Hertha BSC:Passendes Gewand

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Berliner Blaumann mit gelben Plastikkameraden: Hertha-BSC-Cheftrainer Pal Dardai bei der Arbeit. (Foto: Alex Grimm/getty)

Unter Trainer Pal Dardai könnte es der Hauptstadtklub schaffen, sich in der Bundesliga-Spitze zu etablieren.

Von Frank Hellmann, Belek

Jeder der Fußball-Bundesligisten, die sich in diesen Tagen in der türkischen Stadt Belek für die bald beginnende Rückrunde in Form bringen, wird von einer stattlichen Zahl an Anhängern begleitet. Die angebotenen Fanreisen sind beliebt, nicht nur wegen der Gratisgetränke an der Bar, sondern vor allem wegen der Testspiele der Lieblinge. Die mitgereiste Gefolgschaft von Hertha BSC hat es da besonders gut getroffen: Der Überraschungs-Dritte der Bundesliga-Hinrunde tritt täglich an: am Montag gegen Hannover 96 (1:0), am Dienstag gegen Mönchengladbach (2:2), am Mittwoch gegen den VfL Bochum (1:4)

. Berlins Berufsfußballer hinterlassen dabei auch nach den kurzen Winterferien einen prima Eindruck; das 1:4 gegen Bochum war vor allem dem unglücklichen Auftritt von Ersatzkeeper Sascha Burchert geschuldet. Gäbe es jedoch einen Wettbewerb , wer die "breiteste Brust" von Belek hat, dann würde der Hertha-Kader diesen wohl gewinnen. Wie selbstverständlich auch ein 0:2 gegen den in Bestbesetzung angetretenen Tabellennachbarn Mönchengladbach aufgeholt wurde, beeindruckte sogar Borussia-Zugang Jonas Hofmann: "Das ist eine gute Berliner Mannschaft, die sehr selbstbewusst von hinten rausspielt", sagte er.

Hertha-Trainer Pal Dardai, der manche Spielpassagen fast perfekt fand, zeigte sich "glücklich", fügte aber dazu: "Wir können uns noch steigern." Der von Dardai verordnete Dauerbetrieb hat Methode, seine Spieler sollen damit rasch den Rhythmus finden: "Spiele sind besser als Training!" Die Schlagzahl eines 24-Stunden-Testspieltakts, versichert der Ungar, führe zu "keiner Überlastung", dafür wechsle er bei den Aufstellungen ja viel: "Am Ende der Woche hat jeder je zwei einzelne Halbzeiten und ein komplettes Spiel bestritten", sagt Dardai; Basis dafür "war die harte Fitnessarbeit im letzten Sommer."

Der 39 Jahre alte Coach sitzt auf einem gemütlichen Sofa im "Gloria Golf Resort" und blickt zufrieden, aber weiterhin gierig auf die Verwandlung seiner vor einem Jahr noch zutiefst verunsicherten Mannschaft: "Einige enge Spiele haben wir gewonnen, weil wir gekämpft, gekratzt und gebissen haben. Aber wir haben auch eine Spielphilosophie und Spielkultur reingebracht." Sich selbst sieht Dardai nur als Teil dieser erstaunlichen Metamorphose an: "Ich habe das nicht allein gemacht, sondern viele gute Leute um mich herum."

Die Ära des früheren Sportchefs Dieter Hoeneß (1997 - 2009), die der aktuelle Cheftrainer größtenteils als Spieler erlebt hat, soll die letzte One-Man-Show beim Hauptstadtklub gewesen sein. Trotz gewaltiger Anstrengungen gelang es damals nicht, sich als deutscher Spitzenverein zu etablieren. Im Gegenteil: Hoeneß' Großmannssucht trug dazu bei, dass die von finanziellen Altlasten geplagte Hertha zweimal (2010 und 2012)

abstieg. In der Vorsaison drohte unter Trainer Jos Luhukay sogar der nächste Abstieg, erst nach Dardais Beförderung glückte die Rettung - zunächst mit einem Fußball, der selten schön war. Nun aber hat Dardai der alten Dame passende Gewänder angezogen, die den Klub auch wieder überregional attraktiv machen. Dardai, Vater von drei Söhnen, gibt mit seiner Vita, die 297 Bundesligaspiele im Hertha-Trikot zwischen 1997 und 2011 ausweist, Berlins perfekten Fußball-Botschafter. Weil er viel unaufgeregter und glaubwürdiger daherkommt als viele seiner Vorgänger.

Dardai braucht kein Pathos und keine Treueschwüre, um Verbundenheit auszudrücken

Gerne darf erzählt werden, wie einst Dardais Frau in der Küche bereits mit dem damaligen FC-Bayern-Manager Uli Hoeneß über einen Wechsel nach München verhandelte, während er sich letztlich doch von dessen Bruder Dieter überzeugen ließ, in Berlin zu bleiben. Daher braucht es heute keine pathetischen Treueschwüre, um Verbundenheit auszudrücken. Dardai registriert mit Stolz, "dass in der Stadt mehr Leute wieder das Hertha-Logo zeigen". Und: "Wir wollen das weiter in die richtige Richtung lenken."

Dazu gehörte im Trainingslager, sich gemeinsam mit den Fans zu einem großen Gruppenfoto zu postieren. Gestellte Jubelposen inklusive. Im ersten Heimspiel 2016 gegen Augsburg soll die gute Stimmung ja nicht verfliegen. Und wenn dann durchs Olympiastadion dieselben Gesänge vom Europapokal hallen wie zuletzt über den Sportplatz von Belek? "Ich brauche nicht zu bremsen", sagt Dardai, "aber ich glaube auch nicht, dass ich meiner Mannschaft unnötig Druck machen muss." Er lässt sie lieber einfach spielen - derzeit täglich.

© SZ vom 14.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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