Hamburgs Abschied nach fast 55 Jahren:Tor zur Unterwelt

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Eine kleine Gruppe Brandstifter reicht aus, um den HSV mit Schande in die zweite Liga zu schicken. Doch Hamburg findet Trost: Die Queen Elizabeth kommt trotzdem weiter zum Hafengeburtstag.

Von Peter Burghardt, Hamburg

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(Foto: Lars Baron/Getty)

Dutzende Polizisten für etwa zweihundert Cretins: Die Beamten bildeten rasch eine Wand vor den fackelnden Zuschauern auf den Rängen der HSV-Ultras.

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(Foto: Lars Baron/Getty Images)

Ein unwürdiges Schauspiel: Die Chaoten in der HSV-Kurve wollten offenbar den Spielabbruch provozieren, brannten Pyrotechnik und Knallkörper ab.

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(Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Die Polizei stürmte mit Hunden auf den Platz.

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(Foto: Axel Heimken/dpa)

Auch hoch zu Ross kamen Polizeikräfte auf den Rasen. Die eigentlichen Akteure des Fußballspiels wurden ungewollt zu Nebendarstellern.

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(Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Die letzten Bundesliga-Sekunden für Hamburg: Schiedsrichter Felix Brych setzte das Spiel mit einem Schiedsrichterball fort, nachdem sich die Situation im Stadion beruhigt hatte.

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(Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Die Aufräumarbeiten im Stadion stehen nur symbolisch für das, was den HSV nun sportlich erwartet.

Es war natürlich Zufall, dass der Hamburger SV während des 829. Hafengeburtstages abgestiegen ist. Wobei: Der Welthafen existiert halt bereits seit mehr als 800 Jahren, man feiert gewöhnlich im Mai - und in diesem Wonnemonat wird es für diesen HSV ja auch schon seit einer Weile immer kritisch. Die Kollision der beiden Termine kam also nicht furchtbar überraschend - und der nun wahrhaftige Absturz des früheren Edelklubs ja auch nicht. Jedenfalls machen jetzt wieder recht unterschiedliche Bilder aus der schönen Hansestadt die Runde. Hängenbleiben dürfte die hässliche Variante.

Hätte man am Samstagnachmittag gegen 17.15 Uhr zum Beispiel aus einem Flugzeug auf Hamburg geschaut, es gibt da Rundflüge mit der alten Ju, dann hätte man eine strahlende Metropole gesehen, die Sonne schien auf Alster und Elbe - und ein Stadion, aus dem es raucht.

Hübsche Fotos lieferten die Dreimaster und Kreuzfahrtschiffe, die zum Hafengeburtstag Richtung Elbphilharmonie fahren, darunter diesmal die Queen Elizabeth. Hamburg, meine Perle, Hamburg, das Tor zur Welt. Die Gruselszenen kamen aus dem an sich auch recht schmucken Volksparkstadion. Dort sorgten ein paar besonders wahnsinnige Hooligans dafür, dass die Chronik eines angekündigten Todes von der versöhnlichen Bestattung kurz zur Horrornummer verkam.

"Mein Hamburg lieb' ich sehr", singt das Publikum weiterhin - jetzt halt gegen Sandhausen

Das besonders Irre an den Krawallen war, dass man bei der Vorbereitung zusehen konnte, ohne dass irgendwer dazwischenging. Die Uhr des HSV in der Bundesliga war schon nahezu abgelaufen, als im Fanblock zweierlei auffiel: Da hing auf einmal ein Plakat mit einem zähnefletschenden Dino drauf. Und da wölbte sich ein schwarzes Tuch, das einem Sargdeckel ähneln sollte. Darunter montierten vermummte Randalierer seelenruhig ein gemeingefährliches Feuerwerk zusammen.

Minuten vor Schluss detonierten Böller, dass die Arena bebte und die Ohren dröhnten. Verschreckte Blicke, es donnerte und qualmte, Flammen und Rauch standen bis in den Gladbacher Strafraum hinein. Hunderte Polizisten in schwarzer Montur und weißen Helmen marschierten auf den Rasen, Beamte mit Hunden liefen auf, sogar eine berittene Staffel trabte Richtung Mittelkreis. Ein danteskes Szenario mitten in einem Fußballstadion. Wie ein Schlachtfeld vor dem letzten Gefecht.

So was musste der HSV zwar befürchten, seit Ultras vor einigen Wochen nach miserablen Spielen Kreuze und Drohungen auf dem Trainingsplatz drapiert hatten sowie die Kabine stürmen wollten (und sich dann ersatzweise gegenseitig verdroschen). Aber nach ordentlichen Partien unter dem neuen Trainer Christian Titz und angesichts der 2:1-Führung gegen Borussia Mönchengladbach wuchs die Hoffnung, dass der Abschied aus der Bundesliga verträglich verlaufen könnte.

