Ingolstadt gegen Regensburg:Die Ungläubigen

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„Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt schon ein Kopfballtor gemacht habe.“ – Jann George war weder am Boden noch in der Luft zu bremsen. (Foto: Andreas Nickl/imago)

Aufsteiger SSV Jahn gewinnt das bayerische Derby bei den Schanzern 4:2 - und verschärft die Krise beim weiterhin punktlosen Bundesliga-Absteiger.

Von Johannes Kirchmeier

Sebastian Nachreiner konnte es nicht so recht glauben, was er da etwas mehr als 90 Spielminuten lang von seiner rechten Abwehrseite aus so gesehen hatte. Der Jahn-Verteidiger ließ sich auf den Boden plumpsen, er lag auf dem Rücken, während alle seine Kollegen wie wild über den Platz liefen und jubelten. Der SSV Jahn Regensburg hatte soeben 4:2 gewonnen im Derby beim FC Ingolstadt.

Nachreiner hat viel mehr erlebt im Jahn-Trikot als alle seine Mitspieler. Nach dem verletzten Oliver Hein ist er der dienstälteste Spieler beim SSV, er verteidigt seit sieben Jahren in Rot und Weiß, er geht mit dem Klub ins Bett und steht mit ihm auf. Da musste er die Freude erst einmal sacken lassen. Nach einigen Sekunden stand der 28-Jährige auf, fuhr sich durch seine weniger werdenden Haare, im Gesicht war die Freude erkennbar, aber eben auch: das Erstaunen. Einerseits, weil der Jahn erstmals seit 10. Februar 2013 wieder ein Zweitliga-Spiel gewonnen hat, aber noch viel mehr, weil er es in überzeugender Manier tat. Im Hintergrund hörte man Pfiffe der Ingolstädter Fans.

Es trafen sich an diesem Sonntag ja zwei Teams mit ähnlichen Vorleistungen. Beide hatten ihre ersten beiden Zweitliga-Spiele verloren, es empfing der Tabellen-Letzte den Tabellen-Vorletzten. Nur: Weil Ingolstadt Absteiger aus der ersten Liga und Regensburg Aufsteiger aus der dritten Liga ist, war die Lage in Oberbayern ungleich bedrohlicher als in der Oberpfalz - und ist es nun erst recht. FCI-Vorstand Peter Jackwerth sprach von einem "peinlichen Auftritt". Es müsse nun einiges passieren, da "muss man alle in die Pflicht nehmen". Was heißt: auch den Trainer Maik Walpurgis. Es wird ungemütlich für ihn.

"Es war das fürchterlichste Spiel der Saison", findet Ingolstadts Verteidiger Romain Brégerie

Er hatte wie schon im Pokalspiel gegen den Viertligisten TSV 1860 München (2:1) am vergangenen Wochenende sein Team im alten System aufgestellt. Walpurgis probierte es wieder mit der erprobten 3-4-3-Aufstellung statt mit zwei zentralen Stürmern. Nur zahlte sich der Systemwechsel dieses Mal, gegen einen Zweitligisten, nicht aus, mahnte Jackwerth an. Verteidiger Romain Brégerie sagte: "Es war das fürchterlichste Spiel der Saison." Regensburgs Trainer Achim Beierlorzer musste noch auf seinen jüngst aus Fürth erworbenen Stürmer Sebastian Freis verzichten, der nach einer Knieoperation in drei Wochen mitspielen soll. Erstmals mitspielen durfte Albion Vrenezi. Er hatte im Sommer zwei Verträge unterschrieben, einen in Sandhausen und einen in Regensburg, und war gesperrt. Bis sich die Vereine einigten.

Der FCI startete eifriger, brachte die Kugel allerdings nicht dort unter, wo sie hingehört - im Tor. Je länger es 0:0 stand, desto sicherer wurden die Gäste. Während deren rechter Flügelflitzer Jann George noch einen Konter schwach abschloss (21.), machte es dessen Kollege auf der linken Seite, Joshua Mees, besser. Nach einem langen Ball von Verteidiger Asger Sörensen umkurvte er den unschlüssig heraus wandelnden FCI-Torhüter Martin Hansen und setzte den Ball mit einer Pfostenberührung ins Netz.

In die Halbzeitpause entließen die Ingolstädter Fans ihre Spieler mit "Wir wollen euch kämpfen sehen"-Sprechchören und mit ersten Pfiffen. Tatsächlich legte der FCI dann nach dem Seitenwechsel furios los. "Das waren 20 Minuten, in denen ich gedacht habe: Jetzt sind wir angekommen in der zweiten Liga", sagte Walpurgis. Lezcano kam zur Schusschance (48.) und spurtete kurz darauf in den Strafraum, wo er den Ball querlegte und Sonny Kittel zum 1:1 abstaubte (51.). Kurz darauf erzielte Kapitän Marvin Matip nach einem Kittel-Freistoß das 2:1 per Kopf (57.). Der Favorit schien sich durchzusetzen.

Doch es schien nur einen kurzen Moment so, denn die Ingolstädter gaben die Partie gleich wieder aus der Hand. Es ging rauf und runter, ganz im Sinne des Außenseiters: "In der Summe meine ich, dass wir es ein bisschen mehr wollten", sagte Jahn-Geschäftsführer Christian Keller zu den folgenden Minuten. Trainer Achim Beierlorzer trieb von außen an und sein Jahn blieb dran. Sargis Adamyan scheiterte unmittelbar nach der FCI-Führung an der Latte. Nach einer Flanke von Kapitän Marco Grüttner von rechts köpfelte dann George den Ausgleich (73.). Nur wenige Minuten später flankte der Debütant Vrenezi von der anderen Seite - und wieder traf George per Kopf (79.). Mit drei Toren ist er nun der beste Schütze der zweiten Liga. Hinterher meinte er: "Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt schon ein Kopfballtor gemacht habe." Bei 1,76 Metern Körpergröße verständlich. Der schnelle, mittelgroße Mann, der sein Fußballerleben zuvor fast nur in der Regionalliga verbrachte, steht ganz besonders für den unbändigen Willen der Regensburger.

Bei einem Konter durfte dann der eingewechselte Jonas Nietfeld nach einem Querpass von Grüttner noch das 4:2 erzielen, bevor der Ball noch mal zum Anstoß für den FCI abgelegt wurde. Schiedsrichter Marco Fritz pfiff an - und ab. Und Sebastian Nachreiner ließ sich auf den Rasen plumpsen. Es folgte: ungläubiger Jubel in Rot und Weiß.

© SZ vom 21.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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