Grand-Slam-Turniere:"Wir waren mitten im Wald"

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Nach den French Open ist vor Wimbledon: Guy Forget über sein Debüt als Grand-Slam-Turnierdirektor, über Maria Scharapowas Doping-Vergehen, Stadiondächer und Tennis im Regen.

Interview von Philipp Schneider

SZ: Herr Forget, haben Sie davon gehört, dass die Berliner seit zehn Jahren einen Flughafen bauen, der wird und wird aber nicht fertig?

Guy Forget: Nein, das überrascht mich. Berlin ist eine große Stadt. Und es gibt da doch schon einen Flughafen. Deshalb kann ich gar nicht nachvollziehen, weshalb das nicht klappt.

Es gab und gibt wohl Probleme bei Planung und Bau...

Erstaunlich. Aber ich weiß, worauf Sie hinaus wollen: Sie spielen auf das fehlende Dach bei unserem Turnier an. Bei uns ist es eben noch ein bisschen komplizierter. Wir sind hier mitten in Paris. Hier gibt es viele denkmalgeschützte Monumente.

Im Osten ihrer Tennisanlage gibt es beispielsweise einen botanischen Garten, dort würden Sie gerne ein neues Tennisstadion bauen mit 5000 Plätzen.

Ich denke, dass wir da auch bauen werden. Wir haben die offizielle Erlaubnis. Auch wenn die Menschen, die hier in der Gegend wohnen, uns zu stoppen versuchen. Aber die Prozedur läuft weiter. Wir sind sehr optimistisch.

Im August wird bei den US Open eine Haube eingeweiht, dann verantworten Sie das letzte Grand-Slam-Turnier auf der Welt, das nicht geschützt ist vor Regen. Warum setzen Sie nicht unabhängig von den weiteren Bauvorhaben zunächst einmal ein Dach auf das Stadion Philippe Chatrier?

Dazu müssen wir erst die ganze Struktur des Stadions verbessern. Es müssen ja später riesige Flügel drauf gesetzt werden, die das Dach tragen können. Und wenn wir schon einmal dabei sind, hier umzubauen, dann werden wir auch die Fläche des Spielerrestaurants, der Spielerlounge und den Bereich für die Journalisten vergrößern. Sie brauchen doch auch mehr Platz, um besser arbeiten zu können?

Absolut.

Also wächst bei uns alles in die Breite und in die Höhe. Aber das dauert eine Weile. Allein schon, weil wir jedes Jahr nur neun Monate Zeit haben für die Arbeiten. Die übrigen drei Monate nehmen die French Open ein.

Sie können derzeit nicht bauen, weil die Anwohner am angrenzenden Boulevard d'Auteuil einen Baustopp erwirkt haben. Fürchten die eher den Lärm oder das Licht der neuen Flutlichtanlagen?

Das müssen Sie die Anwohner fragen. Ich glaube: Sie wollen einfach grundsätzlich keinerlei Änderungen. Aber das ist wirklich lustig.

Inwiefern ist das lustig?

Weil Roland Garros 1928 errichtet worden ist, um den Davis Cup auszurichten. Das ganze Areal stand damals nur uns zur Verfügung. Wir waren außerhalb von Paris, mitten im Wald. Im Bois de Boulogne. Erst nach und nach kam hier dann etwas dazu: Erst wurde der Highway gebaut. Und dann sind irgendwann Leute auf die Idee gekommen, ihre Häuser in der Nähe der Tennisanlage zu errichten. Und diese Leute wollen sich jetzt beschweren, dass wir unser Stadion vergrößern?

Sie argumentieren, dass die Tennisspieler zuerst da waren?

Exakt, genau wie die Indianer in den USA! Und jetzt kommen hier die Cowboys und wollen die Indianer erschießen?

Obwohl hier im Wald sicher nur Hasen und Wölfe waren damals.

Ganz genau. Wir sollten uns darüber beklagen, dass hier jetzt überall Häuser stehen, wo vorher nur Wälder waren. Aber um eine komplizierte Geschichte kurz zu machen: Wir reden hier von einer Minderheit der Anwohner.

Aber einer wohlhabenden Minderheit?

