Herzkranker Profi:Ein Teil der Familie

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Voller Einsatz: Sebastian Neumann im Zweitligaspiel gegen Stuttgart. (Foto: eibner/imago)

Würzburgs Verteidiger Sebastian Neumann stand vor den Scherben seiner Karriere - bis er seinen Berufskollegen Daniel Engelbrecht im Fernsehen sah und dank eines Defibrillators sein altes Leben zurückgewann.

Von Sebastian Leisgang

Nur wenige Minuten, nachdem Sebastian Neumann sein Leben zurückbekommen hatte, saß er in einem Fast-Food-Restaurant und verschlang Burger. Diese Passage der Geschichte mutet so absurd an, dass auch Neumann lachen muss, wenn er sie erzählt. Eigentlich kann er fettigem Essen wenig abgewinnen, doch in diesem Augenblick war ihm das einerlei. Der Laden sei halt direkt vor der Tür gewesen, sagt er.

Sebastian Neumann, 26, spielt für die Würzburger Kickers in der dritten Liga. Als Innenverteidiger war er selbst in der zurückliegenden Abstiegssaison eine Stütze. Trotz eines Handicaps, von dem Neumann sagt: "Ich will wie jeder andere bewertet werden. Niemand braucht wegen dieser Sache anders mit mir umgehen."

Diese Sache, damit meint Neumann den Defibrillator, der seit Ende Januar 2015 in seiner Brust sitzt. Er ist nach Daniel Engelbrecht der zweite Fußballer, der damit Leistungssport betreibt - und Engelbrecht spielt im Fall Neumann eine zentrale Rolle.

Vor ein paar Jahren galt Neumann als großes Versprechen, er debütierte bei Hertha BSC in der Bundesliga und war eine feste Größe bei der deutschen U21. Sein Weg schien vorgezeichnet. Als Jos Luhukay nach Berlin kam, fiel er jedoch durchs Raster. Über den VfL Osnabrück fand er im Sommer 2014 den Weg zum VfR Aalen. Eine Knieverletzung verhinderte den Medizincheck, erst im November konnte er diesen nachholen. Dabei gab es Auffälligkeiten an seinem Herzen. Für Neumann war das kein Grund, in Panik zu verfallen. "Das ist bei Leistungssportlern nicht untypisch, ich habe mir anfangs nichts dabei gedacht", erzählt er. Der VfR schickte ihn zu einem Spezialisten nach Ulm. Dreimal musste er dorthin, dreimal blieb er einen ganzen Tag für Untersuchungen. Die Diagnose war schließlich ein Schock: Herzmuskelerkrankung - das jähe Ende der Karriere. Sagte ihm zumindest der Arzt.

In den Wochen danach tingelte Neumann von Praxis zu Praxis. Zweitmeinung auf Drittmeinung auf Viertmeinung. Von Ulm nach Düsseldorf, Berlin und Leipzig. Vergebens. Immer wieder erhielt er dieselbe niederschmetternde Prognose. Wenn er nicht unterwegs war, saß er zu Hause und starrt die Wände an. Dachte nach. Über sich. Das Leben. Seine Frau war schwanger und erwartete das erste Kind. Neumann nahm sich vor, dass sein Sohn ihn eines Tages Fußballspielen sehen sollte. Er war zwar noch nicht mal auf der Welt, gab ihm aber bereits Kraft.

Wenn Neumann seine Geschichte erzählt, hat seine Stimme eine Schwere - auch wenn es nicht um Leben und Tod geht. Erst wenn er thematisch zu dem Fernsehabend kommt, hellt sie wieder auf.

Neumann sah Daniel Engelbrecht, der damals für die Stuttgarter Kickers in der dritten Liga spielte. Er nahm Kontakt zu ihm auf und ließ sich einen Arzt in Stuttgart empfehlen. Neumann schöpfte wieder Hoffnung. Gemeinsam mit seiner Frau machte er sich auf den Weg. Neumann weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Es war der 23. Dezember 2014, rund vier Wochen nach der Diagnose. Auch in Stuttgart machte Neumann etliche Tests, dann bot ihm der Arzt an, ihm einen Defibrillator in die Brust einzusetzen. Es war der glücklichste Moment für Neumann als Fußballer. Kurz darauf gönnte er sich ein paar Burger. Alles egal. Hauptsache zurück.

Gegen seinen früheren Klub Osnabrück gab Neumann im August 2015 sein Comeback. Im Spielertunnel ging er seine Leidenszeit noch mal durch, den Weg auf den Rasen empfand er als Bestätigung. Für seinen Kampf. Für das Durchhaltevermögen.

Aus Aalen wechselte Neumann vor einem Jahr zu den Würzburger Kickers, schwang sich in der zweiten Liga zum Führungsspieler auf. Er wurde auf Anhieb Kapitän. Und seit dem Abstieg ist er auch der Liebling der Fans. Während sich der Würzburger Anhang in der vergangenen Saison über die mitunter abenteuerlichen Aussetzer von Junior Diaz ausließ oder an Dribblings von Valdet Rama und Nejmeddin Daghfous ergötzte, wurde Neumann stets geschätzt und anerkannt als zuverlässiger Arbeiter. Aber Liebling? Dafür war sein Spiel als Innenverteidiger zu unspektakulär, die Querpässe, die Kopfballduelle, die Grätschen. Vielleicht waren auch seine Interviews nach den Spielen zu beliebig. Doch der Abstieg in die dritte Liga hat Neumann bei den Anhängern zu einem der ihren werden lassen.

Sie projizieren auf ihn nun jene romantischen Werte, die sie den geschiedenen Spielern absprechen: Treue, Anstand, Größe, Dinge eben, die irgendwie der guten alten Schwarz-Weiß-Zeit zugeschrieben werden. Diese Werte hätten heutzutage weniger Gewicht, sagt auch Neumann selbst. "Beim Trainingsauftakt sind einige Fans zu mir gekommen und haben mir gesagt, wie glücklich sie sind, dass ich nicht gewechselt bin. Das wiederum macht mich glücklich."

Dass Neumann im Gegensatz zu den übrigen sechs verbliebenen Spielern in der Gunst der Fans so gestiegen ist, liegt nicht zuletzt daran, dass es für ihn einen Markt gab. Er hatte einige Angebote aus der zweiten Liga. Sein Weg mit Würzburg sei aber noch nicht zu Ende, findet Neumann. Er spricht jetzt von der Kickers-Familie, wie sie das oft tun in Würzburg. Es ist ein Bild, das seine Kraft eigentlich längst verloren hat. Zu häufig wird es bemüht in der Branche. Aus Neumanns Mund aber hat es eine Bedeutung. Er ist Teil der Kickers-Familie - mindestens bis 2018.

© SZ vom 11.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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