Heiner Brand im Gespräch:"Ich gebe kein Spiel verloren!"

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"Und wenn es uns gelingt, kein Spiel zu verlieren, dann stehen wir doch am Ende ganz gut da." Der Handball-Bundestrainer über Verletzte, Schiedsrichter und die Ziele kurz vor Beginn der Heim-WM:

Christian Zaschke

Handball-Bundestrainer Heiner Brand hat die stressigsten Wochen seiner Laufbahn hinter sich. Für die am Freitag in Berlin mit dem Spiel gegen Brasilien (17.30, live im ZDF) beginnende Heim-WM war er monatelang als Werbeträger unterwegs. Zudem widmete Brand, 54, sich der nicht unerheblichen Aufgabe, eine Mannschaft zu bauen, die bei dem Turnier bestehen kann. Diese Aufgabe wurde dadurch erschwert, dass sich in geradezu unheimlicher Regelmäßigkeit Spieler verletzten. Unmittelbar vor Turnierbeginn scheint sich die Lage nun ein wenig zu entspannen.

Sieht seine Mannschaft nicht als Favorit: Heiner Brand (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Brand, die erste Frage an Sie muss derzeit immer lauten: Haben sich wieder neue Spieler verletzt?

Brand: Nein. Zum Glück nein.

SZ: Wie ist der aktuelle Stand?

Brand: Bei Oleg Velyky ist es kaum einzuschätzen. Ich gehe davon aus, dass er in der Vorrunde auf jeden Fall fehlt. Ob wir eine Chance haben, dass er zur Hauptrunde fit wird, kann ich noch nicht sagen; das kann allerdings keiner sagen im Augenblick. Bei Sebastian Preiß, Pascal Hens und Andrej Klimovets gehe ich davon aus, dass sie bis Freitag voll trainieren können. Das muss aber auch so sein, und wenn es nicht so ist, dann muss ich mir Gedanken machen.

SZ: Gedanken machen heißt: jemanden nachnominieren?

Brand: Ja. Als Kreisläufer, also für Preiß oder Klimovets, stünde zum Beispiel Christian Schwarzer bereit.

SZ: Verletzungspech hatte die Mannschaft schon immer. Diesmal waren vor dem Turnier bis zu neun Spieler verletzt. Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?

Brand: Wir hatten immer Ausfälle, aber das waren dann ein, zwei Spieler. Bei der WM 2003 in Portugal sind sogar mal zwei Spieler vor dem Finale verletzt ausgeschieden, Stefan Kretzschmar und Volker Zerbe. Aber da waren wir eben schon im Finale. Dass wie jetzt schon die Vorbereitung so gestört wurde, das habe ich wirklich noch nicht erlebt.

SZ: Woran liegt es, dass sich so viele Spieler verletzen?

Brand: Das ist die Frage, die ich mir auch stelle. Es wird immer das Argument der Überlastung angeführt, aber das kann es nicht sein. Manche der Verletzungen sind im Oktober aufgetreten, da war noch nicht lange gespielt in der Bundesliga. Da kann die Überlastung nicht der Grund sein. Bei vielen meiner Spieler kommt dazu, dass sie in der Bundesliga gar nicht so viel spielen, weil in den Klubs so viele Profis aus dem Ausland eingesetzt werden - da kann noch viel weniger von Überlastung die Rede sein. Diejenigen, die viel spielen, haben auch keine höhere Belastung als Franzosen, Dänen, Schweden oder Tschechen, die hier in der Liga spielen. Und in Spanien ist die Belastung auch nicht geringer.

SZ: Das heißt, die Ursache der Verletzungen bleibt rätselhaft?

Brand: Ja, das ist ein bisschen rätselhaft. Ich habe mal spekuliert, dass es vielleicht daran liegt, dass wir in jungen Jahren im Athletischen keine ausreichende Basis legen. Da arbeiten wir jetzt mehr bei der A-Jugend mit Klaus-Dieter Petersen als Verantwortlichem (bis 2004 knallharter Abwehrspezialist der Nationalmannschaft, d. Red). Ich kann allerdings nur vermuten, dass es etwas damit zu tun hat. Ich bin darauf gekommen, weil ich in den vergangenen Jahren gesehen habe, dass wir zum Beispiel gegen die Franzosen in Zweikämpfen immer unterlegen waren, einfach, weil wir körperlich nicht so stark waren. Man müsste das mal gezielt untersuchen.

SZ: Was bedeutet es in der Vorbereitung, wenn so viele Spieler fehlen?

Brand: Handball ist sicherlich etwas komplexer als andere Mannschaftssportarten. Das liegt schlicht daran, dass ein Ball mit der Hand einfacher zu behandeln ist, als mit dem Fuß oder mit einem Schläger. Ich kann den Ball mit der Hand sehr präzise dahin bewegen, wo er hin soll. Zumindest sollte es so sein. Und deshalb kommt den Abläufen eine gesteigerte Bedeutung zu - das Timing muss genau passen, dazu kommen exakte Pass- und Laufwege. Deshalb ist die Feinabstimmung enorm wichtig, die macht letztlich den Unterschied aus. Fangen und passen können die Leute bis runter in die Bezirksliga.

SZ: Wie eingespielt ist Ihre Mannschaft denn jetzt?

