Handball-EM:Früher als erwartet erwachsen

Lesezeit: 3 min

Es scheint alles wieder möglich: Mit niedrigsten Erwartungen ist man zum Turnier gereist, nun spielt die deutsche Handball-Auswahl eine erstaunlich gute EM und besiegt Slowenien mit 36:33.

Christian Zaschke

Nun blicken die deutschen Handballer also auf die Tabelle, und sie rechnen, und sie hoffen, und vielleicht, so ist der Gedanke, verliert ja Spanien am heutigen Donnerstag gegen Slowenien. Könnte ja sein. Dann wäre sogar das Halbfinale möglich, wenn man selbst gegen Polen gewinnt (15.15 Uhr/NDR live).

Pascal Hens und das deutsche Team haben noch Hoffnungen auf die Final-Runde. (Foto: Foto: dpa)

Erstaunlich, dieser Gedanke, niemand hätte ihn vor der Europameisterschaft in der Schweiz gedacht. Doch nun, da die Deutschen am Mittwoch im zweiten Hauptrundenspiel die favorisierten Slowenen 36:33 (20:16) besiegt haben - und zwar nach einer sehr souveränen Leistung - scheint alles wieder möglich, nachdem man mit niedrigsten Erwartungen zum Turnier gereist war. "Egal, was jetzt noch passiert: Es ist toll, was die Mannschaft bisher geleistet hat", sagte Bundestrainer Heiner Brand.

Gegen die Slowenen präsentierte sich die junge deutsche Mannschaft ungewöhnlich reif. Besonders in ersten Halbzeit zog sie ein gepflegtes Angriffsspiel auf, sie agierte variabel, verlor selten die Nerven und spielte die Angriffe geduldig aus, bis tatsächlich eine gute Wurfposition gefunden war.

Dass es der Mannschaft in der Partie gegen Slowenien zunächst erneut nicht gelang, sich abzusetzen, lag an einer kurzen Phase in der Mitte der ersten Halbzeit, in der das Angriffsspiel doch wieder zu hastig wurde; und es lag auch an den schwedischen Schiedsrichtern, die zum einen äußerst pingelig und zum anderen nicht immer nachvollziehbar pfiffen.

Das ist ein altes Problem im Handball, und auch bei dieser EM sind wieder viele Entscheidungen kaum zu erklären; die Regeln werden mal so, mal wieder ganz anders ausgelegt, manchmal innerhalb weniger Minuten.

Halbwegs normales Spiel

In den ersten Minuten gab es fortwährend Siebenmeter, doch nach einer Weile stellten sich beide Mannschaften auf das Schiedsrichtergespann ein, und es konnte sich ein halbwegs normales Handballspiel entfalten.

Bei den Deutschen hat es sich in diesem Turnier allmählich ergeben, dass Oliver Roggisch und Andrej Klimovets meist den Mittelblock in der Abwehr bilden. Gegen die Slowenen spielten sie erneut stark, bis Klimovets seine zweite Zeitstrafe kassierte und deshalb von Brand in der zweiten Halbzeit weniger eingesetzt wurde.

In den Augen des Bundestrainers gibt es am Duo Roggisch/Klimovets nur einen Nachteil: Beide spielen in der Offensive als Kreisläufer (wobei Roggisch so gut wie nie in der Offensive eingesetzt wird), und eigentlich will Brand den Mittelblock nicht mit zwei Kreisläufern besetzen.

Lieber wäre es ihm, er könnte einen ballsicheren Rückraumspieler dazustellen, der einen Gegenstoß sicher einleiten kann. Dafür war Frank von Behren vorgesehen. Dass nun Roggisch/Klimovets so oft spielen, spricht für die defensiven Qualitäten der Beiden. Kapitän Florian Kehrmann sagte am Mittwoch: "Die Deckung ist unser Prunkstück, und sie harmoniert immer besser." Roggisch erzielte gegen die Slowenen sogar ein Tor, was eigentlich nie passiert.

Alles ging für die Deutschen also in dieser Partie seinen Gang, viel souveräner als erwartet, als die schwedischen Schiedsrichter die Partie wieder richtig spannend machten: Nach knapp 38 Minuten hatten sie sich überlegt, dass eine Zeit der Zwei-Minuten-Strafen angebrochen war, und so stellten sie innerhalb weniger Sekunden Florian Kehrmann, Torsten Jansen und Pascal Hens vom Feld, was wieder einmal nur zum kleinsten Teil zu verstehen war.

Die Deutschen spielten also drei gegen sechs, Spielstand 22:19, und als diese Phase vorbei war, stand es unfasslicherweise 25:22 (40.) - der Vorsprung war nicht kleiner geworden, weil die Deutschen in der grotesk anmutenden Unterzahl drei Tore erzielten und nur drei kassierten.

Als die Mannschaft wieder zu sechst agieren durfte, verlor sie plötzlich den Faden. Alles sprach für die Deutschen, doch den Slowenen gelang der Ausgleich zum 27:27 (48.). Und plötzlich drohte das Spiel zu kippen. Was machte Brand?

Klarer Kopf

Er blieb ruhig und machte nichts, die Mannschaft reagierte von allein; Christian Zeitz jagte einen Ball ins Netz, Torsten Jansen traf, Sebastian Preiß schloss einen sehenswerten Angriff ab, und damit war der Vorsprung wieder hergestellt (30:27/ 51.). Ob er gedacht habe, dass die Mannschaft in dieser Situation zusammenbrechen könnte? "Och, nein", sagte Heiner Brand, "da mussten die Spieler einen klaren Kopf behalten, und das haben sie hervorragend gemacht."

Kehrmann ging sogar soweit zu sagen: "Unser Sieg war nie in Gefahr." Tatsächlich spielten die Deutschen die Partie erstaunlich souverän zu Ende. Am Ende sahen sie aus wie eine Mannschaft, die plötzlich und früher als erwartet erwachsen geworden ist.

© SZ vom 2.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: