Hamburg:Die beste Verpflichtung aller Zeiten

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Das Abschiedsspiel des 63-jährigen HSV-Masseurs und Yeboah-Skilehrers Hermann Rieger bietet Schmankerl und Bananenflanken.

Von Jörg Marwedel

Anthony Yeboah, 40, reiste aus Ghana an, Jörg Albertz, 33, aus China, Yordan Letchkov, 37, aus Bulgarien und Jimmy Hartwig, 50, in neunstündiger Autofahrt von Baden-Baden. Auch Kevin Keegan wäre aus England gekommen, hätte ihn nicht eine Schulteroperation gehindert. Franz Beckenbauer und Günter Netzer waren sowieso erschienen. Es hat schon viele Abschiedsspiele gegeben, für Weltmeister wie Beckenbauer, Jürgen Klinsmann oder Rudi Völler. Für Uwe Seeler, das große HSV-Idol. Aber für einen Masseur?

Hermann Rieger, 63, aus dem bayerischen Mittenwald, hat das geschafft. Am Dienstagabend kamen sie alle, 100 aktuelle und ehemalige Größen des HSV. Sie haben nicht alle gespielt, doch keiner hat es sich nehmen lassen, einen Mann zu ehren, der in 26 Jahren bei dem Hamburger Klub zur wohl ungewöhnlichsten Figur im deutschen Fußball wurde und nun vor 20.000 singenden Fans Servus sagte.

Abschiedsspiele sind etwas für Leute mit Sinn für Sentimentalität, und im Fußball gibt es besonders viele davon. Einmal noch eine Bananenflanke von Manni Kaltz durch den Strafraum segeln sehen; einmal noch, wie Horst Hrubeschs Schädel den Ball ins Tor rammt; und einmal noch, wie Uli Steins Paraden Stürmer zur Verzweiflung treiben. Das ist es, was selbst grantigen Typen wie Willi Reimann oder Aleksandar Ristic das Herz wärmt. Und mancher von ihnen hatte später, nach einem launigen 3:3 zwischen zwei Altstar-Teams, beim großen Fest mit bayerischen Schmankerln und Hamburger Lobeshymnen auch über das Leben "danach" etwas zu erzählen.

Letchkov etwa ist nun Bürgermeister seines Heimatortes Sliven. Dort muss er sich mit Alltagsproblemen wie diesem plagen: "Es fehlt an Beleuchtung in der Stadt. Es ist zu dunkel bei uns." Jimmy Hartwig ist, nach einem weniger gelungenen Versuch als TV-Moderator, nun Schauspieler. "Ich spiele nur noch Theater, habe eine Rolle in Richard III.", erzählte der rundlich gewordene Fußball-Clown. Auch Rudi Kargus, Meistertorwart von 1979, wechselte ins Künstlerfach - er ist inzwischen Maler, eine Ausstellung läuft gerade im HSV-Museum.

Yeboah wiederum ist Geschäftsmann in seiner Heimat geworden. "Für Hermann", sagte er, "habe ich mich fit gemacht. Er war mein Skilehrer und ist ein großer Mann." Natürlich sind viele Tränen geflossen bei dem "großen Mann", denn selten hat jemand so viel Zuneigung auf einmal zu verkraften gehabt wie er an diesem Abend. Felix Magath beschrieb das Phänomen Rieger so: "Er war nicht nur Masseur, das am wenigsten. Er war Maskottchen, Seele, der gute Geist, bei dem sich jeder ausweinen konnte." Oliver Bierhoff, Manager der Nationalelf mit glücklosem HSV-Intermezzo als Jung-Profi, bestätigte: "Er ist einfach immer positiv und hat mich immer wieder aufgerichtet, wenn es mir nicht so gut ging." Günter Netzer, der ehemalige HSV-Manager, schätzte den Wert des Medizinmannes für das Team hoch ein: "Er war die beste Verpflichtung, die ich je für den HSV getätigt habe."

Dass diese märchenhafte Geschichte beinahe nicht zustande gekommen wäre, enthüllte indes der frühere HSV-Präsident Wolfgang Klein. Er zückte ein Blatt Papier, es war Riegers Kündigung zum 30. Juni 1980. Der Masseur wollte in die USA, wo er ein Angebot aus der neuen Soccer League erhalten hatte. "Wir haben überlegt, wie wir ihn umstimmen können", erzählte Klein und verriet die Lösung: Hermann Rieger wurde der erste und einzige Masseur, der Siegprämien kassierte.

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