Halbzeitbilanz der bayerischen DEL-Klubs:Könige der Achterbahn

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In Nürnberg berauschen sie sich an der Körperlichkeit, in Straubing hadern sie über den Egoismus. Und in Augsburg schwärmen sie über einen fast Vergessenen.

Von Christian Bernhard und Johannes Schnitzler

So ganz stimmt es ja nicht mit der Halbzeitbilanz: Einige Teams der Deutschen Eishockey Liga (DEL) haben schon mehr als 26 Saisonspiele absolviert, andere weniger. Grundsätzlich aber ist die Liga am vergangenen Wochenende in die Rückrunde gestartet. Ein Rückblick also zur offiziellen Saisonmitte.

EHC Red Bull München

(1. Platz, 26 Spiele, 59 Punkte)

Manchmal reichen schon die nackten Zahlen, um ein Gefühl für die Verhältnisse zu bekommen. Und in diesem Fall sind es bedrückende Verhältnisse. Bedrückend dominante. Denn der EHC Red Bull München kann die meisten Siege (20), die meisten Tore (92) und das mit Abstand effizienteste Unterzahlspiel (93 Prozent Erfolgsquote) der Liga vorweisen - damit thront er beachtliche neun Zähler vor den Verfolgern auf Platz eins. Zum Vergleich: In der vergangenen Saison hatten die Münchner nach 26 Spieltagen als Tabellen-Neunter (!) nur 41 Punkte auf dem Konto. Am Ende waren sie Meister. Münchens größte Stärke ist die Kadertiefe. Stürmer Keith Aucoin (26 Punkte) ist der einzige EHC-Profi unter den Top Ten der Scorerliste, Nationalspieler wie Jerome Flaake, Brooks Macek oder Jon Matsumoto liefen in den vergangenen Wochen abwechselnd in der nominell vierten Angriffsreihe auf. Trainer Don Jackson freut sich über ein "Top-Offensiv- und ein Top-Defensiv-Team" sowie "sehr gute Torhüter" und "große Führungspersönlichkeiten". Oder anders ausgedrückt: über das komplette Paket. Wie dominant der Meister agiert, macht ein Blick auf die Plus/Minus-Statistik deutlich: In dieser Rubrik finden sich unter den ersten Zehn der Liga gleich fünf Münchner. Selbst das Überzahlspiel, lange Zeit einer der wenigen Schwachpunkte, ist in den jüngsten Spielen effektiver geworden.

Nürnberg Ice Tigers

(2., 27 Spiele, 50 Punkte)

Groß und schwer. Die Wahrscheinlichkeit, im Rahmen der DEL mit diesen Adjektiven konfrontiert zu werden, ist dann am größten, wenn die Sprache auf die Ice Tigers kommt - die Physis ist das gewichtigste Pfund der Franken. Der Slowake Milan Jurcina ist mit 1,93 Meter Größe und 114 Kilo Gewicht zwar der größte, aber bei Weitem nicht er einzige kantige Brocken im Team. Auch Kapitän Patrick Reimer, Brandon Segal oder der kürzlich verpflichtete NHL-Routinier Brandon Prust sind nicht nur gute Eishockeyspieler, sondern sehr unangenehme, aggressive Gegner. Gegen Nürnberg zu spielen, bedeutet in erster Linie: viele Checks einzustecken. Die imposante Körperlichkeit ist freilich nur eine Erklärung für die bislang herausragende Saison der Ice Tigers. Die Offensive ist nicht mehr nur von der Paradereihe um Reimer, Yasin Ehliz und Steven Reinprecht abhängig. Auch Spieler wie Leo Pföderl (26 Punkte) und Philippe Dupuis (20) scoren verlässlich. Jesse Blacker (21) ist gar der offensivstärkste Verteidiger der Liga. Die Defensive ist zudem robust, nicht zuletzt weil der in den vergangenen Jahren oft verletzte Torhüter Jochen Reimer zu alter Stärke zurückgefunden hat. Mittlerweile wird in Nürnberg offen über die Meisterschaft geredet. Die Vertragsverlängerung von Trainer Rob Wilson, der mantra-artig den "großartigen Willen" seines Teams hervorhebt, ist ein weiteres Signal: Die Ice Tigers arbeiten am großen Coup. Und: Nürnberg ist das einzige Team, das Tabellenführer München in beiden bisherigen Saisonduellen (4:2, 6:5 n.V.) geschlagen hat.