Was heißt wohlhabend? Jeder zahlt 100 Euro an einen Anwalt. 70 von ihnen haben dann genug Geld zusammen für einen Prozess. 95 Prozent der Leute wollen, dass Roland Garros modernisiert wird. In Frankreich kann eine Minderheit die Mehrheit aufhalten. Aber manchmal muss man für seine Visionen kämpfen. Und wir glauben, dass in Roland Garros in vier Jahren ein wesentlich größeres und schöneres Stadion sein wird.

Dass es während der French Open so viel geregnet hat, hat Ihnen das in der politischen Auseinandersetzung mit den Stadiongegnern nicht in die Karten gespielt?

Vielleicht.

So konnten sie ein bisschen die Webetrommel rühren für das neue Dach!

Ganz ehrlich: Das Dach wird so oder so gebaut.

Sicher?

Ich bin zu 95 Prozent sicher. Vielleicht sogar zu 99 Prozent. Etwas komplizierter sieht es aus mit dem Stadion im Botanischen Garten.

Der Doping-Fall Maria Scharapowa hat für Guy Forget auch Gutes: "Unsere Kontrollsysteme funktionieren, und sie sind effektiv." (Foto: Sergei Ilnitsky/dpa)

Sie hatten bei Ihren ersten French Open gleich einige Krisen zu moderieren: Es gab ja außer dem Regen, der so schlimm war wie seit...

Seit Errichtung von Roland Garros. Letztmals ist vor 150 Jahren so viel Regen gefallen in einem Mai in Paris. Und deshalb haben wir auch Glück gehabt, dass wir beide Finals wie geplant spielen konnten. Das ist für uns Organisatoren ein großer Erfolg!

Sie hatten ja auch noch das Problem, dass in Rafael Nadal und Roger Federer zwei der beliebtesten Spieler kurz bzw. gar nicht am Start waren.

Das ist nicht unser Problem. Die Stärke der vier Grand-Slam-Turniere resultiert daraus, dass sie so groß sind wie das Spiel. Und größer als die Spieler. Die Spieler mit großen Namen haben deshalb große Namen, weil sie die vier Turniere gewonnen haben. Erst die Majors machen die Spieler berühmt. Es gibt kleinere Turniere auf der Tour, die benötigen diese Spieler, um zu existieren. Wenn Rafa und Roger nicht spielen können, dann sind wir sehr traurig. Für unsere Fans. Weil die Fans Rafa und Roger gerne spielen sehen wollen. Am Ende verkaufen wir deshalb aber nicht weniger Tickets. Wenn wir jetzt die Tickets online stellen für nächstes Jahr, ohne zu wissen, wer dann spielen wird, dann sind sie weg (schnippt mit den Fingern). Wenn Roger eines Tages aufhört, dann sind es eben Dominic Thiem und Alexander Zverev, die in den Top 5 stehen.

Sie sind auch Zverev-Fan?

Ja, aus mehreren Gründen. Er hat die Waffen: Seine Vorhand und sein Aufschlag sind eindrucksvoll. Er ist groß. Und er hat eine gute Art, er ist sehr fokussiert. Er meckert nicht, er zerbricht nicht seinen Schläger. Er hat sehr viel Selbstbeherrschung. Und, entscheidend: Er versucht, die Big Points zu gewinnen. Er geht dann voll drauf und wartet nicht ab, dass der Gegner einen Fehler macht. Und für einen Spieler mit seiner Größe bewegt er sich auch sehr gut.

Sie waren die Nummer vier der Welt, erinnert Sie Zverev an jemanden?

Er ist sicher besser als ich in seinem Alter. Er geht ans Netz, seine Volleys sind okay. Er hat eine zuverlässige Rückhand. Meine Rückhand war am Anfang etwas wacklig.

Sie waren aber ein aggressiver Spieler!

Ja, aber damals waren alle Spieler aggressiv. Ich bin beeinflusst von Connors, McEnroe, Noah. Das waren meine Vorbilder. Ich wollte nie so spielen wie Borg. Ich meine... Ich habe das geliebt, wenn Borg gespielt hat, aber...

Er war Ihnen zu langweilig?

