Hängende Spitze:Salon zur wilden Renate

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Berlins Nachtleben ist gnadenlos. In Ruhe und Gelassenheit kannst du darin einfach nicht alt werden. Das gilt für deinesgleichen genauso wie für Herthas Fußball-Profis unter dem ideenreichen Trainer Pal Dardai.

Von Claudio Catuogno

Samstagmorgen zwischen 2.30 und 3 Uhr ist immer demütigend. Die Sonne hat ja wieder mal gar nicht untergehen wollen beim Afterwork auf dem Dach vom Klunkerkranich, und bei der Blonden aus dem Yoga, die dich danach zum Wok-Kochen eingeladen hat, hast du es auch nicht lange ausgehalten, weil du noch nicht mal ein Bier gekriegt hast, nur Minz-Limetten- Lassi. Dann hättest du statt im Suicide Circus wohl besser mal im Salon zur wilden Renate reingeschnippt, da hätte dir der Barkeeper wenigstens keine Olive in den Martini gestopft. Und dass dich in der Bar zum schmutzigen Hobby die Typen so anglotzen, war ja auch irgendwie klar.

Vorglühen halt. Aber ab 2.30 Uhr wird's schon mühsam. Es ist ja nicht so, dass du nichts gearbeitet hättest, als du nach dem zweiten Frühstück einfach mit dem Notebook im Sowohlalsauch sitzen geblieben bist, du hast dein Projekt vorangetrieben. Aber jetzt bräuchtest du einen Espresso, oder noch besser das Zeug, das der Steve immer dabei hatte, bevor er den Job in Göttingen angenommen hat. Demütigend, ja, aber du hast halt keine Wahl. Vor halb vier brauchst du dich im Berghain nicht sehen lassen. Am Ende erkennt dich einer und glaubt, du bist zwanghaft auf Party aus. Dabei willst du doch nur mal zwei, drei Stunden ganz bei dir sein, dafür ist das Berghain erst ab halb vier voll genug.

Ach, ganz schön mühsam, in Berlin nicht alt werden zu dürfen. Vielleicht machst du es beim nächsten Mal einfach wie der Hertha-Trainer Pal Dardai. Zum Vorglühen war der am Freitag mit den Jungs in Hannover, 1:1, Traumtor von Stocker, und dann, nach der Rückkehr: Flutlichtshow auf dem Schenckendorffplatz. Dardai hat das aber nicht "Afterwork" genannt. Sondern "Auslaufen". Mützen auf und über den Rasen hotten, von 2.30 bis 3 Uhr nachts, man weiß das, weil John Heitinga 'nen Snap gepostet hat ("Pal hat immer neue Ideen").

Das war ausnahmsweise mal keine Demütigung. Zum Ausgleich hatten die Hertha-Spieler nämlich Samstag und Sonntag frei. Was allerdings auch wieder Stress ist in Berlin, der Moscow Mule im Reingold haut ganz schön rein, am Ende trittst du am Ku'damm wieder die Außenspiegel von den parkenden Autos. Und die Leute sagen, du wüsstest gar nicht, dass du im Abstiegskampf steckst.

© SZ vom 13.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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