Zuverlässig: Nürnbergs Leo Pföderl sammelte bisher 26 Scorerpunkte. (Foto: imago/Bernd Müller)

Augsburger Panther

(5., 27 Spiele, 47 Punkte)

Michael Davies ist Kummer gewöhnt. 2014 wechselte der Amerikaner zur Düsseldorfer EG, machte die Rheinländer eine Karnevalssaison lang mit 29 Scorerpunkten in 23 Spielen janz jeck - und prozessierte danach gegen den Klub. Davies machte die DEG für eine Dopingsperre verantwortlich, weil ein Mannschaftsarzt vergessen hatte, eine Ausnahmegenehmigung für ein Medikament weiterzuleiten, das der Stürmer seit seinem 14. Lebensjahr braucht. Es ging um rund 250 000 Euro. Anfang September dieses Jahres wies das Arbeitsgericht Düsseldorf die Klage ab. In der Zwischenzeit hatte Davies den Untergang der Hamburg Freezers aus nächster Nähe miterlebt. In Augsburg suchen sie solche Spieler, die Unzufriedenen, die Vergessenen, die viel Potenzial für wenig Geld versprechen. Doch auch in Schwaben fand Davies zunächst kein Glück. Lediglich 17 Punkte holten die Panther aus den ersten 13 Spielen, auch der 1,75 Meter kleine Stürmer galt schnell als Mitläufer. Davies wurde krank. Pausierte. Kehrte zurück. Machte auf einmal Punkt um Punkt. So schnell wie Davies sich in die Herzen der Fans spielte, kletterte der AEV in der Tabelle. Mit nun 47 Punkten stehen die Panther zur Saisonhalbzeit so gut da wie erst ein Mal in ihrer 23-jährigen DEL-Geschichte. "Oh, Michael bringt so viel Speed in unser Spiel", schwärmt sein Trainer Mike Stewart. Der wiederum lobt das Trainerteam für seine Arbeit und mahnt, konzentriert zu bleiben. Davies weiß, wie schnell das Glück sich wenden kann. Das letzte Mal, als die Panther zur Halbzeit 47 Punkte hatten, wurden sie am Ende Neunte. Und verpassten 2004 noch die Playoffs.

ERC Ingolstadt

(8., 27 Spiele, 43 Punkte)

Spektakel liebende Eishockey-Fans sollten sich die Spiele der Oberbayern im Kalender fett markieren. Nirgendwo in der DEL fallen so viele Tore wie bei Beteiligung des ERC: im Schnitt sechs pro Partie. Die Ingolstädter zelebrieren unter ihrem neuen Trainer Tommy Samuelsson einen Hurra-Stil, der wilde Ergebnisse wie das 4:8 gegen Köln oder das 4:7 gegen Berlin zur Folge haben kann. Sportlich ist dieses Auf und Nieder nicht immer förderlich: Die Oberbayern haben zwar ihre vergangenen vier Spiele gewonnen, trotzdem sind sie nur Achter der Tabelle. Die Panther sind die Achterbahn-Könige der Liga. Ihr erstes Sechs-Punkte-Wochenende feierten sie erst im Dezember. Offensiv muss sich der Meister von 2014 vor niemandem verstecken. Sowohl die Reihe Buck-Laliberte-Oppenheimer als auch das Trio Greilinger-Taticek-Pohl können jederzeit ein Spiel entscheiden. Defensiv haperte es allerdings: Nur vier Teams haben mehr Gegentore kassiert als Ingolstadt (79), alle stehen in der Tabelle hinter dem ERC. Sportdirektor Jiri Ehrenberger ist dennoch davon überzeugt, dass die Mannschaft das Potenzial hat, sich nach oben zu arbeiten. Er glaubt, dass der im Sommer ausgerufene sechste Platz und damit die direkte Playoff-Qualifikation noch zu erreichen ist, wenn "nicht so unnötig" Punkte liegen gelassen werden wie bisher. Hoffnung darauf macht die Tabellen-Konstellation: Der Rückstand auf Platz zwei ist mit sieben Zählern gleich groß wie der Vorsprung auf Rang neun.

Fehlender "Killerinstinkt": Steven Zalewski und die Straubing Tigers verloren zuletzt acht von elf Partien. (Foto: imago/foto2press)

Straubing Tigers

(11., 27 Spiele, 30 Punkte)

Abseits der Eisfläche haben die Tigers zuletzt am meisten aufhorchen lassen. Geschäftsführerin Gaby Sennebogen plauderte aus, dass die 14 DEL-Klubs in der vergangenen Saison ein "Minus von 15 Millionen Euro" bilanziert hätten, in dieser Saison sehe es nicht besser aus. Sportlich lieferte Straubing dagegen zuletzt eher kleinere Schlagzeilen. Die Niederbayern sind auf Rang elf mit zwei Punkten Rückstand auf Platz zehn, der als letzter zur Pre-Playoffs-Teilnahme berechtigt, zwar im Soll, schwächelten in den vergangenen Wochen aber unübersehbar (acht Niederlagen in den vergangenen elf Partien). Mitverantwortlich dafür ist das schlechteste Unterzahlspiel der Liga (29 Gegentore), was noch schwerer wiegt, da die Straubinger die meisten Zwei-Minuten-Strafen der Liga kassieren (146). Auch Torhüter Matt Climie ist nicht mehr der Rückhalt, der er in der vergangenen Saison war. Mut macht das Überzahlspiel, das mit einer Umwandlungsquote von 20 Prozent zu den stärksten der Liga gehört. Der gute Saisonstart unter Trainer Larry Mitchell mit vier Siegen aus fünf Spielen ist vergessen - Ende Oktober prangerte der Coach den Egoismus einiger Spieler an. Dass Stürmer Scott Timmins "mehr Killerinstinkt" fordert, ist dennoch sportlich gemeint.

© SZ vom 16.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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