Brand: Nicht so gut, obwohl es nicht so ist, dass wir jetzt bei Null stehen. Die Gruppe ist ja schon seit einiger Zeit zusammen, und wir haben ein festes Repertoire an taktischen Abläufen. Das erweitern wir zwar jedes Jahr ein bisschen, aber es ist nicht alles neu. Wenn aber einer wochenlang nicht mitgespielt hat, kennt er zwar die Abläufe, aber das funktioniert nicht mehr so automatisch. Trotzdem muss ich einfach davon ausgehen, dass wir am Freitag eingespielt sind.

SZ: Sie spielen zum WM-Auftakt gegen Brasilien, dann gegen Argentinien. Beide Teams zählen nicht zur internationalen Spitze. Sind das zwei Begegnungen, die Sie zum Einspielen nutzen?

Brand: Ich tue mich schwer damit zu sagen, wir nutzen ein WM-Spiel zum Üben. Ich habe die Brasilianer auf DVD gesehen, und die spielen einen schönen Handball. Bei einem Turnier in Spanien haben sie gerade gegen Polen mit nur einem Tor Unterschied verloren, obwohl die Polen sehr gut drauf sind. Natürlich muss uns jedes Spiel weiterbringen, da sind diese beiden Partien am Beginn eine Chance für uns. Aber erst einmal müssen wir sie gewinnen.

SZ: Eine WM ist immer auch eine Leistungsschau einer Sportart. Der Handball in den europäischen Ligen ist zuletzt immer schneller geworden. Welche Art Handball erwarten Sie von dieser WM?

Brand: Alle Mannschaften setzen aufs Tempo, aber da auch alle dagegen halten, wird sich das ein wenig relativieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwelche Überraschungen gibt.

SZ: Im Testspiel gegen Ägypten am vergangen Samstag wurde erstaunlich hart gespielt. Vielleicht ist das ein Trend.

Brand: Ja, das war dann doch etwas überraschend. Gegen Härte habe ich im Grunde nichts im Handball, aber da waren Szenen dabei wie ein Ellbogencheck ins Gesicht von Holger Glandorf, der zum sofortigen Ausschluss hätte führen müssen. Hier habe ich eine ganz andere Befürchtung: Ich frage mich, welche Rolle die Schiedsrichter spielen werden. Da hat ein Generationenwechsel stattgefunden, und seit dem World-Cup-Turnier im Oktober habe ich den Eindruck, dass die Schiedsrichter krampfhaft versuchen, der deutschen Mannschaft bloß keinen Vorteil zu geben. Ich weiß nicht, ob sie in diese Richtung geschult worden sind, sprich: auf keinen Fall dem Druck der Zuschauer nachzugeben. Bis jetzt haben wir da jedenfalls nur negative Erfahrungen gemacht.

SZ: Wenn die Härte aus dem Ägypten-Spiel stilbildend für die WM wird und die Schiedsrichter nicht entsprechend einschreiten, dann könnte das Turnier eine - grob gesagt - Materialschlacht werden. Dann gewinnt das Team mit den wenigsten Ausfällen oder der besten Bank.

Brand: Das kann passieren, und das war in der Vergangenheit auch bisweilen so. Die Franzosen zum Beispiel sind auf manchen Positionen dreifach hervorragend besetzt. Im Rückraum haben sie Nikola Karabatic, Daniel Narcisse und Jerome Fernandez, drei Weltklassespieler. Da ist es im Grunde kein Problem, wenn einer ausfällt. Das hat auch den Ausschlag gegeben, als die Franzosen im vergangenen Jahr die EM gewonnen haben.

SZ: Die Franzosen sind ihr Favorit?

Brand: Ja, und knapp dahinter kommen Weltmeister Spanien und Olympiasieger Kroatien.

SZ: Wo steht Ihre Mannschaft derzeit im Vergleich?

Brand: Wir stehen sicherlich etwas hinter diesen drei Mannschaften. Ich halte die Dänen noch für sehr stark.

SZ: Was fehlt den Deutschen?

Brand: Prinzipiell ist unsere Abwehr sehr stark, aber zuletzt haben wir da einige Schwächen gezeigt. Und im Angriff war es bisweilen so, dass wir nicht geduldig waren. Dass wir also nicht genug gearbeitet haben für ein Tor und zu früh den Abschluss gesucht haben. Aber das sind genau die Dinge, an denen wir gerade intensiv arbeiten.

SZ: Was kann Ihre Mannschaft denn besonders gut?

Brand: Wie gesagt, normalerweise steht unsere 6-0-Abwehr sehr gut. Und im Angriff haben wir durchaus die spielerischen und taktischen Mittel, auch gegen starke Teams zum Erfolg zu kommen. Was diese Mannschaft zudem wie auch die Teams in der Vergangenheit auszeichnet, ist der große Zusammenhalt. Sie hat viel Herz.

SZ: Erhard Wunderlich, Ihr Mitspieler aus der Weltmeistermannschaft von 1978, hat Ihnen vorgeworfen, sie steckten Ihre Ziele für diese WM nicht hoch genug. Ihre Tiefstapelei sei Jammern auf hohem Niveau.

Brand: Ach, ich weiß gar nicht, ob der Erhard meine Ziele so genau kennt. Ich bin Realist, und ich will mit der Mannschaft das Machbare anstreben. Ich gebe kein Spiel verloren. Und wenn es uns gelingt, kein Spiel zu verlieren, dann stehen wir doch am Ende ganz gut da.

© SZ vom 18.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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