Handballer mit Glück in der EM-Hauptrunde:Video sei Dank

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Die grotesken Schlussszenen beim 25:25 im Vorrundenspiel gegen Slowenien lenken von der anfangs miserablen Leistung der Deutschen ab. Trainer Prokop reagiert und nominiert Abwehrspieler Finn Lemke nach.

Von Ralf Tögel, Zagreb

Vid Kavticnik hatte es plötzlich sehr eilig. Ein Kommentar zum Spiel? Über die Schiedsrichter? Zu deutschen Medien? "Ich sage nichts", entgegnete der slowenische Rückraumspieler knapp, zwei raumgreifende Schritte später war er im Aufzug des Teamhotels verschwunden. Kavticnik musste auch gar nichts sagen, allein seine Miene verriet, dass er sich betrogen fühlte - betrogen um den ersten Sieg gegen die deutschen Handballer in einem Pflichtspiel. Am Dienstagmittag hatte der europäische Verband EHF den Protest der Slowenen gegen das 25:25-Unentschieden abgewiesen - diese legten jedoch erneut Einspruch ein. Eine EHF-Kommission soll am Mittwoch endgültig entscheiden.

Minutenlang hatten die litauischen Unparteiischen das Videomaterial der letzten Spielszene gesichtet, um herauszufinden, ob die Spielzeit beim Anwurf für Deutschland durch Paul Drux bereits abgelaufen war oder nicht. Drei slowenische Spieler hatten nicht genügend Abstand gehalten und Drux' Wurf vom Mittelkreis verhindert. Entscheidung am Ende: Siebenmeter nach Videobeweis. Um die Unparteiischen herum flogen derweil in einem gellenden Pfeifkonzert Feuerzeuge und Becher aufs Spielfeld, ein slowenischer Offizieller kickte mit einem Vollspannschuss eine Wasserflasche an den Kopf eines Fotografen.

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(Foto: imago/Agentur 54 Grad)

Höhepunkt der ungewohnten Nachspielzeit: Sloweniens serbischer Trainer Veselin Vujovic stellte sich aus Protest, vielleicht auch um den deutschen Siebenmeter-Schützen etwas zu verunsichern, ins eigene Tor.

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(Foto: imago/Agentur 54 Grad)

Zuvor hatten die Schiedsrichter minutenlang am Videogerät die Schlusssekunden betrachtet - unter lautstarkem Protest der slowenischen Anhänger.

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(Foto: imago/Agentur 54 Grad)

Den fälligen Siebenmeter zum 25:25 verwandelte Tobias Reichmann (rechts) dann aber doch nicht gegen den gegnerischen Trainer, sondern einen spielberechtigten Keeper.

Der skurrilste Auftritt blieb aber Veselin Vujovic vorbehalten, dem berüchtigten Trainer der Slowenen - die nun sogar einen Turnierausstieg erwägen. Der gebürtige Montenegriner war im Laufe seiner Karriere mehrmals wegen tätlicher Angriffe auf Spieler oder Unparteiische mit einem Berufsbann belegt worden, nun marschierte er im allgemeinen Durcheinander einfach ins slowenische Tor - zum Gaudium der eigenen Fans. Weniger witzig fand Tobias Reichmann die Aktion des 56-Jährigen, er stand bereit, um den nachträglich verhängten Siebenmeter zu vollstrecken. "Der versucht seine Psycho-Spielchen", erklärte der Rechtsaußen tags darauf, "da geht dir viel durch den Kopf. Das war schon krass unsportlich." Er nahm es zur Kenntnis - und feuerte den Ball ins Tor.

Ausschlaggebend waren am Ende "zwei, drei Sekunden", wie DHB-Vizepräsident Bob Hanning später erklärte; während Drux bei seinem finalen Wurfversuch an der Mittellinie vom hünenhaften Blaz Bagontinsek behindert wurde, lief die Spielzeit tatsächlich ab. Was mit Rot für den Slowenen und Siebenmeter sanktioniert werden musste. Wäre der Ball innerhalb der regulären Spielzeit wieder ins Spiel gelangt, hätte es zwei Minuten für den Übeltäter und einen Freiwurf gegeben, mit überschaubaren Aussichten auf den Ausgleich. So aber darf man der deutsche Mannschaft einen glücklichen Punktgewinn attestieren, daraus machte Bundestrainer Christian Prokop gar keinen Hehl.

