Hoffenheims erste Saison-Niederlage:Nur fürs Protokoll

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Allerweltssituationen, schnöde Einwürfe und eine Schwalbe im Mittelfeld: Nach dem 1:2 in Köln erklärt Hoffenheims Trainer Nagelsmann einen großen Pokalkampf mit vielen Kleinigkeiten.

Von Philipp Selldorf, Köln

Laut war es im Müngersdorfer Stadion, sogar noch ein Stück lauter als sonst, weil das Spiel pausenlos packend war, aber in diesem einen Moment hörte man unter den knapp 43 000 Menschen nur noch den Ruf eines einzelnen zornigen Mannes. Dieser Mann war Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann, und es brauchte kein Mikrofon und keinen Lauschangriff, damit sein Schrei auch auf dem westlichen Oberrang verstanden werden konnte. "Maaaannn!", brüllte er so ärgerlich wie verzweifelt in den Kölner Nachthimmel, und Recht hatte er. Dieser Abend hätte wahrscheinlich ein anderes Ende genommen, hätte Nadiem Amiri in der 84. Minute getan, was Fußballer zu tun haben, wenn sie allein mit dem Ball vor dem gegnerischen Tor stehen.

Keine Frage, Amiri hätte in der 84. Minute seine Pflicht erfüllen und das 2:1 für die TSG Hoffenheim schießen müssen, und dann hätte es vermutlich keine Verlängerung gegeben, in der an Amiris Stelle Anthony Modeste das 2:1 erzielte, das stattdessen dem 1. FC Köln den Sieg brachte. "Aus 15 Metern eins zu eins gegen den Torwart - da hätte Nadiem das Spiel entscheiden müssen", stellte der TSG-Trainer später fest, doch er haderte gar nicht mehr mit dem Lauf der Dinge. Er war längst nicht mehr zornig oder verzweifelt, er schilderte nur fürs Protokoll den Sachverhalt.

Strategie und Taktik sind das eine, der Spielverlauf ist das andere

Nagelsmann sagte nach der Niederlage in Köln, er rede "ungern" im Konjunktiv, "im Konjunktiv sprechen Leute, die ihre Handlungsverantwortung abgeben wollen". Ein Satz, der tief in die Lebensart des 29 Jahre alten Trainers blicken lässt. Julian Nagelsmann hat klare Vorstellungen vom richtigen und falschen Handeln, sein analytischer Verstand ist beeindruckend und in Anbetracht seiner Jugend sogar ein bisschen beunruhigend. Anders als sein Leverkusener Kollege Roger Schmidt glaubt, hält sich Nagelsmann nicht für den Erfinder des Fußballs, er hat eine konkrete und durchaus nicht technokratische Auffassung von der Sache, das Verhältnis von Theorie und Praxis inbegriffen. Er weiß: Strategie, Taktik und angewendetes Wissen sind das eine, der Spielverlauf das andere.

Deshalb lenkte er bei der Betrachtung des großen Pokalkampfes den Blick auf die Wirkung der Kleinigkeiten. Er sprach von den "schnöden Einwürfen und Allerweltssituationen", die dem FC nach dem frühen Rückstand halfen, die Unterstützung der Fans zu gewinnen und ins Spiel zurückzukehren, und die heimliche Schlüsselszene der Partie lokalisierte Nagelsmann bei einem Vorfall, der in der TV-Zusammenfassung nicht vorkam: Kerem Demirbays Mittelfeld-Schwalbe in der 33. Minute. Der Schiedsrichter ahndete den Fall mit Gelb und einer scharfen Zurechtweisung - das Stadion tobte vor Empörung, der FC übernahm von den anfangs überlegenen Hoffenheimern die Spielkontrolle.

Den Namen des Urhebers hat Nagelsmann nicht genannt, als er "ein, zwei nicht ganz so glückliche Aktionen in der gegnerischen Hälfte" zum Auslöser für den Bruch im Spiel erklärte. Aber Demirbay wird schon erfahren, dass er gemeint war. Nagelsmann, so erzählt man in Hoffenheim, kann streng sein; für die Annahme, dass ein Trainer, der kaum älter ist als seine Profis, zwingend ein Autoritätsproblem bekommt, gibt es keine Anhaltspunkte.

"So konstant wie Köln spielen": Das ist das Ziel der TSG

Andererseits braucht Demirbay nicht zu befürchten, dass eine gnadenlose Presse und eine aufgebrachte Öffentlichkeit in Sinsheim und Zuzenhausen seine Bestrafung fordern. Hoffenheim ist nicht Schalke oder Hamburg. Auch die Mitspieler gingen in Köln recht unbeschwert mit der Niederlage um. Sie haben bis in die letzte Sekunde fleißig den überfüllten Strafraum des FC berannt (wo laut Coach Peter Stöger ein Kölner "Panikorchester" waltete), und sie haben auch unentwegt aufs Tor geschossen (meistens aber drüber), und gleich danach sah man den Torwart Oliver Baumann im entspannten Plausch mit den Kölner Torschützen Anthony Modeste und Marcel Risse. Der freundliche Kapitän Sebastian Rudy bedauerte zwar, dass dem Ausgleichstor in der 123. Minute wegen Abseits die Anerkennung versagt wurde, doch hielt er sogleich fest: "Aber sonst war es eine gute Leistung vom Schiedsrichter."

Auch Nagelsmann wirkte nicht dramatisch bedrückt. "Es war klar, dass wir nicht ungeschlagen durch die Saison kommen", sagte er. Der junge Mann hat ehrgeizige Ziele, aber er hat es nicht eiliger als nötig. Die größten Komplimente machte er daher dem Kollegen Stöger: "Beim FC machen sie einen Super-Job. So konstant wie Köln spielen - da wollen wir auch hinkommen."

© SZ vom 28.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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