Handball-WM:Model mit Schnurrbart

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Viele Verletzte und ein paar erfreuliche Nachrichten: Handball-Bundestrainer Brand müht sich um gute Laune.

Christian Zaschke

Johannes Bitter stand vor der Kamera und blickte noch einmal auf den Spickzettel. Dann holte er Luft und sagte: "Ich heiße Johannes Bitter, ich habe 24 Länderspiele - nee, Moment." Bitter hielt inne. Dann sagte er: "24? Das war was anderes. Ah ja, ich bin 24 Jahre alt." Im Hintergrund lag der Ammersee in der Sonne, am Ufer standen verteilt die Kameras, und vor den Kameras standen die Spieler der deutschen Handball-Nationalmannschaft und sprachen.

Nicht Nietzsche, sondern Brand (Foto: Foto: AP)

Wer nicht in eine Kamera sprach, äußerte sich vor einem Radiomikrofon, Kapitän Markus Baur tippte gerade den nächsten Spieltag der Fußball-Bundesliga (laut Baur gewinnt Bremen 3:0). Wer weder ins TV- noch ins Radiomikrofon sprach, unterhielt sich mit Reportern von der Zeitung oder posierte für die Fotografen. Die Nationalmannschaft hatte zu einem Medientag in ihr Trainingslager am Ammersee eingeladen, und seit dem WM-Sieg 1978 dürfte das öffentliche Interesse an der Mannschaft nicht mehr so groß gewesen sein. Bitter sagte später: "Was diese Weltmeisterschaft mit dem Handball machen wird, das kann man jetzt noch gar nicht begreifen."

Man kann es aber immerhin erahnen. Zumindest angesichts solcher Szenen: Bundestrainer Heiner Brand hatte sich auf einen Steg gesetzt. Vor dem Steg knieten zwölf Fotografen, neben den Fotografen standen zwei Fernsehteams. Brand hatte jetzt auf Wunsch der Fotografen ein Bein angewinkelt, das andere lag ausgestreckt auf dem Steg. Er saß nun da wie ein Model für die Herbstkollektion, und er lächelte, während die vielen Kameras unentwegt klickten und surrten.

Höhepunkt der Entwicklung

Auf dem Gehweg spazierten zwei ältere Damen vorbei und schauten sich die Szene sehr interessiert an. Eine sagte: "Einmal hatte er den Schnurrbart ja ab", was ein erstaunliches Handball-Fachwissen offenbarte, denn nicht nur hatte die Dame Brand erkannt, sie wusste auch, dass er sich den Schnurrbart einmal abrasieren ließ. Das war nach dem EM-Sieg 2004 in Slowenien. Brand als Model, so viele Fotografen, staunende (und wissende) Passanten - der Handball hat es weit gebracht in den vergangenen Jahren.

Die WM in Deutschland, die am 19. Januar in Berlin beginnt, soll der Höhepunkt dieser Entwicklung sein. Von den 300000 Karten sind bereits 280000 verkauft, und am Mittwoch kam eine weitere erlösende Nachricht für die Handballer. Der Fernsehsender DSF überträgt WM-Spiele ohne deutsche Beteiligung; die Spiele der Deutschen sind in ARD und ZDF zu sehen. Die Nachrichten rund ums Turnier sind also gut; allein die lange Verletztenliste der deutschen Mannschaft passt da nicht ins Bild.

"Im Moment fehlt mir der genaue Stand", sagte Brand, "wir werden ja immer wieder überrascht." Aus dem 20-Mann-Kader (wird bis WM-Beginn auf 16 reduziert) können derzeit lediglich zwölf Feldspieler am taktischen Training teilnehmen. "Wenn da einer ausfällt, müssen wir einen Torwart als Feldspieler einsetzen", sagte Brand.

Erstaunlich launig

Das ist in einem komplexen Mannschaftssport wie Handball ein großes Problem. "Man muss sich einspielen", sagte Brand, "und das wird uns sicherlich fehlen." Er ist da ehrlich und versucht nicht, die Lage schönzureden."Aber es hilft auch kein Jammern", fügte er an, "wir gehen es positiv an, und irgendwas wird dann dabei herauskommen."

Tatsächlich war Brand erstaunlich launig. Auf die Frage, was sein Puls so kurz vor der WM mache, brummte Brand: "Im Moment ist er ganz ruhig." Dann legte er eine kleine Pause ein, als wäre er nicht gelernter Versicherungskaufmann, sondern gelernter Komiker, und sagte trocken: "Aber gestern war er mal auf 160. Da war ich auf dem Cross-Trainer." In dem Scherz steckte auch eine kleine Nachricht: Heiner Brand trainiert, er hält sich fit, weil er weiß, dass die Belastungen des Turniers groß werden. Da ist der Druck vor dem heimischen Publikum, und da ist die ungewohnt große Anteilnahme der Medien.

Was die Verletzten angeht, so ist die Hoffnung im Moment, dass bis auf Rückraumspieler Oleg Velyky alle bis zum Beginn des Turniers fit werden. Velyky soll möglichst zur Hauptrunde nachnominiert werden. Sollte einer der derzeit angeschlagenen Kreisläufer Andrej Klimovets und Sebastian Preiß nicht rechtzeitig genesen, wird Brand wohl den nach Olympia 2004 aus dem Nationalteam zurückgetretenen Christian Schwarzer reaktivieren. "Ich habe ihn am Dienstag mal angerufen", sagte Brand, "und es ist gut zu wissen, dass wir ihn in der Hinterhand haben." Ob es denn möglich sei, einfach so, ohne jede Vorbereitung eine Weltmeisterschaft zu spielen? Heiner Brand lächelte, als denke er an seinen Sohn. Dann sagte er: "Wenn man so gut ist wie Christian Schwarzer, dann geht das."

© SZ vom 11.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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