Hilde Gerg:Ein Abschied mit Tränen

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Sie wollte bei Olympia eine gute Figur abgeben und dann stilvoll abtreten. Doch Slalom-Olympiasiegerin Hilde Gerg musste zwei Tage nach ihrer schweren Knie-Operation den Rücktritt erklären. Von Wolfgang Gärner

Erst noch eine zweite Meinung einholen, die Hoffnung auf die letzte Chance festhalten - aber wie es tatsächlich um sie stand, wusste Hilde Gerg schon, als sie im Schnee von Copper Mountain lag, und der Schmerz sich ausbreitete in ihrem rechten Knie. Da schleuderte sie Helm, Brille, Handschuhe von sich, "und dann schrie ich, dass ich nicht gut finde, hier und jetzt meine Karriere beenden zu müssen".

Gestern tat sie das auch offiziell - wieder mal eine Pressekonferenz im Krankenhaus, wie sie vor fünf Jahren schon eine gegeben hatte in der Murnauer Unfallklinik nach ihrem Beinbruch, diesmal in der Gräfelfinger WolfartKlinik, wo am Samstag ihr Hausorthopäde Dr. Erich Rembeck das zerfetzte Knie zusammengeflickt hatte. Zerstoben war die Hoffnung, es könnte sich womöglich doch nur um eine Einstauchung des Schienbeinkopfes handeln, und die sonstigen Schäden wären konventionell zu richten in einer Frist, die Hilde Gerg doch noch eine standesgemäße Beendigung ihrer Laufbahn als Skirennfahrerin ermöglichte: mit einer letzten Saison im Weltcup und ihrer vierten Teilnahme bei Olympia.

Die zweite ärztliche Meinung hat sich leider keinen Deut erfreulicher angehört als die erste, die Dr. Richard Steadman vergangenen Mittwoch in Vail äußerte, es war eher alles noch ein Stück schlimmer, was Erich Rembeck der Patientin mitteilen musste: Dass sie - abgesehen von den Abrissen beider Menisken und einer Teilruptur des hinteren Kreuzbandes - einen Stauchungsbruch des Scheinbeinkopfes erlitten habe mit Zerstörung der Gelenkfläche.

"Da war mir klar: Das ist deine letzte Fahrt gewesen"

Kürzlich hatte Hilde Gerg noch erzählt: "Es ist mir eiskalt den Rücken runter gelaufen, als Florian Eckert sagte, er höre auf, weil es mit seinem Knie keinen Sinn mehr habe." Nun bekam sie eine Diagnose gestellt, die der des Tölzer Kollegen auf fatale Weise ähnelt. Die Reparatur war die gleiche: "Der Knochen wurde wieder aufgebaut", berichtet der Operateur, "die Gelenkfläche wiederhergestellt." Die Rehabilitationszeit betrage vier bis sechs Monate - "je nach dem, welche Ziele gesetzt werden".

Sicher nicht das, wie damals nach dem Beinbruch noch mal auf ein Comeback hinzuarbeiten, bei dem sie dann 31 Jahre wäre. Das war schon verworfen im Schnee von Colorado, "da war mir klar: Das ist deine letzte Fahrt gewesen!" Da war schon nicht mehr wichtig, was noch Minuten vorher Lebensinhalt war: "Man befand sich in der Feinabstimmung für die Abfahrtssaison."

Die beginnt kommenden Samstag in Lake Louise/Kanada, wo in Hilde Gergs linkem Knie vor drei Jahren das Kreuzband riss. Damals fuhr sie nach konventioneller Behandlung die Saison fertig, ließ sich erst hinterher operieren. Kein Gedanke an so eine gütliche Wendung im Herbst 2005: "Jetzt muss ich damit klar kommen, daß mein anderes Knie auch im Arsch ist", sagt sie und kann die Tränen nicht halten. Es ist schon wieder fünf Tage her und doch noch alles so frisch: "Ich hatte es mir anders vorgestellt, nun kommt dieses abrupte Ende.

Mir wäre es einfach lieber, es wäre vier Monate später, und wir könnten uns über was anderes unterhalten": Darüber, wie sie ihre letzte Saison als Rennfahrerin erlebt hatte. Die gibt es jetzt nicht mehr für sie, unerfüllt bleibt ihr Vorhaben: dass nach dem Weltcupfinale im nächsten März in Åre die Kolleginnen sagen sollten: "Die war gut." Die war gut, aber früher, im Winter des Turiner Olympias fährt sie nicht mehr mit. Das schmerze nicht nur sie, sagt Cheftrainer Wolfgang Maier, "denn Hilde war diejenige in der Abfahrt, bei der immer noch was ging, wenn sonst nichts mehr ging". In ihr verlören sie mehr als die zweitbeste deutsche Weltcupfahrerin (20 Siege und 61 Podestplätze) nach Katja Seizinger und eine Olympiasiegerin, verkündet Walter Vogel, Alpindirektor des Skiverbandes, "sondern auch eine Leitfigur".

Das Bein bleibt sechs Wochen geschient, am Samstag holt Ehemann Wolfgang Grassl sie heim nach Berchtesgaden. "Ab jetzt gilt für mich nicht mehr: Wie komme ich möglichst schnell vom Start ins Ziel, sondern: Wie schnell werde ich diese Krücken los?", sagt Hilde Gerg. So war es schon nach dem Beinbruch, damals spielte sie schon mit dem Gedanken, Schluss zu machen, verwarf ihn: "Dafür war es zu früh." Die Zeiten haben sich geändert, nun sagt Hilde Gerg: "Ich hätte nicht den Kopf gehabt, mich noch einmal auf ein Comeback zu konzentrieren.

Vier Monate Vorsprung auf die nächste Karriere

Es hätte keine Sinn, noch mal ein, zwei Jahre anzuhängen. Man muss es irgendwann mal sein lassen können." Nur hätte dieses irgendwann eben vier Monate später sein sollen, aus eigenem Entschluss, nicht notgedrungen, "nicht so brutal rausgerissen". Es schmerzt, aber es bleibt ja auch etwas: "Es war eine schöne Zeit, die ich im Skisport erleben durfte, das ist ein wichtiger Teil meines Lebens." Der Höhepunkt war ihr Olympiasieg im Slalom 1998, als ihr Mann auch ihr Trainer war, "und es war noch mal ein schönes Erlebnis, mit der Mannschaft den WM-Titel in Bormio zu gewinnen".

Für sie ein schöner Abschied, nur wusste das damals noch niemand. Es werde eine Zeit brauchen, bis sie das unerwartete Ende verarbeitet habe, "ich werde lernen, damit zu leben". Erst mal gesund werden, dann sich auf das konzentrieren, was vorher schon geplant war für die nähere Zukunft: ein Nepal-Trekking mit der früheren Kollegin Brauner und ihrer Cousine Annemarie, im Berchtesgadener Haus Fremdenzimmer einrichten, endlich und vor allem an die Vergrößerung der Familie gehen. "Die Zeit ist irgendwann reif", sagt Hilde Gerg, "jetzt habe ich vier Monate Vorsprung für meine nächste Karriere." Schon regt sich Zuversicht: Das Leben geht weiter.

© SZ vom 22.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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