HSV nach dem 1:1:So etwas wie Fußball

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Auch der Führungstreffer von Lewis Holtby (Mitte) bringt dem HSV keinen Sieg. Am Ende steht ein Unentschieden gegen Stuttgart. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Beim Hamburger SV wollen sie nach dem 15. Spiel ohne Sieg unbedingt das Positive sehen: Spielerische Fortschritte, erstaunlicher Einsatzwille. Doch dem Klassenverbleib kommen sie trotzdem nicht näher.

Von Frank Hellmann, Stuttgart

Es ist schon lange her, dass etwas wirklich Positives über den Hamburger SV geschrieben wurde. Aber vielleicht muss man seit diesem Samstag in Stuttgart die auf dem Fußballplatz vielmals belegte These infrage stellen, dass beim HSV alle zu jedem Zeitpunkt nur noch an sich selbst denken. Als Aaron Hunt am Abend über das 1:1 (1:1) beim VfB sprach, eilte plötzlich Luca Waldschmidt zurück, der in der Kabine offenbar etwas Wichtiges vergessen zu haben schien. "Hast du dran gedacht?" fragte er Hunt, der unvermittelt in seine Hosentasche griff. Waldschmidt wirkte erleichtert.

Die kleinen Dinge hatten beim eigentlich abgeschriebenen Tabellenletzten auch auf dem Platz bereits überraschend gut funktioniert, Hunt sprach sogar über so etwas Unglaubliches wie Hamburgs fußballerische Fortschritte. Doch fürs große Ziel, an das ein paar Hamburger tatsächlich noch glauben, war der Ostersamstag dennoch nur bedingt dienlich. "Wir sind ein Stück weit enttäuscht. Trotz unser vielen positiven Ansätze helfen in unserer Situation nur noch Siege", sagte Trainer Christian Titz hinterher. Das Remis hilft in der Hamburger Notlage nämlich nicht wirklich. Immerhin durfte er sagen: "Bis auf das Ergebnis haben wir einige Dinge gut gemacht."

Tatsächlich trat der HSV vor allem in der Anfangsphase - ähnlich wie bei der Premiere des beförderten U21-Trainers vor zwei Wochen gegen Hertha BSC (1:2) - geordnet, entschlossen und mutig auf. Es war beispielhaft, wie Douglas Santos im Gegenpressing den Ball eroberte, auf Waldschmidt passte und dessen Schuss VfB-Torwart Ron-Robert Zieler nicht festhielt: Lewis Holtby war zur Stelle und traf zur HSV-Führung nach 18 Minuten.

Holtby, in den vergangenen Monaten beim HSV stets Reservist, lobte den Coach beinahe überschwänglich: "Titz ist Gold wert für uns. Wir bekommen einen guten Input, und ich bin überzeugt, dass diese Spielart uns weiterbringt. Es ist eine klare Handschrift zu erkennen." Nun muss man wissen, dass Holtby eng mit Titz befreundet ist. Auch wenn nicht jeder nur an sich denkt, wird in Hamburg weiterhin selten jemand anders ohne Hintergedanken gelobt. Aber tatsächlich kann es nach dem fußballverweigernden Stil unter Vorgänger Bernd Hollerbach wohl nicht schaden, dass die Hanseaten sich für eine aktive Lösung entschieden haben, die ihnen die Möglichkeit erlauben könnte, mit erhobenem Haupt die Liga zu verlassen.

"Fußball hat ganz viel mit den Köpfen zu tun, und das sieht wieder besser bei uns aus"

Holtby ließ sich das Spiel, das 15. des HSV ohne Sieg, nicht schlechtreden. "Jeder Punkt tut gut und gibt Selbstvertrauen. Jetzt müssen wir im nächsten Heimspiel einen draufsetzen", sagte der Mittelfeldspieler im trotzigen Tonfall. "Fußball hat ganz viel mit den Köpfen zu tun, und das sieht wieder besser bei uns aus." Dafür fährt Titz einen personellen Crashkurs mit prominenten Opfern. Die im vergangenen Winter als Heilsbringer verpflichteten Defensivspezialisten Mergim Mavraj, Kyriakos Papadopoulos und Walace spielen derzeit keine Rolle mehr und bleiben wohl bis Saisonende außen vor.

Neben dem schon gegen Hertha eingesetzten Ville Matti Steinmann, 23, feierten nun noch Mohamed Gouaida, 24, und Stephan Ambrosius, 19, aus der zweiten Mannschaft ihre Saisonpremiere in der ersten Liga. Alle drei Nachrücker vom Regionalligateam wechselte Titz zwar aus, brachte dafür jedoch detaillierte Begründungen im Einzelfall vor. Gleichwohl: Der verjüngte und reformierte HSV besitzt gerade wohl auch nicht die Qualität, um den Befreiungsschlag zu landen. Eine zu kurze Kopfballabwehr von Ambrosius ermöglichte Erik Thommy einen Schuss, und HSV-Keeper Julian Pollersbeck bekam den abgefälschten Ball so schlecht zu fassen, dass Daniel Ginczek für die bis dahin passiven Schwaben ausglich (43.).

Was sich im Anschluss beim Torjubel an der Eckfahne abspielte, wirkte im Nachgang wie eine Kindergarten-Streiterei: Ginczek imitierte mit seinen Gesten - ausgebreitete Arme und Tritt gegen die Eckfahne - ein beliebtes Computerspiel, um nach eigener Aussage lediglich ein Versprechen für seine Kumpels aus einer WhatsApp-Gruppe einzulösen. HSV-Verteidiger Gideon Jung glaubte fälschlicherweise daran, der VfB-Stürmer würde den verletzten Nicolai Müller nachmachen, der sich bei einer ähnlichen Einlage zu Saisonbeginn einen Kreuzbandriss zugezogen hatte. In den Interviews klärte sich das Missverständnis rasch auf: "Wenn er es falsch verstanden hat, wäre es respektlos und ich entschuldige mich dafür", sagte Ginczek.

Stuttgarts Sportdirektor Michael Reschke nannte den Streit einen "Witz in Tüten", und damit war er wohl irgendwie treffend beschrieben. Zum Spiel sagte Reschke, dass es zwar nicht schön gewesen sei, aber: "Mit 38 Punkten ist die Wahrscheinlichkeit auf den Klassenerhalt extrem hoch - wir werden nicht mehr absteigen." So etwas wird beim Hamburger SV in dieser Saison niemand mehr sagen.

© SZ vom 01.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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