Hilde Gerg siegt:Eine Nummer für sich

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Hilde Gerg holt in Lake Louise den ersten Weltcup-Sieg der Saison für das deutsche Alpin-Team. Ausgerechnet an dem Ort, an dem ihre Karriere fast ein Ende gefunden hätte.

Von Wolfgang Gärner

Der Berg Whitehorn, an dem 2010 um die olympischen Alpinmedaillen gefahren wird, zeigte sich von einer unfreundlichen Seite: Es schneite so stark, dass man gerade mal ein bisschen weiter sehen konnte als die Hand vor Augen. Es war nicht so, dass Hilde Gerg diese Umstände nicht als unangenehm empfunden hätte, aber: Sie kümmerte sich nicht weiter drum.

"Ich habe es mir mit den Jahren abgewöhnt, über das Wetter nachzudenken. Ich konzentriere mich stattdessen auf das Wesentliche. Es ist nicht einfach zu fahren, wenn man wenig sieht, aber ich versuche, das Beste aus den Verhältnisse zu machen. Ich hatte trotzdem ein gutes Gefühl und konzentrierte mich darauf, aggressiv zu bleiben. Es hat funktioniert."

Und wie: Die 29-jährige Lenggrieserin, tags zuvor Dritte hinter Lindsey Kildow (USA) und Carole Montillet (Frankreich), gewann die zweite Weltcup-Abfahrt des Winters mit 15/100 Vorsprung auf Renate Götschl (Österreich), Olympiasiegerin Montillet wurde diesmal Dritte.

Unangenehme Erinnerung

Das sorgte für starke Erleichterung bei der Leitung des deutschen Teams, aus dem es in den vier vorangegangenen Rennen keine auf das Podest geschafft hatte; die zwei fünften Plätze von Riesenslalomfahrerin Martina Ertl waren noch das Erfreulichste. "Zäh in die Saison gestartet", bestätigte Cheftrainer Wolfgang Maier, umso wichtiger sei der Erfolg von Lake Louise gewesen, "denn wir mussten nach dem Ausfall von Maria Riesch für ein bisschen Präsenz sorgen."

Das kanadische Skiressort Lake Louise ist für die deutschen Skifrauen ein angenehmer Aufenthaltsort von jeher: Hier stand Hilde Gerg schon zum neunten Mal auf dem Podest, hier war Petra Haltmayr 2000 und im Jahr darauf zu ihren bisher einzigen Siegen im Weltcup gekommen, und fuhr nun an gleicher Stelle als Siebte und Sechste so gut wie seitdem nie mehr.

"Das erinnert sehr an die schönen Zeiten. Hoffentlich komme ich jetzt aus dem Wellental mal raus", meinte die Rettenbergerin. So lange brauchte Hilde Gerg nicht zurückzudenken, weil es gerade mal elf Monate her ist, seitdem sie in Cortina d'Ampezzo eine Weltcup-Abfahrt gewann. Die Vorgeschichte dieses Erfolgs hatte aber auch viel mit Lake Lake Louise zu tun, denn hier traf sie anno 2002 der zweite herbe Rückschlag ihrer Karriere (nach einem Beinbruch zwei Jahre vorher): Am 6. Dezember wurde sie als Abfahrtssiegerin gefeiert, am 7. Dezember riss ihr das Kreuzband.

Vergangenes Jahr hat sie in Lake Louise mit den Plätzen zwei, drei und fünf schon bewiesen, dass sie das Missgeschick verwunden hat, das ihr hier widerfuhr, am Sonntag nun konnte sie erleichtert feststellen: "Es ist schön, wieder da zu sein, wo ich vor zwei Jahren aufgehört habe."

Es hat sich allerhand getan seitdem, im Team hatte eine gründliche Umwertung der Hierarchie durch den Aufstieg der neun Jahre jüngeren Maria Riesch stattgefunden. Hilde Gerg hatte damit kein Problem, versicherte sie, gestand allerdings, dass sie sich sehr wohl in einer neuen Situation gefunden habe: "Das hatte ich noch nie, dass eine Jüngere im Team schneller war als ich." Sie nahm die Neue nicht als unliebsame Rivalin, sondern sah in ihr "eine mehr, an der man sich orientieren kann".

Das sei kein Schaden für seine erfahrenen Spitzenkräfte, meinte Wolfgang Maier: "Hilde und Martina Ertl müssen sich neu positionieren, auch mal einen Schritt zurückstecken. Hilde war bisher immer eine Nummer für sich." Das ist sie immer noch, und zwar nicht deshalb, weil Maria Riesch, die das Comeback nach ihrer Schulterverletzung verschieben und den Start in Altenmarkt am kommenden Wochenende streichen musste, frühestens am übernächsten in Val d'Isère wieder mitmachen kann.

"Hilde Gerg ist ein extremer Profi", sagt Maier, "bei ihr kannst du als Coach die Augen zumachen und sicher sein: Die tut das, was sie tun muss. Das Richtige."

Richtig war, etwas mehr Riesenslalom zu trainieren, auch wenn sie sich von den Rennen dieser Disziplin vorwiegend fernhält (Aber: "Diese Technik braucht man für Abfahrt und Super-G"). Wichtig war: "Dass ich gesund durch Frühjahr, Sommer und Herbst gekommen bin, endlich mal wieder." Allenfalls im Riesentorlauftraining ermüdete die Wadenmuskulatur im verletzt gewesenen Bein etwas schneller, reagierte das Schienbein gereizt. Aber: Das Knie, dessen Inhalt 2002 in Lake Louise zerfetzt wurde, "das ist 100-prozentig gut - so, als ob ich nie was gehabt hätte". Sie will sich noch länger darauf verlassen können, denn: "Das ist nicht meine letzte Saison!", versicherte sie lange, bevor in Lake Louise der 19. Sieg im Weltcup eingefahren war.

Olympia 2006 im Piemont ist noch mal ein Ziel, auch für die bevorstehenden Weltmeisterschaften kommenden Februar in Bormio stehen die Vorzeichen nicht schlecht: "Ich weiß, wie ich Skifahren muss, um Rennen zu gewinnen", sagt Hilde Gerg. Was den Sport für sie ausmacht, ist aber mehr als das Ergebnis, die Medaille: "Der Reiz ist es, auf den Punkt die Leistung abzurufen... Ich fahre einfach gerne Rennen... Ich lebe für den Sport..." Erstaunlich ist nur, dass kein Sponsor auf dem Helm der Siegfahrerin Hilde Gerg Reklame macht. Das kann sich schnell ändern.

© Süddeutsche Zeitung vom 6.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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