Ich war halt jemand, der sehr leidenschaftlich gespielt hat. Ich war nervös, ich wollte die Big Points gewinnen. Deshalb war ich auch aggressiv. Borg war immer ruhig, fokussiert.

Die zweimalige French-Open-Siegerin Maria Scharapowa wurde wegen Missbrauchs von Meldonium für zwei Jahre gesperrt. Sorgen Sie sich, dass das Tennis eine bedenkliche Entwicklung nimmt?

Maria Scharapowa ist positiv getestet worden auf ein unerlaubtes Mittel. Dafür ist sie bestraft worden. Sie hatte eine verbotene Substanz in ihrem Körper, das war ein Fehler. Aber ich versuche mal, diesen Fall positiv zu betrachten: Unsere Kontrollsysteme funktionieren, und sie sind effektiv. Es gab doch immer wieder den Verdacht, dass im Tennis nur die schlechten Spieler geschnappt werden, wenn sie betrügen. Und dass die guten versteckt werden. Es gibt aber kaum charismatischere Spielerinnen als Maria Scharapowa. Und deshalb sendet der Fall nun eine klare Botschaft: Oh, oh! Wenn ich etwas Dummes mache, dann wird das öffentlich gemacht. Ich bin nicht einer, der sagt: Es gibt kein Doping im Tennis. Es gibt vermutlich ein paar Leute, die versuchen zu betrügen. Im Schwimmen, beim Radfahren, beim Fußball gibt's womöglich auch welche. Doping ist nicht das Problem einzelner Sportarten, sondern ein gesellschaftliches Problem. Es wird immer Leute geben, die gewinnen wollen und dafür das System betrügen. Und deshalb müssen wir diese Leute schnappen und aus dem Verkehr ziehen.

Scharapowa konnte zuvor nicht gezwungen werden, ihre vorläufige Sperre öffentlich zu machen. Sie hätte auch schweigen und ein paar Monate lang vorgeben können, verletzt zu fehlen. Ist das eine kluge Regelung?

Sie hat ihre Sperre freiwillig öffentlich gemacht, ja. Aber sie wusste auch, dass es sowieso rauskommen würde. Wenn sie es nicht öffentlich gemacht hätte, wäre das Verfahren ja weiter gegangen, an dessen Ende sie für zwei Jahre suspendiert wurde. Und seitdem erleben wir, dass viele weitere russische Athleten positiv auf Meldonium getestet werden. Nicht alle von ihnen werden Asthma haben.

Die ehemalige französische Sportministerin Roselyne Bachelot hat gegen Rafael Nadal den Vorwurf erhoben, er habe 2012 mit einer mehrmonatigen Verletzungspause einen positiven Dopingbefund kaschieren wollen, als er wegen einer Knieverletzung für ein halbes Jahr ausgefallen war. Nadal ist dagegen juristisch vorgegangen.

Dieser Vorwurf war eine große Respektlosigkeit. Das wäre ja so, als würde ich jetzt zu Ihnen sagen: Sie sind so stark, weil Sie Steroide nehmen. Weil mir irgendjemand gesagt hat, dass Sie Steroide nehmen. Mit welchem Recht darf man so etwas behaupten? Ist es verboten, viele Muskeln zu haben? Wie kann man behaupten, dass jemand gedopt hat, nur weil er sechs Monate Pause gemacht hat? Wie kann man jemanden wie Rafa in Frage stellen, von dem ich persönlich überzeugt bin, dass er zu hundert Prozent sauber ist?

Guy Forget war von 1982 bis 1997 selbst Profi-Tennisspieler. Seit Februar ist er Direktor der French Open. (Foto: Philippe Lopez/AFP)

Sie kennen Nadal gut?

Ich kenne ihn ein bisschen. Ich weiß, wie respektvoll er mit anderen Menschen umgeht und ich weiß, wie hart er trainiert. Wie kann eine ehemalige Ministerin etwas von solcher Tragweite behaupten? Das kann man nicht akzeptieren. Und deshalb ist es auch richtig, dass Rafa dagegen juristisch vorgeht.

Wie fällt die Bilanz aus von Ihren ersten French Open als Turnierdirektor?

