Handball-EM:Eine Aushilfe mit Ansprüchen

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Michael Kraus sorgt in der Vorrunde der Europameisterschaft für Lichtblicke im deutschen Team. Von Bundestrainer Heiner Brand bekam er gar den Ritterschlag.

Christian Zaschke

Es wäre immerhin möglich gewesen, dass Michael Kraus sich anders entscheidet. Er wäre dann jetzt nicht eine positive Überraschung bei der Handball-Europameisterschaft in der Schweiz, sondern hätte eine Karriere in der Modebranche versucht. "Ein wenig habe ich damals darüber nachgedacht", sagt er. Dass es so weit kam, dass er eine Entscheidung treffen musste, liegt an einer Geschichte aus der Vergangenheit, von der Kraus sagt: "Ist gar kein Problem. Kann man mich ruhig nach fragen."

Ritterschlag für Michael Kraus durch Heiner Brand: "Ich hätte ihn länger spielen lassen sollen." (Foto: Foto: dpa)

Die Geschichte geht so: Kraus' Schwester wollte an einem Model-Wettbewerb der Jugendzeitschrift Bravo teilnehmen. Da sie das nicht allein tun wollte, überredete sie ihren Bruder mitzumachen. Wie es in erstaunlichen Geschichten so ist, hat dann die Schwester nicht gewonnen, dafür aber Michael Kraus. Plötzlich war er der "Bravo Boy 2000", ausgewählt unter Tausenden von Bewerbern, und da kann man schon mal über eine Karriere in der Modebranche nachdenken.

"Ich habe aber nur kurz darüber nachgedacht", sagt Kraus, "mein großer Traum war ja immer, einmal in der Bundesliga oder sogar in der Nationalmannschaft zu spielen." Es gibt die ganzen Fotos natürlich noch aus der Bravo-Zeit, und das könnte Kraus jetzt unangenehm sein. Ist es aber nicht. "Das war eine tolle Erfahrung", sagt er. Weil er so gerne badet, haben sie damals sogar ein Foto von Kraus in der Badewanne aufgenommen.

Heute, sechs Jahre später, ist Kraus 22 Jahre alt und agiert bei der Handball-EM als Spielmacher der deutschen Nationalmannschaft. Aushilfsspielmacher wäre vielleicht genauer, denn zuerst ist Frank von Behren für diese Position vorgesehen. Daniel Stephan und Markus Baur hatten früh absagen müssen, Oleg Velyky verletzte sich unmittelbar vor Turnierbeginn, und so eröffnete sich für Kraus plötzlich eine Chance. Immer wieder kam er für Behren aufs Feld und gab dem deutschen Spiel eine neue Dynamik.

Wichtige Position für jungen Spieler

Eine Art Ritterschlag erhielt er am Montag, als Bundestrainer Heiner Brand bei der Analyse der Niederlage gegen Frankreich vom Sonntag (25:27) sagte: "Vielleicht hätte ich Michael Kraus länger spielen lassen sollen." Dazu besteht schon am heutigen Dienstag wieder Gelegenheit, wenn die deutsche Mannschaft im ersten Hauptrundenspiel gegen die Ukraine antritt (15.15 Uhr, live im NDR).

Die Spielmacher-Position im mittleren Rückraum ist wichtig im Handball. Jahrelang waren die Deutschen dort exzellent besetzt. Markus Baur konnte ein Spiel mit großer Erfahrung lenken, Daniel Stephan gelang es, eine Arroganz auszustrahlen, die die Gegner unglaublich ärgerte. Stephan ist nicht arrogant, aber er hat so eine Art zu schauen im Spiel, die eine erstaunliche Wirkung hervorruft.

Nun ist es ungewöhnlich, dass in einer Nationalmannschaft diese wichtige Position mit einem so jungen Spieler besetzt ist. Im Grunde ist also das Verletzungspech der Mannschaft ein Glück für Kraus, der nun zum einen Erfahrung sammeln und zum anderen mit guten Partien seine Ansprüche für die Zukunft anmelden kann. "Das kann mir jetzt schon keiner mehr nehmen", sagt er, "ich lerne hier in jedem Spiel etwas dazu." Ebenso sieht es Kapitän Florian Kehrmann, der Kraus einen stetigen Lernprozess bescheinigt und feststellt: "Er leitet das Spiel sehr gut."

Gelernt hat er das bei Frisch Auf Göppingen, wo er in der Bundesliga spielt. Als dort vor gut eineinhalb Jahren der erfahrene Trainer Velimir Petkovic anheuerte, gab er Kraus eine Chance. "Petkovic sagte zu mir, ich kann in der Mitte spielen, aber nur, wenn ich die Mannschaft auch wirklich führe", sagt Kraus. Er hatte einen Förderer gefunden. "Wenn ich mal zu spät kam, dann hat er mich immer härter bestraft als die anderen, er wollte mich erziehen.

Einer der erhofften Lichtblicke

Und das hat geklappt, ich habe das gut angenommen. Heute bin ich ihm natürlich dankbar." Petkovic vertraute auf Kraus, er ließ ihn Fehler machen und sich entwickeln. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen, aber Kraus hat sich in recht kurzer Zeit sehr weit entwickelt. Die Spiele auf internationalem Niveau werden diesem Prozess nicht schaden.

Kraus ist 1,87 Meter groß, also ein eher kleiner Handballer. Das nutzt er, seine Wendigkeit ermöglicht es ihm, gegen die meist riesigen Schränke in der Abwehr vorzustoßen und zu werfen. Er trifft oft derzeit, was dazu führt, dass die gegnerische Abwehr vorrücken muss. Daraus wiederum ergibt sich mehr Platz am Kreis, es entsteht eine Dynamik, die dem deutschen Spiel gut tut. Daraus große Hoffnung für die Zukunft abzuleiten, wäre verfrüht. Aber das Spiel von Michael Kraus ist in manchen Phasen einer der Lichtblicke, die sich Brand von dieser EM erhofft hat.

© SZ vom 31.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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