Das gelang erst, als die 200 bis 300 Brandstifter verschwanden, verfolgt von Pfiffen und Polizei. Viele der restlichen 57 000 Zuschauer feierten am Ende die Profis. Schiedsrichter Felix Brych pfiff noch mal schnell an und gleich ab, der Ordnung halber. "Mein Hamburg lieb' ich sehr", sang das Publikum. Auch der HSV-Freund Olli Dittrich, Hamburgs Dittsche, hielt mit Strohhut die Stellung. "Gänsehautatmosphäre", fand der Hamburger Innensenator Andy Grote - aber er ahnt, dass es für die Regie zu spät war, weil der beißende Geruch von Verbrannten in den Nasen lag: "Da reicht ein ganz kleines Grüppchen, um Bilder zu prägen, die dann wahrscheinlich heute Abend in der Tagesschau sind. Das macht einen schon wütend."

Grote erörterte die Lage vor dem Volksparkstadion, wo es aussah wie in einem Feldlager. Am Parkplatz vor dem Haupteingang standen Wasserwerfer, Mannschaftswägen der Polizei, Reiterstaffel und Sanitäter, es roch nach Böllerrauch und Pferdeäpfeln. Das Ganze erinnerte recht unangenehm an G 20 ein knappes Jahr zuvor. Damals wurden mehr als 30 000 Beamte aufgeboten, um den Weltgipfel zu schützen. Trotzdem gingen Straßenzüge in Flammen auf, und man fragte sich, weshalb die Behörden zum Beispiel das Schanzenviertel nicht besser schützen konnten. Diesmal wundert man sich, wie diese Pyromanen ihr Arsenal hinters Tor schleppen konnten, obwohl sie doch hinreichend bekannt sind.

Die Dino-Nummer ist vorbei. Aber die Uhr soll weiterlaufen - bloß mit neuer Funktion

Also, Herr Grote, wie ging das? "Das können Ihnen Polizisten erklären", antwortete Hamburgs oberster Sicherheitsbeauftragter. "Das können Sie in so kleinen Komponenten am Körper transportieren, das kriegen sie nicht rausgefiltert." Schlimmeres, etwa ein Sturm des Platzes sei verhindert worden, berichtete Grote mit Dank an die Polizei. Gegen die Randalierer werde man vorgehen, "ich geh' mal davon aus, dass es eine Menge Bildmaterial gibt". Hinter ihm hielten Polizisten zwei Verdächtige fest. Sonderlich überzeugend und beruhigend ist das alles aber nicht, auch die Gäste waren entsprechend schlecht gelaunt. "Lasst mich in Ruhe, mit euch red' ich nicht", rief Mönchengladbachs Manager Max Eberl, als ihn draußen irgendwelche Anhänger stellen wollten. "Ihr macht den Fußball kaputt." Er fände es "schön, wenn diese Idioten aus dem Stadion verschwinden würden", da ist er nicht der einzige.

Bürgermeister Peter Tschentscher stieg mit Kleidersack in ein dunkles Fahrzeug und verschwand, es war ein undankbarer Termin. Vorgänger Olaf Scholz hatte vor wenigen Monaten verkündet, er wolle im Rathaus gerne mal eine Meisterschaft des HSV feiern, danach verabschiedete er sich ins Finanzministerium nach Berlin. Nachfolger Tschentscher, ebenfalls SPD, hatte am Donnerstag die Glocke des Museumsschiffes Rickmer Rickmers geläutet und den Hafengeburtstag eröffnet - jetzt durfte er als Stadtoberhaupt zusehen, wie sein Hamburg mit dem HSV abstieg. "Mit dieser Stimmung muss jetzt das Projekt Wiederaufstieg beginnen", twitterte Tschentscher, er meint vermutlich die Stimmung nach dem Schlusspfiff, ohne Ultras. Aber erst mal muss Hamburg mit diesem Abstieg und seinen Umständen zurecht kommen, nach 55 Jahren Bundesliga.

Zuletzt stand die berühmte Bundesliga-Uhr bei 54 Jahren und 261 Tagen. Bis Juni soll sie weiterlaufen. Danach, umfunktioniert, soll sie halt die Zeit seit der Vereinsgründung zählen. Zweite Liga? "Das tut schon weh, das ist nicht unser Anspruch", erwiderte Innensenator Grote. "Es kommt ja nicht von ungefähr, dass wir als einzige Mannschaft bisher ununterbrochen in der Bundesliga waren." Im großen Sport hat Hamburg derzeit keinen Lauf. Eishockey und Handball erholen sich von Pleiten, Olympia fiel durch. Die Polizei darf sich auf Derbys mit dem FC St. Pauli vorbereiten, beim Kiezklub ist Grote Mitglied. St. Pauli amüsiert sich köstlich über den HSV, das stolze Hamburg allerdings kostet die Zweitklassigkeit Geld und Prestige. Auch der Milliardär und Mäzen Klaus-Michael Kühne überlegt, ob und wie er weiterzahlt.

Im Treppenhaus der HSV-Geschäftsstelle kleben Fotos alter Helden. Charly Dörfel, Horst Schnoor, Josef Posipal, Horst Hrubesch, Kevin Keegan, Manfred Kaltz, Uwe Seeler. Die Dino-Nummer ist vorbei. Auf dem Gras blieben verkohlte Flecken zurück, man wird sie entfernen. Im Volksparkstadion stehen Konzerte an, Billy Joel und Helene Fischer. Danach Sandhausen, Heidenheim, zweite Liga.

© SZ vom 14.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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