Ingolstadts fünfte Niederlage:Hasenhüttls Geister

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Zum-an-den-Kopf-fassen: Lukas Hinterseer bringt den Ball nicht an Torwart Oliver Baumann vorbei. (Foto: imago/Stefan Bösl)

Der FC Ingolstadt sucht nach seiner Identität und wartet weiter auf den ersten Sieg. Mit dem alten Fußball geht's nicht weiter, mit dem neuen Trainer Markus Kauczinski nicht vorwärts.

Von Philipp Schneider, Ingolstadt

Waren es Züge der Enttäuschung, die sich eingegraben hatten in das Gesicht von Markus Kauczinski? Ernüchterung? Oder gar: Genugtuung? Der Trainer des FC Ingolstadt gehört nicht zu den Menschen, die ihre Gefühlslage offen nach außen spiegeln, Kauczinski versteht sich auf die Kunst des rhetorischen Ablenkungsmanövers.

Am Samstag, nach dem 1:2 gegen die TSG Hoffenheim, der bereits fünften Niederlage des FCI im sechsten Spiel, wurde Kauczinski gefragt, ob er soeben die schlechteste Saisonleistung seiner Mannschaft gesehen habe. Also fummelte sich der 46-Jährige seine Brille vor die Augen, die bislang unbenutzt vor ihm geruht hatte, dann sagte er: Ach! Es sei schlicht "einfach beschissen, dass wir immer so früh ein Gegentor bekommen." Aber damit war die Diskussion nicht beendet. Die Zuschauer im Stadion hatten ja alle mitangesehen, wie an diesem Tag ein fußballerisches Experiment gescheitert war: Kauczinski hatte seine Mannschaft noch einmal so spielen lassen wie in der Vorsaison. Offenbar auf ausdrücklichen Wunsch seiner Spieler.

"Das, was war, funktioniert nicht mehr. Das hat jetzt auch der Letzte gesehen", sagte Kauczinski mit einer Note Wohlgefallen in der Stimme. "Ich habe das befürchtet. Und jetzt heißt es, etwas Neues zu finden."

Ingolstadts Versuch mit dem alten System

Es sind die Geister, die jemand anders rief, die Kauczinski verfolgen. Es sind Ralph Hasenhüttls Geister, eine besondere Vorstellung von Fußball, ein taktisch simpler Stil, "der tief in den Köpfen sitzt und mit dem sich alle identifizieren: die Spieler, auch das Publikum", wie Kauczinski nun festgestellt hat. Schon am vergangenen Sonntag, nach dem 0:2 gegen Gladbach, gab es eine Aussprache zwischen Mannschaft und Trainer.

Der taktische Plan, der entwickelt wurde, war, es noch einmal zu versuchen mit dem alten System von Kauczinskis Vorgänger. Noch einmal zurückzukehren zum intensiven Anlaufen und Pressing, abermals dem alten 4-3-3 zu huldigen, das so erstaunlich gut funktioniert hat in der Vorsaison. "Wie elf Hunde wollten wir den Gegner jagen, ihm keine Sekunde Zeit zum nachdenken lassen", sagte Lukas Hinterseer nach der Pleite gegen Hoffenheim. "Das, was wir wollten, voll draufbeißen, das haben wir auch gemacht. Aber wenn du Scheiße am Schuh hast, geht sie schwer weg." Kauczinski sagt: "Es ist kein Sonderrecht des FCI mehr, aggressiv zu sein. Wenn ich heute Hoffenheim hier gesehen habe, wenn ich Frankfurt und die Hertha hier erlebt habe, dann waren die alle aggressiv. Wir lassen durch das, was wir tun, dem Gegner Räume, die gefährlich sind."

Um das Experiment gelingen zu lassen, wirbelte Kauczinski seine Startelf so kräftig durcheinander wie noch nie: Er brachte Lukas Hinterseer, Anthony Jung und Roger für Dario Lezcano, Markus Suttner und Morales. Insbesondere auf Roger, dem einzigen Wellenbrecher im defensiven Mittelfeld, lastete Verantwortung. "Er durfte spielen, weil er das als einzelner Sechser am besten macht", sagt Kauczinski.

