Hertha BSC:Ehrenrührige Debatte

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Ein schiedlich-friedliches Unentschieden? Nicht ganz. Herthas Ibisevic grätscht Augsburgs Klavan um. (Foto: Camera 4/imago)

Nach dem garstigen 0:0 wehrt sich Berlin gegen Augsburger Vorwürfe, man hätte den Erfolgsstil des FCA kopiert.

Von Klaus Hoeltzenbein, Berlin

Eine halbe Stunde vor Anpfiff, Anmarsch auf die größte Frostbeule des ganzen Landes. Die Polizei hatte gebeten, rechtzeitig zum Olympiastadion zu kommen, mit verschärften Sicherheitsvorkehrungen sei zu rechnen.

Zwei gut wattierte Herthaner führen faltbare Sitzkissen in Blau und Weiß im Handgepäck und nähern sich den Kontrollen. Sagt der eine: "Keine Schlangen heute." Sagt der andere: "Die Memmen kommen erst wieder, wenn die Sonne scheint."

Fußball-Berlin führte am Wochenende zwei Debatten, eine kleine und eine große. Die kleinere handelte davon, dass die Hauptstadt zwar tabellarisch endlich wieder eine Spitzenmannschaft besitzt - nur hätten die Berliner das noch nicht so recht gemerkt. Jedenfalls bleiben sie (derzeit) zu Hause: Beim souveränen 2:0 vor der Winterpause gegen Mainz kamen 39 835 Besucher, zum Start nach der Winterpause wurden 35 196 gezählt - 75 000 gehen rein, die Frostbeule war beim alten und neuen Tabellendritten nicht mal zur Hälfte voll.

Die größere, zudem garstigere Debatte aber widmete sich der Frage, warum Berlin überhaupt wieder eine so gut organisierte Elf bekommen hat. Und das Erstaunliche ist, dass Markus Weinzierl darauf ein Copyright erhebt. Was Augsburgs Trainer nach dem 0:0, in dem sich beide Teams so intensiv beharkten, dass sie sich zwischen den Strafräumen neutralisierten, noch einmal betonte: "Wenn man die Hertha in der letzten Saison gesehen hat, dann war das wirklich schlecht." Und heute: "Das erinnert mich an den FC Augsburg aus dem letzten Jahr." In dem der FCA erstmals eine Europapokal-Lizenz erwerben konnte.

Als Weinzierls Anwalt in dieser fundamentalen Stil-Frage trat in Berlin sogar FCA-Torwart Marwin Hitz auf: "Seit Sommer machen sie es so wie wir. Da war das 0:0 heute doch nur logisch." Der Vorwurf der Augsburger im Kern: Hertha habe nicht nur das blitzartige Umschaltspiel, sondern gar komplette Spielzüge kopiert.

Für den Samstag bekommt Herthas Trainer einen Freispruch, aus Mangel an Beweisen

Was Pal Dardai, der vermutete Kopierer, zu seiner Verteidigung zu sagen hatte? "Wenn einer erzählt, dass das ähnliche Spielphilosophien sind, muss er nur das heutige Spiel analysieren." Tut man das, lässt man sich auf diesen ehrenrührigen Expertenstreit wirklich ein, dann bekommt Dardai für den Samstag eindeutig einen Freispruch - aus Mangel an Beweisen. Basierend auf der Tatsache, dass die Hertha 65 zu 35 Prozent Ballbesitz besaß und durchaus nach optischer Dominanz strebte, während der FCA seine seltenen Konter wie Giftpfeile zu setzen versuchte.

Bezeichnend für dieses auch atmosphärisch bitterkalte Duell war, dass sich in der Nachschau alles auf eine einzige Szene, auf eine "tausendprozentige" Torchance (Weinzierl) konzentrierte. Solo steuerte Raúl Bobadilla in der 51. Minute aufs Hertha-Tor zu, tanzte Rest-Abwehr und Torwart Jarstein aus, schob den Ball aber am leeren Gehäuse vorbei. Eine Fehlleistung, für die sein Trainer allenfalls einen schwachen Trost fand: "Du hast nie eine Hundert-Prozent-Quote. Sonst würde er nicht bei uns spielen." Für Augsburg bewies der für Paraguay antretende, gebürtige Argentinier seinen Mehrwert besonders in der Europa League, in der Bobadilla mit sechs Toren erfolgreichster aller Torjäger ist. Im Februar nun wartet Jürgen Klopps FC Liverpool auf Weinzierls Konter-Experten. Was auch insofern interessant werden dürfte, weil dieser Klopp aus seiner Dortmunder Zeit als wahrer Großmeister des Überfall- und Umschaltfußballs gilt.

Zunächst aber können beide Streitparteien sich daran delektieren, dass sie ihre Serien behaupten konnten. Zwar verpasste der FCA durch den Bobadilla-Fauxpas womöglich einen Vereinsrekord mit vier Auswärtssiegen in Serie, aber der Klub robbt sich nach einem Fehlstart weiter in die betriebssichere Zone. Dardais Hertha, gewiss viel mehr Original als Fälschung, bleibt auf Kurs, in fünf Pflichtspielen und vier Heimspielen wurde nicht mehr verloren, das letzte Gegentor liegt 421 Spielminuten zurück. Verzieht sich jetzt auch noch der Permafrost aus Berlin, dann kommt vielleicht wieder das Schönwetter-Publikum, dann sind auch die Memmen bald zurück.

© SZ vom 25.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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