanken, weil ich mit ihrer Hilfe den Kopf freibekam.

sueddeutsche.de: Psychologische Betreuung ist für Sie wichtiger als für andere Sportler.

Steffen: Ich denke, ich beschäftige mich damit eingehender als andere. Ich wusste, dass ich körperlich schon immer alle schlagen konnte, aber die Frage war immer: Warum schaffe ich es im Rennen nicht? Das lag wahrscheinlich daran, dass ich immer zu viel wollte. Das musste ich erst mal lernen. In den Jahren zuvor auf der Sportschule wurde nur körperliche Fitness gefordert. Im Training war ich fit, und wenn ich die Rennen verloren hatte, verstand es niemand.

sueddeutsche.de: Und heute?

Steffen: Ich denke, es ist eher ein Plus, wenn man zu seinen Schwächen steht. Und es ist besser, fachkundige Hilfe zu holen. In Amerika oder Australien habe alle Sportler Mentaltrainer dabei. Obwohl das in Deutschland negativ belegt ist, engagieren viele Sportler auch in Deutschland einen Mentaltrainer, tragen das aber nicht in die Öffentlichkeit. Ich möchte mich bei Frau Janofske bedanken, ohne sie hätte ich nie mein schwimmerisches Potential ausschöpfen können.

sueddeutsche.de: Hat Ihnen die Betreuung auch abseits des Schwimmens geholfen?

Steffen: Absolut. Wir haben nie am Schwimmsport gearbeitet, sondern an meiner Einstellung zum Leben. Ich war immer zu ehrgeizig, nie zufrieden. Ich wollte immer alles, und dann verzweifelt man und wird pessimistisch. Früher habe ich mich vor allen öffentlichen Auftritten oder vor Bewertungen gedrückt. Denn das kann sehr verletzend sein.

sueddeutsche.de: Was ist passiert?

Steffen: Nach den Spielen 2004 habe ich mich erst mal auf mich konzentriert, eine Pause gemacht und mich anschließend selbst in die Trainingsgestaltung eingebracht. Die Leistungen waren schon lange in mir, doch jetzt erst konnten wir ( zusammen mit ihrem Trainer Norbert Warnatzsch, Anm. d. Red.) die Früchte ernten. Zwar bin ich zum Beispiel vor Prüfungssituationen immer noch hypernervös. Aber jetzt stehe ich da vorne und mache mein Ding. Ich bekomme von vielen Seiten das Feedback, sehr souverän zu wirken, sehr authentisch zu sein.

sueddeutsche.de: Dennoch hat man derzeit das Gefühl, dass Sie seit Peking die Öffentlichkeit fast meiden. Vor allem im Vergleich zu Franziska van Almsick.

Steffen: Ich konzentriere mich auf die Uni. Und wenn ich was mache, dann zu hundert Prozent. Zu sämtlichen Veranstaltungen zu gehen, kostet Kraft und vor allem Zeit, die ich nicht habe. Ich habe nach den Spielen so viele Interviews gegeben, dass ich schon manchmal dachte, ich hätte eine Schallplatte im Bauch. Der kleine Rückzug in den letzten Wochen tat mir ganz gut.

sueddeutsche.de: Wie sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Steffen: Der Plan, für eine Zeit in Australien zu trainieren, ist noch nicht vom Tisch. Die Frage ist allerdings, ob das trainingsmethodisch passt. Wenn die sich gerade auf ihre Meisterschaften vorbereiten und weniger trainieren als ich es brauche, dann hat es keinen Sinn. Das wird sich in den nächsten Wochen klären.

sueddeutsche.de: Worin liegt der Reiz an Australien?

Steffen: In einer Schwimmnation zu trainieren, in der das Niveau sehr hoch ist. Und sich anzusehen, wie es es die Besten der Welt machen und was man da lernen kann. Dazu möchte ich mein Englisch verbessern.

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