Jung schlug zu Beginn immer wieder weite Pässe in die Spitze, meist verfehlten sie ihren Adressaten. Die Spieleröffnung dominierte wie schon in den vergangenen Partien dennoch der FCI, mit schnellen Spielzügen durch das Zentrum, immer wieder angetrieben von Mathew Leckie. Die Spielzüge endeten allerdings jäh im Hoffenheimer Strafraum, erst vertändelte Pascal Groß (2.), dann Moritz Hartmann (10.).

Dem FCI fehlt der Instinkt, seine wenigen Chancen zu nutzen

Seit dem Trainerwechsel fehlt dem FCI der Instinkt, um die wenigen Chancen zu nutzen, die sich ihm traditionell bieten. Es gelte, "vor dem Tor brutaler zu werden", hatte Kauczinski vor der Partie gemahnt, wichtig sei, dass "die Jungs an den Weg glauben." Er meinte: Einen Weg mit mehr Ballbesitz als noch unter Hasenhüttl. Doch der Glaube wurde auf eine harte Probe gestellt, nachdem die tief stehenden Hoffenheimer gleich ihren ersten Konter ins Ziel brachten; so mühelos und effizient, dass einer Kalkül hinter der passiven Aurichtung von Julian Nagelsmanns Team vermuten durfte. Nach einer Flanke von Andrej Kramaric schob der unbedrängte Sandro Wagner den Ball mit so viel Ruhe aus kurzer Distanz ein, dass er noch die Muße gefunden hätte, eine Tasse Grünen Tee aufzusetzen (11.).

Die Hoffenheimer zogen sich nach Ballverlust schnell zurück in die eigene Hälfte, um so das permanente Anrennen der Ingolstädter zu erschweren. Der FCI verausgabte sich zunehmend in seinem ineffizienten Spiel, und der TSG genügte eine weitere Unaufmerksamkeit der gegnerischen Defensive. Nach einem Konter über Lukas Rupp gelangte der Ball zu Kemer Demirbay, der erstaunlich unbewacht von der Strafraumgrenze einschießen durfte (35.) - das 2:0.

Kauczinski griff nach der Pause zum letzten taktischen Mittel in seinem Repertoire: Er brachte Dario Lezcano für Almog Cohen. Der neue Stürmer rückte in der Spitze neben Hinterseer, wo er mit Hartmann und Leckie, die sich etwas weiter hinten einsortierten, eine Art Vier-Mann-Offensive bildete. Doch die technisch auf nahezu allen Positionen überlegenen Hoffenheimer ließen auch die folgende kleine Drangphase der Ingolstädter so gelassen geschehen wie eine träge Almkuh den Tanz der frechen Fliegen auf ihrer Nase. Abgesehen von einer schönen Flugparade von Baumann, der einen Schuss von Leckie entschärfte (57.), und einem Kopfball von Stefan Lex (81.) geschah bis zur Nachspielzeit nicht mehr viel vor dem Hoffenheimer Tor.

Kauczinski erhält Zeit, um einen neuen Plan zu entwickeln

Freilich auch nicht vor dem Ingolstädter, aber das war ja der Plan der geduldigen Hoffenheimer. Pfiffe erklangen von der Südtribüne des Stadions, wo Kauczinski am Pfosten seiner Trainerbank lehnte und das Bild eines zunehmend ratlosen Mannes abgab. Lehnend sah er mit an, wie in der Schlussphase die Angriffswellen der Gäste in zunehmender Frequenz anrollten. Und wieder im Stehen verfolgte er das einzige Tor seiner Elf, einen verwandelten Handelfmeter von Hinterseer in der fünften Minute der Nachspielzeit, nach dem der Schiedsrichter die Partie nicht einmal mehr anpfiff.

Einen Punkt hat der FCI nun nach sechs Spielen, aber Kauczinski erhält die Zeit, in der Länderspielpause einen neuen Plan zu entwickeln. "Anscheindend ist der Fußball von früher momentan nicht der richtige Weg", sagte Sportchef Thomas Linke. "Wir werden den Trainer nicht entlassen. Wir müssen mit ihm analysieren, was wir besser machen können."

© SZ vom 02.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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