Ihm dürfte es nicht ungelegen kommen, dass die Schiedsrichter zumindest bis zum "ersten Finalspiel" (Prokop) seiner Mannschaft gegen Mazedonien, in dem es zwischen den beiden Kontrahenten um den Sieg in der Gruppe C geht, im Zentrum der Debatten stehen. Das lenkt etwas von der miserablen Leistung der DHB-Auswahl in der ersten Halbzeit gegen Slowenien ab.

Denn in jenen 30 Minuten wurde der Titelverteidiger phasenweise vorgeführt, vor allem der slowenische Spielmacher Miha Zarabec, Spieler beim THW Kiel, düpierte die deutsche Abwehr reihenweise. Egal ob Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek, Bastian Roschek, Julius Kühn oder Steffen Weinhold, jeder bekam eine Kostprobe von den Finten des flinken Rückraumstrategen. Im Eins-gegen-eins war er nicht zu halten, entscheidend war dabei, dass keine Hilfe vom Nebenmann kam. "Das ist das, was uns ja eigentlich ausmacht" erklärte Patrick Groetzki, Anschauungsunterricht gab es vom Gegner. Der agierte bissig und energisch im Abwehrverbund, Lücken waren für die deutschen Angreifer kaum zu finden.

"Wir waren fahrig und nachlässig", fand Prokop, "die Slowenen haben uns hart attackiert und waren mit ihren Emotionen und ihrer Einstellung obenauf." Je mehr Angriffe von den Abwehrspielern oder dem vorzüglichen Urban Lesjak im Tor unterbunden wurden, je mehr einfache Treffer den Slowenen gelangen, desto größer wurde die Verunsicherung in den deutschen Reihen. Die setzte sich in den Spielerköpfen zusehends fest, das DHB-Team wirkte gehemmt, der erste Treffer aus dem Spiel gelang Philipp Weber in der 12. Minute. Es war offensichtlich, dass sich die Mannschaft nur noch mit einem nicht zu hohen Rückstand in die Pause retten wollte.

Ruhig und analytisch sei die Ansprache in der Kabine gewesen, berichtete Groetzki, der einer der entscheidenden Akteure im deutschen Team war, auf dessen Weg zurück ins Spiel. Grundlage war eine deutlich engagiertere Abwehr - und Torwart Silvio Heinevetter, der nach 20 Minuten für Andreas Wolff gekommen war. Wolff hatte von den Vorderleuten kaum Unterstützung bekommen und wild fluchend das Spielfeld verlassen. Heinevetter stellte Sloweniens Angreifer vor größere Probleme, somit kam auch das deutsche Konterspiel zum Zuge. Kapitän Uwe Gensheimer war mit sieben Treffern bester Werfer, Groetzki steuerte wie Reichmann vier Tore bei.

Schlussendlich genug, um den mäßigen Auftritt als "wichtig für die Moral" zu verkaufen, wie Prokop anmerkte. Torhüter Heinevetter mahnte indessen, dass man "so nicht denken darf", zu viel sei falsch gelaufen. Das freilich war dem Trainier nicht entgangen, der fast beiläufig mitteilte, dass er "Bastian Roschek gegen Finn Lemke austauschen" werde. Denn gegen die Slowenen hatte keine der eingesetzten Innenblock-Formation "im Stress funktioniert", wie Hanning anmerkte, die Nachnominierung des Abwehrchefs der vergangenen Turniere soll nun Stabilität und Sicherheit in die Defensive bringen. Viel Zeit bleibt nicht, Lemke einzubauen. Am Dienstagabend stieß er zum Team, am Mittwoch steht das Vorrundenfinale gegen Mazedonien (18.15 Uhr/ARD) an, nach dem 29:28-Erfolg von Mazedonien gegen Montenegro geht es auch um Punkte für die Hauptrunde. Lemke, so war von Hanning zu erfahren, freue sich "total". Er hatte es sehr eilig, nach Zagreb zu kommen.

© SZ vom 17.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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