Als Turnierdirektor hast du jeden Abend, jeden Morgen ein Meeting. Und dann geht es um all die Sachen, die besser gemacht werden müssen: Die Plätze sind nicht gut genug, irgendwo tröpfelt Wasser, es gibt Spielansetzungen, mit denen irgendeiner nicht einverstanden ist. Dann gibt es Verletzungen, schlechte Presse, und wir müssen ein Problem nach dem nächsten lösen. Wir haben ja schon vor Turnierstart eine schlimme Wetterprognose erhalten. Wir wussten, dass es hart wird. Aber wenn du hier als Turnierdirektor arbeitest, dann weißt du auch, dass du manchmal harte Entscheidungen treffen, Leute unglücklich machen musst. Spieler kommen und sagen: Guy, ich würde gerne morgen nicht allzu spät spielen.

Turniersieger Novak Djokovic war sicher auch nicht glücklich darüber, dass er im Achtelfinale einen Satz im Regen spielen musste gegen Roberto Bautista-Agut?

Mit Sicherheit nicht. Novak war auch nicht glücklich darüber, dass er sein Halbfinale gegen Thiem im zweitgrößten Stadion - Suzanne Lenglen - spielen musste. Ich habe deshalb lange mit seinem Trainer geredet, Marian Vajda, der ein guter Freund von mir ist, weil wir schon gegeneinander gespielt haben, als wir 16 waren. Ich habe ihm gesagt: Ich verstehe, dass Novak frustriert ist. Er ist die Nummer eins auf der Welt, er möchte auf dem großen Platz spielen...

...dort durfte Andy Murray gegen Stan Wawrinka spielen. Der Weltranglistenzweite gegen den Titelverteidiger...

Deshalb haben wir so entschieden. Aber Novak sieht das sicher anders. Wir hatten auch überlegt, die Männer-Partien auf dem Chatrier auszutragen und die Frauen-Matches auf dem Lenglen. Aber dann wären die Mädels durchgedreht und hätten gefragt: Aha, die Männer sind also wichtiger?

Haben Sie Verständnis dafür, dass dich Agnieszka Radwanska und Simona Halep bitterlich darüber beschwert haben, dass sie im Regen spielen mussten?

Ich war selber Profi und musste bei solchen Bedingungen auf den Platz. Ich habe dann auch nicht gut gespielt. Das gehört halt zu unserem Geschäft. In Australien sind es manchmal 38 Grad Celsius. Und andere Spieler haben ja gewonnen mit denselben schweren Bällen. Das Allerwichtigste ist: Das Turnier muss am Laufen gehalten werden.

Also waren Ihre ersten French Open ein Alptraum?

Das würde ich nicht sagen. Sie waren aufregend. Auch wenn manche Spieler gejammert haben, weil es kalt und nass war. Man darf nicht vergessen: Heutzutage führt man als Profi ein großartiges Leben. Ich muss dankbar sein, dass ich Profi sein durfte. Aber wenn man sieht, wie viele Millionen an Preisgeld es heutzutage gibt. Ich meine: Das ist großartig für die Spieler, und ich freue mich für sie, dass sie so viel Geld verdienen. Und wir heben die Preisgelder ja trotzdem noch immer weiter an. Aber dann sind halt manchmal auch die Wetterbedingungen schwierig.

Sind Sie neidisch, dass es zu Ihrer Zeit nicht so viel Preisgeld gab?

No! No, no, no! Ich habe mehr Geld verdient als Björn Borg! Und das ist sehr unfair. Weil er ein sehr viel besserer Spieler war als ich. Aber zu meiner Zeit war das Preisgeld halt sehr viel höher als zu seiner Zeit.

Jetzt habe ich doch tatsächlich vor unserem Gespräch nicht geprüft, wie viel Sie verdient haben als Profi...

5,9 Millionen Dollar.

Sehr schön.

Heutzutage verdienen die Spieler halt 15 Millionen. Und Novak verdient 100 Millionen. Das ist doch großartig! Wussten Sie, dass Djokovic letztes Jahr mehr Geld verdient hat als Ivan Lendl in seiner ganzen Karriere? 20 Millionen! Ist doch wunderbar für ihn! Aber Novak weiß dann halt auch, dass er manchmal spielen muss, wenn es regnet.

© SZ vom 12.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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