Hertha BSC:Rempler statt Ruhm

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Verhinderter Matchwinner, wütend: Vedad Ibisevic (rechts) war zwar schon ausgewechselt, stürzt sich aber nach dem Abpfiff wieder ins Getümmel. (Foto: Matthias Koch/imago)

Das frustrierte Team versucht, sich an seinem guten Spiel im Duell mit dem deutschen Rekordmeister aufzurichten - und daran, dass Mittelstürmer Vedad Ibisevic wieder trifft.

Von Javier Cáceres, Berlin

Der Zorn des Vedad Ibisevic war noch lange nicht verraucht, als er das Spielfeld des Berliner Olympiastadions verlassen hatte. Und es war bemerkenswert, dass er es schaffte, das Gefühl, um individuellen und kollektiven Ruhm betrogen worden zu sein, in vergleichsweise milde Worte zu kleiden. Ein Sieg gegen den FC Bayern, mit einem Siegtor von ihm, das wäre es gewesen. Es kam dramatisch anders.

"Wie soll ich mich gut fühlen?", fragte Ibisevic, als ihm ein TV-Mikro unter die Nase gehalten wurde. Und auch die Frage nach diesem legendären Dusel-Karma der Bayern, das sie so oft das Schicksal auf ihre Seite zwingen lässt, beantwortete er mit einer Kaskade an rhetorischen Fragen, die er gleich selbst beantwortete. "Dusel-Bayern? Oder alle haben Angst vor Bayern? Warum muss man fünf Minuten nachspielen und dann noch zwei oben drauf? Für wen gibt es das sonst? Nur für die Bayern!"

Seit zwei Spielzeiten ist Ibisevic, 32, in Berlin, zuletzt hat er seinen Vertrag vorzeitig bis 2019 verlängert. Im vergangenen Sommer trug ihm Trainer Pal Dardai die Kapitänsbinde an, weil er in dem Bosnier einen reifen und verantwortungsbewussten Angreifer erkannte, der sich fürs Team aufreibt. Nach dem Lewandowski-Ausgleich in der Nachspielzeit, der wie ein Schlag mit dem Vorschlaghammer auf die Brust wirkte, war zumindest gut zu sehen, dass Ibisevic die Dinge nicht treiben lässt. Als im Strafraum der Berliner Tumulte ausbrachen, war er, obschon in der 87. Minute ausgewechselt, gleich wieder mittendrin.

Herthas Torwart Rune Jarstein, der die wenigen Prüfungen, vor die ihn die Bayern gestellt hatten, souverän gelöst hatte, drosch aus Frust über den Ausgleich Xabi Alonso den Ball in den Rücken. Es folgte ein unübersichtliches Gemenge aus Rangeleien, Schubsereien, Verwünschungen. Auch Ibisevic fuhr die Hand aus, als er von draußen wieder auf den Platz gerannt war: Er quittierte einen Rempler des rauflustigen Manuel Neuer mit einem Schlag vor die Brust des Bayern-Keepers. Neuer wiederum maßregelte später Jarstein: "Egal, wie frustriert man ist, wenn da absichtlich ein Spieler mit dem Ball abgeschossen wird, dann ist man kein gutes Vorbild."

Doch die Berliner waren nun mal ultrafrustriert. Ein Sieg gegen die Bayern ist für die Hertha alles andere als handelsüblich, zuletzt hatten sie elf Niederlagen in Serie gegen die Münchner hinnehmen müssen. Und mindestens ebenso nachvollziehbar war es, dass Dardai auch am Sonntagmorgen noch vom berechtigten, aber halt konjunktivistischen Gefühl beseelt war, dass ein Sieg verdient gewesen wäre: "Das war schon ein sehr, sehr gutes Spiel." Dardai bekannte allerdings auch, dass sein Team in der Hektik der letzten Szene einen Irrtum beging. "Die wollten nur das Tor zumauern, statt mannorientiert zu spielen", sagte der Ungar. Die Folge: Arjen Robben kam nach einem Freistoß von Thiago am Elfmeterpunkt frei zum Schuss, Lewandowski konnte den Abpraller über die Linie drücken. Das war der Moment, da nicht nur der Sieg hinfort war - sondern auch Ibisevics Rolle als Matchwinner.

Vor der Bayern-Visite hatte Hertha auch deshalb nur zwei Siege aus sieben Spielen geholt, weil wichtige Spieler verletzt waren. Ibisevic war zwar immer dabei - aber ihm fehlten brauchbare Vorlagen. Diesmal sorgte vor allem Linksverteidiger Marvin Plattenhardt für Druck. Er legte bei einem - unberechtigten - Freistoß auch den Ball auf, den Ibisevic nach für ihn zuvor sieben torlosen Spielen über die Linie drückte (21.). "Das war wichtig für ihn und für uns", sagte Dardai am Sonntag. Aber auch: "Das war ein großer Punkt, aber langsam brauchen wir mal wieder einen Dreier." Dardai zählt dabei weiterhin auf die Tore des Bosniers, der mit seinen neun Treffern aus dieser Saison schon 101 Bundesligatreffer gesammelt hat, für Hoffenheim, den VfB Stuttgart und Hertha. Nun will er Stéphane Chapuisat und Aílton (je 106 Tore) in der Tabelle der besten ausländischen Bundesliga-Torschützen überholen. Möglichst noch in dieser Saison.

© SZ vom 20.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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